Die insolvenzrechtliche Fälligkeitsfiktion

Fälligkeit nicht fälliger Forderungen in Insolvenz

Das Insolvenzverfahren dient in erster Linie der gemeinschaftlichen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger durch die gleichmäßige Verteilung der Insolvenzmasse oder die im Insolvenzplan getroffene Vereinbarung. Mit dem Privatinsolvenzverfahren wird darüber hinaus auch die Entschuldung des redlichen Insolvenzschuldners bezweckt.
Nach § 38 der Insolvenzordnung sind Insolvenzgläubiger alle persönlichen Gläubiger des Schuldners sind, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Doch was ist mit den Gläubigern, deren Anspruch zu diesem Zeitpunkt noch nicht fällig ist? Fehlt ihnen dann das Stimmrecht in der Gläubigerversammlung? Und haben diese keine Möglichkeit Einfluss auf etwaige Kürzungen ihrer Forderung im Rahmen eines Insolvenzplanes zu nehmen?

Andre Kraus ist Fachanwalt für Insolvenzrecht und Gründer der KRAUS GHENDLER RUVINSKIJ Anwaltskanzlei. Seit 2012 ist er auf die Entschuldung und Beratung von Personen mit finanziellen Schwierigkeiten spezialisiert.

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Regelungsgehalt der Fälligkeitsfiktion

Diese Fragen hat der Gesetzgeber mit der Schaffung einer insolvenzrechtlichen Fälligkeitsfiktion beantwortet. Nach § 41 Abs. 1 InsO gelten nicht fällige Forderungen im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als fällig. Durch diese Regelung wird dem im Insolvenzrecht vorherrschenden Gleichbehandlungsgrundsatz aller Gläubiger Ausdruck verliehen. Würde man die Gläubiger aus dem Insolvenzverfahren ausnehmen, deren Forderungen noch nicht fällig sind, so würde man ihnen das letzte verwertbare Vermögen des Schuldners vorenthalten. Die einzige Möglichkeit ihre Forderungen bei vertraglich vereinbarter Fälligkeit noch eintreiben zu können, bestünde darin, dass der Insolvenzverwalter für künftige Forderungen Sicherheit leistet, indem er Vermögen zurückhält. Dies würde allerdings die Verteilung für die übrigen am Insolvenzverfahren durchaus beteiligten Gläubiger behindern. Das pfändbare Vermögen könnte dann erst verteilt werden, wenn auch die künftigen Forderungen fällig würden. Der § 41 InsO trägt somit zu einer Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens bei.

Bild von Mann mit Uhr und Block

§ 41 Abs. 1 InsO besagt, dass nicht fällige Forderungen im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als fällig gelten.

Eine Vorverlegung der Fälligkeit könnte jedoch den Schuldner unangemessen benachteiligen, da dieser in der Regel schon bei Vertragsschluss berücksichtigt, ob und ggf. wann er in der Lage sein wird, die Forderung -im Hinblick auf eine etwaige Zinslast- vollständig zu begleichen. Doch auch dies hat der Gesetzgeber berücksichtigt.
Wenn keine Verzinsung vereinbart wurde, reduziert sich die Höhe der Forderung gem. § 41 Abs. 2 InsO um den gesetzlichen Zinssatz. Bei einer ursprünglichen Forderungssumme von 1000,00 €, kann sich der Forderungsbetrag damit auf rund 900,00 € reduzieren, wenn die Forderung ohne Insolvenzverfahren erst Monate später fällig gewesen wäre. Der Gläubiger kann die Forderung dann nur in der niedrigeren Höhe zur Insolvenztabelle anmelden. Wenn die Forderung sogar erst Jahre später fällig wäre, reduziert sich der Betrag entsprechend. Hierdurch wird ein Ausgleich zu der Vorverlegung der Fälligkeit geschaffen.

Ansprüche gegen Dritte werden nicht berührt

Die insolvenzrechtliche Fälligkeitsfiktion nach § 41 Abs. 1 InsO entfaltet allerdings nur Wirkung zwischen dem Insolvenzschuldner und seinen Gläubigern. Keine Wirkung hat die gesetzliche Regelung in Bezug auf Dritte, wie z.B. Bürgen, die Forderungen gegen den Insolvenzschuldner zusätzlich gesichert haben. Hintergrund der Fälligkeitsfiktion ist -wie geschildert- die Beschleunigung des Insolvenzverfahrens und der Schuldenregulierung des konkreten Insolvenzschuldners. Eine Besserstellung der Gläubiger, dadurch dass sie durch die vorgezogene Fälligkeit ihre Bürgschaftsansprüche leichter und schneller durchsetzen können, wird von der Insolvenzordnung nicht bezweckt. Sie tragen durch das individuelle Vertragsverhältnis mit dem Bürgen ein gesondertes Liquiditätsrisiko. Auch der Bürge soll durch die Fälligkeitsfikition nicht besser gestellt werden, indem er die Verjährung seiner Haftung bei einer vorgezogenen Fälligkeit ebenfalls vorverlagern könnte.
Die Insolvenzgläubiger können ihre zusätzlichen Ansprüche gegenüber Dritten über den Zivilgerichtsweg geltend machen. Eine insolvenzrechtliche Regelung ist diesbezüglich somit überhaupt nicht erforderlich.

Wann wird ein Bürgschaftsanspruch normalerweise fällig?

Der Anspruch eines Darlehensgebers gegen den Bürgen wird im Zeitpunkt des Bürgschaftsfalls fällig. Vorrangig hierfür ist die vertragliche Vereinbarung der Vertragsparteien. Wenn die Parteien diesbezüglich keine Regelung getroffen haben, ist der mutmaßliche Wille der Parteien im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung gem. §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Maßgeblich für deren Willen ist der Sicherungszweck der Abrede.

Der häufigste Fall der Bürgschaft ist die selbstschuldnerische Bürgschaft, bei welcher der Bürge auf die Einrede der Vorausklage nach § 771 BGB verzichtet. Das heißt er haftet im Bürgschaftsfall unmittelbar und hat keine Möglichkeit den Gläubiger auf eine vorherige Zwangsvollstreckung bei dem Hauptschuldner zu verweisen.

Der Bürge haftet gem. § 767 Abs. 1 BGB allenfalls in der Höhe, in welcher ihm der Hauptschuldner noch zur Zahlung verpflichtet ist. Der Bürgschaftsanspruch tritt dann frühestens mit der Fälligkeit der gesicherten Forderung ein. Diese wiederum entsteht, wenn der gesicherte Darlehensvertrag gegenüber dem Hauptschuldner gekündigt wird. Hierzu ist eine Kündigungserklärung und ein vorliegender Kündigungsgrund erforderlich.
Das bloße Anmelden der Forderung zur Insolvenztabelle reicht als konkludente Kündigungserklärung nicht aus, wie das OLG Karlsruhe in einem Urteil vom 04.02.2013 (Az. 1 U 168/12) entschied.
Allerdings gibt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens des Hauptschuldners dem Darlehensgeber einen außerordentlichen Kündigungsgrund gem. § 490 Abs. 1 BGB, da eine wesentliche Verschlechterung seiner Vermögensverhältnisse eingetreten ist.

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