Was sind die Unterschiede zwischen Einzel- und Gesamtvollstreckung?
Bitte beachten Sie: Die folgend genannten Unterschiede sind exemplarisch und nicht abschließend.
- In der Gesamtvollstreckung kann ein Gläubiger ohne einen Titel zu haben, Befriedigung aus der Insolvenzmasse erreichen. Wie hoch die Befriedigung tatsächlich ausfällt, hängt maßgeblich von der Insolvenzquote ab. Die Einzelvollstreckung setzt dagegen einen Titel voraus, aufgrund dessen mit staatlichem Zwang auf das Vermögen des Schuldners zugegriffen werden kann.
- In der Einzelvollstreckung hat jeder Gläubiger die alleinige Entscheidungshoheit darüber, auf welche der vom Gesetz eingeräumten Weise er gedenkt, seine Forderung beim Schuldner durchzusetzen.
- Bestimmte Regelungen der Einzelvollstreckung werden in der Gesamtvollstreckung ebenfalls angewendet. Dazu gehören etwa Regelungen über das pfändungsfreie Einkommen oder unpfändbare Gegenstände. Andere Bestimmungen der Einzelvollstreckung werden in der Gesamtvollstreckung außer Kraft gesetzt. Hierzu gehört z.B., dass der Schuldner seine Verfügungsbefugnis über seine Vermögensgestände verliert und neu erworbenes Vermögen oder Vermögensgegenstände beschlagnahmt werden.
- Im Zweifel sind alle Regelungen der Gesamtvollstreckung gegenüber denen der Einzelvollstreckung vorrangig. Das Insolvenzverfahren ist ein sehr aufwendiges, weil langwieriges und komplexes Verfahren mit vielen Beteiligten. Um alle Interessen der Beteiligten adäquat zu würdigen, hat der Gesetzgeber ein eigenes, nur auf den Fall der Gesamtvollstreckung vorgesehenes Gesetz beschlossen. Für den Juristen bedeutet dies, dass die speziellen Vorschriften in aller Regel die allgemeinen Vorschriften überspielen und vorrangig anzuwenden sind. In der Praxis findet daher grundsätzlich in der Gesamtvollstreckung das Insolvenzrecht Anwendung, es sei denn, dass Insolvenzrecht verweist ausdrücklich oder stillschweigend auf Regelungen der Einzelvollstreckung. Zur Veranschaulichung folgende Beispiele:
Beispiel 1: Ein Schuldner hat sich Fahrzeug durch einen Kredit der Bank finanzieren lassen. Zur Sicherheit hierfür lässt sich die Bank bis zur Darlehensrückzahlung das Eigentum an dem Fahrzeug übertragen. Gegen den Schuldner liegt aber zugleich eine titulierte Forderung über eine nicht bezahlte Rechnung von der D-GmbH in Höhe von 10 000 Euro vor. Daher nimmt der Gerichtsvollzieher den Sportwagen im Auftrag der D-GmbH an sich. Die Bank verlangt Herausgabe vom Gerichtsvollzieher.
Beispiel 2: Zunächst verhält es sich wie im Beispiel 1 mit dem Unterschied, dass aufgrund der Vielzahl von Gläubigern über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Der Insolvenzverwalter beschlagnahmt daraufhin auch das Fahrzeug des Schuldners. Die Bank fragt sich, ob sie auch jetzt Herausgabe verlangen kann.
In der Einzelvollstreckung kann der Gläubiger wie oben beschrieben Herausgabe der Sache verlangen und diese anschließend durch Verkauf oder Versteigerung verwerten, wenn der Schuldner die geforderte fällige Forderung nicht mehr begleichen kann. Im Beispiel 1 kann die Bank als abgesicherter Gläubigerin notfalls eine Drittwiderspruchsklage erheben und das dem Schuldner zur Nutzung überlassene Sportfahrzeug auf Berufung des „Pfandrechts“ zurückholen. Das Sicherungseigentum rechtfertigt nach herrschender Meinung, dass die Bank das Fahrzeug heraus verlangen kann.
In der Gesamtvollstreckung, also während des Insolvenzverfahrens, herrscht der Grundsatz von der Gleichbehandlung der Gläubiger. Das Sicherungseigentum gibt gemäß § 51 Abs. 1 InsO (nur) ein Absonderungsrecht. Damit kann die Bank im Beispiel 2 nicht mehr wie in der Einzelvollstreckung die Herausgabe des Fahrzeugs, sondern nur eine vorzugsweise Befriedigung (§ 805 ZPO) verlangen. Sie ist nunmehr ein absonderungsberechtigter Gläubiger und steht also in der Gesamtvollstreckung (Beispiel 2) trotz der gleichen Rechtsposition in Bezug auf das Fahrzeug als Pfandgegenstand schlechter da.
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