Urteil im Abgasskandal, Landgericht Stade, Urteil vom 26.03.2021, Aktenzeichen: 5 O 276/20
In dem Rechtsstreit
des xxx, Kläger
Prozessbevollmächtigte: Dr. Ghendler & Ruvinskij – Rechtsanwälte PartGmbB, Aachener Straße 1, 50674 Köln, Geschäftszeichen: 329316-20
gegen
Volkswagen AG, v.d.d. Vorstand, d.v.d. Vorstandsvorsitzenden Dr. Herbert Diess, Berliner Ring 2, 38440 Wolfsburg,
Beklagte
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanw. Beiten Burkhardt, Kaiser-Wilhelm-Straße 40, 20355 Hamburg,
hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Stade auf die mündliche Verhandlung vom 19.02.2021 durch die Richterin am Landgericht Williams als Einzelrichterin für Recht erkannt:
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 29.604,96 € zzgl. der gezahlten Finan zierungszinsen von 1.463,59 €, d.h. insgesamt 31.068,55 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.12.2020, zu zahlen, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Amarok DC Trendline.
- Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwalts kosten von 1.437,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.12.2020 zu zahlen.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 7 % und die Beklagte 93 %.
- Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
und beschlossen:
- Der Streitwert wird auf 33.476,93 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche wegen des Ankaufs eines Gebrauchtfahrzeugs im Zusammenhang mit dem sogenannten Abgasskandal des VW Konzerns.
Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 12.11.2012 bei der Autohaus Schmidt + Koch GmbH in Bremerhaven einen VW Amarok DC Trendline, Fahrzeugidentifikationsnummer , mit einer Laufleistung von 1.999 km zum Preis von 40.947,32 € brutto (vgl. Anlage zur Klageschrift). Er finanzierte den Kauf bei der Volkswagen Bank GmbH zu einem Zinssatz von 2,9 % und zahlte bis zur Klageerhebung Zinsen von insgesamt 1.463,59 €.
Für das veräußerte Fahrzeug lag eine wirksame EG-Typengenehmigung vor, der zufolge es die Grenzwerte der Schadstoffklasse EU 5 einhalten sollte. Um eine EG Typengenehmigung zu erhalten, musste ein Fahrzeughersteller gemäß Art. 4 I der Verordnung (EG) 715/2007 bis zum 31.08.2017 u.a. nachweisen, dass sein Fahrzeug die im Anhang I der Verordnung festgelegten Emissionsgrenzwerte einhält. Die Emissionen des Fahrzeugs wurden dabei unter Laborbedingungen in dem sogenannten „Neuen Europäischen Fahrzyklus“ (NEFZ) ermittelt.
Das veräußerte Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 EU 5 ausgestattet, dessen Motorsteuergerätesoftware über eine Fahrzykluserkennung verfügt. Sobald die Software den NEFZ erkennt, schaltet sie die Abgasrückführung in den NOX-optimierten Modus 1. Die Abgasrückführungsrate wird erhöht, indem Abgas aus dem Auslassbereich des Motors über ein Abgasrückführungsventil in den Ansaugtrakt des Motors zurückgeleitet wird, wo es einen Teil der Frischladung ersetzt, die für den nächsten Verbrennungsprozess benötigt wird. Befindet sich das Fahrzeug dagegen im normalen Straßenverkehr, schaltet die Software in den Modus 0, der keine höhere Abgasrückführungsrate vorsieht und somit einen höheren Stickoxidausstoß bewirkt.
Das Kraftfahrtbundesamt stellte mit Bescheid vom 14.10.2015 fest, dass es sich bei der Motorsteuersoftware um eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 handelte. Es verpflichtete die Beklagte daher gemäß § 25 II der EG Fahrzeuggenehmigungsverordnung, alle betroffenen Fahrzeuge zurückzurufen und Maßnahmen zur Wiederherstellung ihrer Vorschriftsmäßigkeit zu treffen. Die Beklagte erarbeitete daraufhin für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp eine Softwarelösung, die ein kostenfreies Update der Motorsteuergerätesoftware vorsieht. Nach der Installation dieses Updates wird das Fahrzeug nur noch in einem adaptierten Betriebsmodus 1 be trieben, der zuvor ausschließlich in Prüfsituationen aktiv war. Das Kraftfahrtbundesamt gab die Softwarelösung der Beklagten frei.
