Landgericht Offenburg
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
– Kläger –
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Ghendler Ruvinskij Rechtsanwälte PartG mbB, Bachemstraße 8, 50676 Köln, Gz.:
gegen
UKV – Union Krankenversicherung Aktiengesellschaft, vertreten durch d. Vorstand Herrn An dreas Kolb und Frau Manuela Kiechle, Peter-Zimmer-Straße 2, 66123 Saarbrücken, Gz.: Versicherungsnummer
– Beklagte –
wegen Forderung
hat das Landgericht Offenburg – 2. Zivilkammer – durch den Vizepräsidenten des Landgerichts Dr. Haßmann, den Richter Graf und die Richterin am Landgericht Dr. Doll aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25.06.2021 für Recht erkannt:
- Es wird festgestellt, dass folgende Erhöhungen des Monatsbeitrags in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/ Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer … bis zum 30.04.2021 unwirksam waren:
a) im Tarif Gesetzlicher Zuschlag (CompactPRlVAT – Optimal 1200 A, CompactPRIVAT PLUS) die Erhöhung zum 01.2012 in Höhe von 3,24 €,
b) im Tarif CompactPRlVAT – Optimal 1200 A die Erhöhung zum 01.2012 in Höhe von 32,41 €,
c) im Tarif Risikozuschlag (CompactPRlVAT – Optimal 1200 A) die Erhöhung zum 01.2012 in Höhe von 17,89 €,
d) im Tarif CompactPRlVAT – Optimal 1200 A die Erhöhung zum 05.2013 in Höhe von 37,41 €,
e) im Tarif Gesetzlicher Zuschlag (CompactPRlVAT – Optimal 1200 A, CompactPRIVAT Plus) die Erhöhung zum 05.2013 in Höhe von 3,74 €,
f) im Tarif Risikozuschlag (CompactPRlVAT – Optimal 1200 A) die Erhöhung zum 05.2013 in Höhe von 20,65 €,
g) im Tarif Gesetzlicher Zuschlag (CompactPRIVAT – Optimal 1200 A, CompactPRIVAT PLUS) die Erhöhung zum 01.2016 in Höhe von 4,70 €,
h) im Tarif Risikozuschlag (CompactPRIVAT – Optimal 1200 A) die Erhöhung zum 01.2016 in Höhe von 25,94 €,
i) im Tarif CompactPRIVAT – Optimal 1200 A die Erhöhung zum 01.2016 in Höhe von 46,99 €,
j) im Tarif CompactPRlVAT – Optimal 1200 A die Erhöhung zum 01.2018 in Höhe von 60,00 €,
k) im Tarif Gesetzlicher Zuschlag (CompactPRlVAT – Optimal 1200 A, CompactPRlVAT PLUS) die Erhöhung zum 01.2018 in Höhe von 6,00 €,
l) im Tarif Risikozuschlag (CompactPRlVAT – Optimal 1200 A) die Erhöhung zum 01.2018 in Höhe von 33,12 €,
und dass der Kläger bis zum 30.04.2021 nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrags verpflichtet war.
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 9.325,80 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 22.12.2020 zu zahlen.
- Es wird festgestellt, dass die Beklagte
- a) der Klägerseite zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie in der Zeit vom 01.2017 bis 21.12.2020 aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die unter 1. aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat,
- b) die nach 3a) herauszugebenden Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 12.2020 zu verzinsen hat.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
- Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
- Der Streitwert wird auf Wertstufe bis 40.000 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung der Klägerseite.
Die Klägerseite unterhält seit 01.01.2008 bei der Beklagten unter der Versicherungsnummer .. eine private Kranken-/Pflegeversicherung. Auf die einschlägigen AVB und Tarifbedingungen, Anlage BLD 1, wird verwiesen. Der Kläger wendet sich gegen die im Klagantrag einzeln aufgeführten und aus der folgenden Tabelle ersichtlichen Erhöhungen der Beiträge der Versicherungen im Tarif CompactPRIVAT Optimal 1200 A zum 01.01.2012, zum 01.05.2013, zum
01.01.2016, zum 01.01.2018, zum 01.01.2019 und zum 01.01.2020, wobei letzlich unstreitig gestellt wurde, dass die Klägerseite zum 01.01.2020 in den Tarif GesundheitCOMFORT 900 S gewechselt ist:
Tarifname |
Datum der 1. Zahlung nach BAP |
Datum der letzten Zahlung auf BAP |
Anzahl der monatlichen Zahlungen |
Beitrag alt |
Beitrag neu |
Betrag der Beitragserhöhung |
Gesetzl. Zuschlag
(CompactPRIVAT Optimal 1200 A, CompactPRIVAT – PLUS) |
01.01.2012 |
31.12.2019 |
96 |
22,89 € |
26,13 € |
3,24 € |
CompactPRlVAT Optimal
1200 A |
01.01.2012 |
31.12.2019 |
96 |
216,96 € |
249,37 € |
32,41 € |
Risikozuschlag (CompactP R lVAT
Optimal 1200 A) |
01.01.2012 |
31.12.2019 |
96 |
119,76 € |
137,65 € |
17,89 € |
CompactPRlVAT
Optimal 1200 A |
01.05.2013 |
31.12.2019 |
80 |
249,37 € |
286,78 € |
37,41 € |
Gesetzlicher Zuschlag (CompactPRIVAT
Optimal 1200 A, CompactPRIVAT – Plus) |
01.05.2013 |
31.12.2019 |
80 |
26,13 € |
29,87 € |
3,74 € |
Risikozuschlag (CompactPRIVAT Optimal
1200 A) |
01.05.2013 |
31.12.2019 |
80 |
137,65 € |
158,30 € |
20,65 € |
Gesetzlicher Zuschlag (CompactP R IVAT
Optimal 1200 A, CompactPRIVAT -PLUS) |
01.01.2016 |
31.12.2019 |
48 |
29,87 € |
34,57 € |
4,70 € |
Risikozuschlag
(CompactP R IVAT Optimal
1200 A) |
01.01.2016 |
31.12.2019 |
48 |
158,30 € |
184,24 € |
25,94 € |
CompactP RI VAT Optimal 1200 A |
01.01.2016 |
31.12.2019 |
48 |
286,78 € |
333,77 € |
46,99 € |
CompactP Rl VAT
Optimal 1200 A |
01.01.2018 |
31.12.2019 |
24 |
333,77 € |
393,77 € |
60,00 € |
Gesetzliche r Zuschlag (CompactP R lVAT Optimal 1200 A,
CompactP Rl VAT – PLUS) |
01.01.2018 |
31.12.2019 |
24 |
34,57 € |
40,57 € |
6,00 € |
Risikozuschlag (CompactP RlVAT Optimal 1200 A) |
01.01.2018 |
31.12.2019 |
24 |
184,24 € |
217,36 € |
33,12 € |
CompactPRlVAT Optimal 1200 A |
01.01.2019 |
31.12.2019 |
12 |
393,77 € |
434,23 € |
40,46 € |
Gesetzliche r Zuschlag (CompactP R lVAT Optimal 1200 A,
CompactPRlVAT – PLUS) |
01.01.2019 |
31.12.2019 |
12 |
40,57 € |
44,61 € |
4,04 € |
Risikozuschlag (CompactPRlVAT Optimal 1200 A) |
01.01.2019 |
31.12.2019 |
12 |
217,36 € |
239,69 € |
22,33 € |
Risikozuschlag
(CompactPRlVAT
Optimal
1200 A) |
01.01.2020 |
|
0 |
239,69 € |
261,77 € |
22,08 € |
Hinsichtlich der den Beitragsanpassungen beigefügten Mitteilungsschreiben wird auf das Anlagenkonvolut BLD 3 – BLD 7 verwiesen. In den Informationen zur Beitragsanpassung zum 01.01.2019 (Anlage BLD 7c, Seite 60 ff. Anlagenheft Beklagte), Begleitschreiben, heißt es:
”Wann müssen wir anpassen?
Als Ihr Versicherungsunternehmen sind wir somit gesetzlich verpflichtet, jährlich die erforderlichen und die kalkulierten Versicherungsleistungen zu vergleichen. […]
Liegt in einem Tarif und einer Beobachtungseinheit eine Abweichung von mehr als 5% vor, so sind wir verpflichtet, die Beiträge in genau diesem Fall zu überprüfen und anzupassen.