Die Beklagte übersandte dem Kläger im Februar 2016 ein Kundenanschreiben, in welchem sie ihn über die Betroffenheit seines Fahrzeugs und den mit dem Kraftfahrtbundes amt abgestimmten Zeit- und Maßnahmenplan informierte. Der Kläger ließ daraufhin das Softwareupdate aufspielen.
Mit Schreiben vom 15.09.2020 (Anlage zur Klageschrift) forderten die Prozessbevollmächtigten des Klägers die Beklagte auf, an den Kläger 40.947,32 € zu zahlen Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs und stellten ihr frei, eine Nutzungsentschädigung in Abzug zu bringen, die auf der Grundlage einer Gesamtlaufleistung von 350.000 km berechnet werden sollte.
Der Kläger behauptet, er habe ein den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes und ordnungsgemäß zugelassenes Fahrzeug erwerben wollen. Hätte er gewusst, dass das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen war, hätte er es nicht erworben.
Das Softwareupdate könne den Mangel nicht beheben. Es sei mit negativen Konsequen zen verbunden, weil das Fahrzeug aufgrund der erhöhten Abgasrückführungsrate mehr Ruß produzieren werde, was wiederum die Lebenszeit des Partikelfilters und der Bestandteile der Abgasrückführung verkürzen werde. Zudem sei mit einem höheren Kraftstoffverbrauch und einer geringeren Leistung zu rechnen. Das Update enthalte im Übrigen selbst eine unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt eines Thermofensters, die eine erneute vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung begründe.
Der Kläger meint schließlich, die Beklagte habe gegen die guten Sitten verstoßen. Hierzu behauptet er, die Beklagte habe mithilfe der illegalen Software die Kosten der Abgasreinigung senken und somit ihren Gewinn maximieren wollen. Sie habe gewusst, dass die Software einen zulassungsrechtlich illegalen Zustand schaffen und somit den Wert der Fahrzeuge mindern würde. Zudem habe sie billigend in Kauf genommen, dass den Käufern bei Bekanntwerden der Manipulation weitere Schäden entstehen würden. Ihr Vorstand habe von der Manipulation der Abgaswerte Kenntnis gehabt. Sie müsse sich zu dem das Wissen ihrer Mitarbeiter zurechnen lassen.
Die Klageschrift ist am 14.11.2020 eingegangen und der Beklagten am 18.12.2020 zu gestellt worden. Die Laufleistung des Fahrzeugs hat 19.02.2021 70.695 km betragen.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 33.476,93 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen unter Abzug einer Nutzungsentschädigung, die nach der aktuellen Laufleistung des Fahrzeugs berechnet wird, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Amarok DC Trendline, FIN: WV1ZZZ2HZB8071983,
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.463,59 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
3. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des im Klageantrag zu 1) genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet,
4. die Beklagte zu verurteilen, ihm vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 1.437,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, das veräußerte Fahrzeug sei umweltfreundlich, technisch sicher, uneingeschränkt gebrauchstauglich und weiterhin als Fahrzeug der Abgasnorm EU 5 klassifiziert. Die verbaute Software des Motorsteuergeräts und die konkreten Emissionswerte des Fahrzeugs hätten sich auf die Kaufentscheidung des Klägers nicht ausgewirkt.
Die Entscheidung, die Software des Steuergeräts zu verändern, sei von Mitarbeitern unterhalb der Vorstandsebene auf nachgeordneten Arbeitsebenen getroffen worden. We der ihr Vorstandsvorsitzender noch andere Mitglieder ihres Vorstandes hätten von der Entwicklung der Software gewusst.
Die Beklagte erhebt zudem die Einrede der Verjährung. Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.
I. Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß §§ 852, 826, 31, 249 BGB einen Anspruch auf Ersatz des Schadens, der ihm aus dem Gebrauchtwagenkauf vom 12.11.2012 entstanden ist.
1. Die Mitarbeiter der Beklagten handelten sittenwidrig i.S.d. § 826 BGB, als sie die Fahr zeuge mit dem Motor EA 189 in den Verkehr brachten. Denn sie hatten sie bewusst mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet, die zwei unterschiedliche Betriebsmodi für den Betrieb der Fahrzeuge auf dem Prüfstand und unter realen Bedingungen vorsah. So hatten sie den Zulassungsbehörden und der Öffentlichkeit vorgetäuscht, dass die Fahrzeuge die Emissionsgrenzwerte der Schadstoffklasse EU 5 einhielten, obwohl dies im realen Fahrbetrieb tatsächlich gar nicht der Fall war. Sowohl die EG-
Typengenehmigung der Fahrzeuge als auch die auf ihrer Grundlage erteilten Betriebserlaubnisse waren somit rechtswidrig (vgl. hierzu OLG Köln, Beschluss vom 27.03.2018, 18 U 134/17, Rn. 11; OLG Köln, Beschluss vom 20.12.2017, 18 U 112/17, Rn. 36).
Für die Kaufentscheidung aller Kunden der Beklagten war es von zentraler Bedeutung, dass die betroffenen Fahrzeuge über eine vermeintlich rechtmäßige Betriebserlaubnis verfügten. Denn sie hätten sie andernfalls nicht nutzen können und sich durch ihren Kauf einen erheblichen finanziellen Schaden zugefügt. Die bewusste Täuschung über diese Umstände reicht daher aus, um die Sittenwidrigkeit des Handelns der Mitarbeiter der Beklagten zu begründen (ebenso BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 16 ff.; vgl. auch OLG Celle, Urteil vom 20.11.2019, 7 U 244/18; Urteil vom 29.01.2020, 7 U 575/18, Rn. 25).
2. Die Beklagte muss sich das sittenwidrige Handeln ihrer Mitarbeiter analog § 31 BGB zurechnen lassen.
Der Kläger hat hinreichend substantiiert vorgetragen, dass der millionenfache Einbau der manipulierten Steuergerätesoftware mit Wissen und Wollen des seinerzeitigen Vorstands der Beklagten erfolgt sein muss. Zwar hat er nicht im Einzelnen dargelegt, wann welches Vorstandsmitglied Kenntnis von welchen Umständen erlangte. Dies war von ihm jedoch auch nicht zu verlangen, weil er keinen Einblick in die inneren Abläufe der Beklagten hat und ihm diese Informationen somit nicht zugänglich sind. Es war vielmehr Aufgabe der Beklagten, das Vorbringen des Klägers substantiiert gemäß §§ 138 I, II ZPO zu bestreiten (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 34 ff.; BGH, Urteil vom 17.03.1987, VI ZR 282/85, Rn. 18; Urteil vom 10.02.2015, VI ZR 343/13, Rn. 11; BGH, Beschluss vom 16.08.2016, VI ZR 634/15, Rn. 14). Denn ihrem Vorstand liegen die ent
sprechenden Informationen entweder bereits vor oder er kann sie sich durch interne Ermittlungen verschaffen.
Die Beklagte hat das Vorbringen des Klägers nicht wirksam bestritten. Sie hat lediglich vorgetragen, ihr lägen nach dem derzeitigen Stand ihrer Ermittlungen keine belastbaren Erkenntnisse dazu vor, dass Vorstandsmitglieder von dem Einsatz der Software gewusst und diesen gebilligt hätten. Sie kläre die genaue Entstehung der Software weiterhin auf. Diese Ausführungen sind vollkommen inhaltsleer und somit gemäß § 138 I, II ZPO unbe
achtlich, weshalb der gegenteilige Klägervortrag gemäß § 138 III ZPO als zugestanden anzusehen ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 39).
3. Der Kläger hat durch den Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs einen Schaden erlitten.
Der Schadensbegriff des § 826 BGB ist im weitesten Sinne zu verstehen. Er erfasst nicht nur jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, sondern auch jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses und jede Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 44 ff.; BGH, Urteil vom 19.07.2004, II ZR 402/02, Rn. 41). Der Geschädigte kann daher selbst bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung einen Vermögensschaden i.S.d. § 826 BGB erleiden, wenn er durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht wird, den er sonst nicht geschlossen hätte, und die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 48 ff.; BGH, Urteil vom 28.10.2014, VI ZR 15/14, Rn. 18; BGH, Urteil vom 21.12.2004, VI ZR 306/03, Rn. 16; BGH, Urteil vom 26.09.1997, V ZR 29/96, Rn. 28).
Hätte der Kläger gewusst, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen ist, hätte er es nicht erworben. Hierfür spricht eine tatsächliche Vermutung, weil bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen ist, dass kein vernünftiger Fahrzeugkäufer ein Fahrzeug erwirbt, dessen EG-Typengenehmigung und Betriebserlaubnis rechtswidrig durch eine Täuschung der zuständigen Behörden erschlichen wurde (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 52). Die Beklagte hat diese tatsächliche Vermutung nicht entkräftet.
4. Der Schaden ist auch nicht durch das nachträglich entwickelte Softwareupdate entfallen, weil der unter Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Klägers sittenwidrig herbeigeführte ungewollte Vertragsschluss durch das Update nicht rückwirkend zu einem gewollten Vertragsschluss wird (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 58). Der Kläger darf zudem die begründete Befürchtung hegen, dass es entweder nicht wirksam ist oder zu Folgemängeln führen wird (vgl. LG Krefeld, Urteil vom 14.09.2016, 2 O 83/16, Rn. 28; LG Aachen, Urteil vom 18.05.2016, 9 O 269/16, Rn. 42; LG Bückeburg, Urteil vom 11.01.2017, 2 O 39/16, Rn. 34; LG Hagen (Westfalen), Urteil vom 18.10.2016, 3 O 66/16, Rn. 65).
Der Kläger hat hinreichend substantiiert vorgetragen, es sei davon auszugehen, dass das angebotene Softwareupdate sich negativ auf den Kraftstoffverbrauch des Fahrzeugs und die Leistungsfähigkeit des Motors auswirke. Zudem sei mit einer schnelleren Verrußung des Partikelfilters und der Bestandteile der Abgasrückführung zu rechnen. Da der Kläger ein technischer Laie ist, ist dieser Vortrag ausreichend, um den berechtigten Verdacht eines fortbestehenden oder eines Folgemangels zu begründen.
Die Beklagte hat das Vorbringen des Klägers bislang nicht entkräftet. Zwar hat sie rudi mentär zur Wirkungsweise des Updates vorgetragen. Die entscheidenden Fragen hat sie dabei jedoch nicht beantwortet:
Die Beklagte hat keinerlei Angaben dazu gemacht, weshalb sie die streitgegenständlichen Fahrzeuge ursprünglich mit zwei unterschiedlichen Betriebsmodi ausstattete, statt sie dauerhaft im emissionsreduzierten Prüfstandmodus 1 zu betreiben. Diese Entscheidung muss einen wichtigen technischen Grund gehabt haben, weil die Beklagte die Emissionen ihrer Fahrzeuge sicherlich nicht ohne Not über die Grenzwerte der EU 5 Norm anhob.
Die Beklagte bietet nun zur Mangelbeseitigung ein Update an, das die Motorsteuergerä tesoftware so verändert, dass die Fahrzeuge dauerhaft in dem modifizierten Prüfstand modus 1 betrieben werden. Der zuvor für den Dauerbetrieb vorgesehene Modus 0 entfällt. Um die naheliegende Befürchtung ihrer Kunden auszuräumen, dies werde mit negativen Folgen für das Fahrzeug verbunden sein, hätte die Beklagte im Einzelnen darlegen müssen, weshalb die Gründe, die sie ursprünglich zur Schaffung des zweiten Betriebsmodus 0 veranlassten, nicht mehr bestehen. Die Beklagte hat sich hierzu jedoch
nicht erklärt. Sie hat lediglich pauschal auf den technischen Fortschritt verwiesen, was insbesondere deshalb nicht ausreicht, weil sie ihre Kunden beim Inverkehrbringen der Fahrzeuge arglistig täuschte. Es ist eben diesen Kunden nicht zuzumuten, sich nun ohne jede nachvollziehbare Begründung auf ihre Zusicherung verlassen zu müssen, das Up
date werde keine negativen Folgen für die betroffenen Fahrzeuge haben – zumal die Beklagte bislang keine Garantien für ihre Zusicherung übernommen hat. Sie hat lediglich eine „vertrauensbildende Maßnahme“ angeboten, die rechtlich unverbindlich ist.
5. Die Beklagte hat den Kläger gemäß § 249 BGB so zu stellen, als hätte er das streitgegenständliche Fahrzeug nicht angekauft. Sie muss ihm folglich den gezahlten Kaufpreis zzgl. der gezahlten Finanzierungszinsen von 1.463,59 € erstatten. Der Kläger hat ihr im Gegenzug das streitgegenständliche Fahrzeug herauszugeben und zu übereignen. Zu dem muss er sich im Wege der Vorteilsausgleichung eine Entschädigung für die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen.
Die Nutzungsentschädigung ist vorliegend nach der Methode der zeitanteiligen linearen Wertminderung zu berechnen, indem der Bruttokaufpreis durch die Restnutzungsdauer bei Abschluss des Kaufvertrages geteilt und mit der Nutzungszeit des Klägers multipliziert wird. Die voraussichtliche Gesamtnutzungsdauer des Fahrzeugs ist dabei mit der durch
schnittlich zu erwartende Gesamtlaufleistung gleichzusetzen, die bei Fahrzeugen des veräußerten Typs gemäß § 287 ZPO auf ca. 250.000 km zu schätzen ist (vgl. Rein king/Eggert, Der Autokauf, 12. Aufl., Rn. 3563 f. m.w.N. aus der Rspr., insb. auch zu vergleichbaren TDI-Motoren). Die Laufleistung des Fahrzeugs hat am 19.02.2021 70.695 km betragen. Es errechnet sich somit eine Nutzungsentschädigung von
Kaufpreis 40.947,32 €
Restlaufleistung (250.000 – 1.999 = ) 248.001 km × gefahrene Kilometer (70.695 – 1.999 =) 68.696 km = 11.342,36 €.
Saldiert mit dem Anspruch des Klägers auf Rückzahlung des Kaufpreises von 40.947,32 € errechnet sich ein Schaden von 29.604,96 € zzgl. der gezahlten Finanzierungszinsen von 1.463,59 €.
6. Der Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 826, 31, 249 BGB ist verjährt. Ihm steht jedoch ein sog. Restschadensersatzanspruch gemäß § 852 S. 1 BGB in gleicher Höhe zu, der weiterhin durchsetzbar ist.
a) Die dreijährige Regelverjährungsfrist gemäß § 195 BGB beginnt gemäß § 199 I Nr. 2 BGB mit dem Schluss des Jahres zu laufen, in dem der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Im Falle eines Schadensersatzanspruchs zählt zu diesen Umständen auch der Eintritt eines Schadens.
Der Kläger erlangte spätestens im Jahr 2016 hinreichend sichere Kenntnis von seinen Ansprüchen gegen die Beklagte und dem Eintritt eines Vermögensschadens. Denn die Beklagte übersandte ihm im Februar 2016 ein Kundenanschreiben, in welchem sie ihn über die Betroffenheit seines Fahrzeugs und den mit dem Kraftfahrtbundesamt abge
stimmten Zeit- und Maßnahmenplan informierte. Mit der Freigabe des Softwareupdates durch das Kraftfahrtbundesamt, die ebenfalls im Frühjahr Jahr 2016 erfolgte, stand zudem fest, dass die Beklagte nicht zu Hardwarenachrüstungen verpflichtet werden und deshalb zumindest ein merkantiler Minderwert der Fahrzeuge verbleiben würde. Die Verjährungsfrist begann somit mit Ablauf des 31.12.2016 und endete vor Klageerhebung am 31.12.2019.
b) Der Schadensersatzanspruch des Klägers entstand auch nicht neu mit dem Aufspielen des Softwareupdates. Denn selbst wenn es ein sog. Thermofenster enthalten haben sollte, läge nur dann ein weiteres, sittenwidriges Handeln der Beklagten vor, wenn ihre Mitarbeiter bei der Entwicklung und/oder Applikation der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine (weitere) unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (vgl. BGH, Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, Rn. 28). Dies ist bislang weder vorgetragen noch ersichtlich.
c) Wird die Einrede der Verjährung erhoben, muss das entscheidende Gericht von sich aus prüfen, ob ein Herausgabeanspruch gemäß § 852 S. 1 BGB besteht (BGH, Urteil vom 13.10.2015, II ZR 281/14, Rn. 31). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Kläger zumindest vorträgt, der Beklagte habe aus der unerlaubten Handlung etwas erlangt (BGH, Urteil vom 14.02.1978, X ZR 19/76, Rn. 58; BGH, Urteil vom 17.12.2020, VI ZR 739/20, Rn. 29). Eine unmittelbare Vermögensverschiebung zwischen Schädiger und Geschädigtem ist dabei nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 14.02.1978, X ZR 19/76, Rn. 62). Es genügt, wenn dem Schädiger aufgrund der unerlaubten Handlung durch seine Vertragspartner ein Vermögensvorteil auf Kosten des Geschädigten vermittelt wird (BGH, Urteil vom 14.02.1978, X ZR 19/76, Rn. 63).
Die Beklagte erlangte als Herstellerin des Fahrzeugs durch sein Inverkehrbringen den Erstverkaufspreis. Zwar hat keine der Parteien vorgetragen, wie hoch dieser Erstverkaufspreis genau war. Da der Kläger jedoch für das gebrauchte Fahrzeug mit einer Laufleistung von 1.999 km noch einen Nettokaufpreis von 33.628,00 € zahlte, schätzt das Gericht, dass die Beklagte aus dem Erstverkauf des Neufahrzeugs mindestens denselben Betrag erlangte. Denn andernfalls müsste der Ankauf eines Neufahrzeugs direkt bei der Beklagten günstiger sein als der Ankauf eines Gebrauchtwagens über einen Kraft fahrzeughändler. Der Schadensersatzanspruch des Klägers von 29.604,96 € zzgl. der gezahlten Finanzierungszinsen von 1.463,59 € liegt unterhalb des gezahlten Netto Kaufpreises und besteht daher in voller Höhe fort.
Der Einwand der Beklagten, sie habe durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs jedenfalls keinen Vermögensvorteil auf Kosten des Klägers erlangt, weil dieser das Fahrzeug gebraucht von einem Dritten erworben habe, überzeugt nicht. Denn der Schaden, den sie durch ihre unerlaubte Handlung verursachte, wurde in der Kette der Käufer bis zu dem Kläger weitergereicht und realisierte sich letztlich in seinem Vermögen in Höhe des
gezahlten Kaufpreises von 40.947,32 € zzgl. der gezahlten Finanzierungszinsen von 1.463,59 €.
Auf eine mögliche Entreicherung, z.B. in Gestalt der Kosten für die Schadensbeseitigung, kann die Beklagte sich nicht berufen, weil sie gemäß §§ 819 I, 818 IV BGB verschärft nach den allgemeinen Vorschriften haftet.
II. Der Restschadensersatzanspruch des Klägers ist gemäß §§ 291, 288 I BGB ab dem Folgetag nach Eintritt der Rechtshängigkeit am 18.12.2020 mit 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz zu verzinsen.
III. Der Feststellungsantrag zu 2. ist unbegründet. Die Beklagte befindet sich mit der Annahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs nicht in Verzug, weil der Kläger seine Herausgabe und Übereignung bislang nicht in der gemäß §§ 294, 295, 298 BGB geschuldeten Weise angeboten hat.
Das vorgerichtliche Schreiben der Klägervertreter vom 15.09.2020 (Anlage zur Klage schrift) enthielt kein ausdrückliches Angebot zur Übereignung des Fahrzeugs. Es sah zudem nur den Abzug einer Nutzungsentschädigung vor, die auf der Grundlage einer Gesamtlaufleistung von 350.000 km berechnet werden sollte. Bei Berechnung der Hauptforderung der Klage setzten die Klägervertreter wiederum eine Gesamtlaufleistung von 350.000 km an. Sie machten die Übereignung des Fahrzeugs somit von einer überhöhten Gegenleistung abhängig, sodass es weiterhin an einer wirksamen Inverzugsetzung fehlt (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 12.09.2007, 7 U 169/06, Rn. 21).
IV. Die Beklagte hat dem Kläger schließlich gemäß §§ 852, 826, 31, 249 BGB seine vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu erstatten. Sie stellen einen Folgeschaden i.S.d. § 249 I BGB dar, der ihm durch den sittenwidrig veranlassten Vertragsschluss entstanden ist. Aus Sicht des Klägers war es zudem erforderlich und zweckmäßig, einen Rechtsanwalt mit der Durchsetzung seiner Schadensersatzansprüche zu betrauen.
Die geforderte 1,3 Geschäftsgebühr zzgl. Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer ist er stattungsfähig. Sie ist nach einem Streitwert von (30.464,68 € + 1.463,59 € =) 31.928,28 € zu berechnen, weil die Laufleistung des Fahrzeugs am 15.09.2020 65.488 km betrug (vgl. Schreiben vom 15.09.2020, Seite 2) und sich der Kläger somit zu diesem Zeitpunkt eine Nutzungsentschädigung von 10.482,63 € anrechnen lassen musste.
Es errechnet sich somit ein erstattungsfähiger Anspruch von 1.437,70 €, der gemäß §§ 291, 288 I BGB ab dem Folgetag nach Eintritt der Rechtshängigkeit am 18.12.2020 mit 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz zu verzinsen ist.
VI. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 I, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 48 GKG i.V.m. § 3 ZPO. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs ist wirtschaftlich mit dem Antrag zu 1. identisch und hat daher keinen eigenen Wert (vgl. BGH, Beschluss vom 29.01.2015, III ZR 41/14, Rn. 5.).
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