Darüber hinaus kann sich die Verpflichtung zu einer Beitragsanpassung laut den AVB auch aus einer entsprechenden Abweichung der Sterbewahrscheinlichkeiten ergeben. Dies war aber zum 1. Januar 2019 in keinem Tarif und keiner Beobachtungseinheit der Fall. […]
Trends bei Versicherungsleistungen
Der Anpassungsbedarf in den einkalkulierten Versicherungsleistungen ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass der in den AVB festgelegte Schwellenwert von 5 % überschritten wurde. Somit stellen die Versicherungsleistungen derzeit die maßgebliche Berechnungsgrundlage für eine Beitragsanpassung dar; die Beitragsveränderungen werden zum überwiegenden Teil von Ihnen beeinflusst. […]“
Mit anwaltlichem Schreiben vom 02.07.2020 machte die Klägerseite die Unwirksamkeit der Prämienerhöhung geltend und forderte die Beklagte zur Rückzahlung der auf diese Erhöhungen ge zahlten Prämienanteile einschließlich der daraus gezogenen Nutzungen auf. Die Beklagte kam der Aufforderung nicht nach.
In der Klageerwiderung vom 26.02.2021 teilte die Beklagte mit, dass den Anpassungen die nach stehenden auslösenden Faktoren zu Grunde lagen (AS 76 ff.):
Datum der BAP |
Tarif |
AF |
01.01.2019 |
CP Optimal 1200 A |
1,186 |
01.01.2018 |
CP Optimal 1200 A |
1,170 |
01.01.2016 |
CP Optimal 1200 A |
0,422 |
01.05.2013 |
CP Optimal 1200 A |
1,213 |
01.01.2012 |
CP Optimal 1200 A |
1,107 |
Die Klägerseite ist der Auffassung, die Beitragserhöhungen seien unwirksam, da sie nicht ordnungsgemäß nach § 203 Abs. 5 VVG begründet worden seien. Als Folge der mangelhaften Begründungen habe die Klägerseite gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB einen Anspruch auf Rückzahlung von Prämien, die sie ohne Rechtsgrund geleistet habe. Der Erhöhung im Tarif Compact PRIVAT – Optimal 1200 A zum 01.01.2016 fehle zudem die materielle Berechtigung, da die Be klagte trotz gesunkener Leistungsausgaben eine Prämienanpassung nach oben vorgenommen habe.
Die Klage ist der Beklagten am Montag, den 21.12.2020, zugestellt worden. Nachdem die Beklagte in der Klageerwiderung darauf hingewiesen hat, dass die Klagepartei von der Beitragsanpassung zum 01.01.2020 im Tarif CompactPRIVAT Optimal 1200 A aufgrund eines Tarifwechsels zu diesem Zeitpunkt in den Tarif GesundheitCOMFORT 900 S nicht betroffen war, hat die Klägerseite ihre Anträge korrigiert und macht hinsichtlich der Beitragsanpassungen im Tarif CompactPRI VAT Optimal 1200 A zum 01.01.2020 – mit Ausnahme des Risikozuschlags – in Höhe von 40,00 Euro zuzüglich eines gesetzlichen Zuschlags von 4,00 € keine Ansprüche mehr geltend; den Klagantrag Ziff. 2 hat die Klägerseite im Zuge dessen in Höhe von 396,00 € zurückgenommen.
Die Klägerseite beantragt zuletzt:
1) Es wird festgestellt, dass folgende Erhöhungen des Monatsbeitrags in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/ Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer .. unwirksam sind:
- a) im Tarif Gesetzlicher Zuschlag (CompactPRlVAT – Optimal 1200 A, CompactPRIVAT PLUS) die Beitragsanpassung zum 01.01.2012 in Höhe von 3,24 €
- b) im Tarif CompactPRlVAT – Optimal 1200 A die Beitragsanpassung zum 01.01.2012 in Höhe von 32,41 €
- c) im Tarif Risikozuschlag (CompactPRlVAT – Optimal 1200 A) die Beitragsanpassung zum 01.01.2012 in Höhe von 17,89 €
- d) im Tarif CompactPRlVAT – Optimal 1200 A die Beitragsanpassung zum 01.05.2013 in Höhe von 37,41 €
- e) im Tarif Gesetzlicher Zuschlag (CompactPRlVAT – Optimal 1200 A, CompactPRIVAT Plus) die Beitragsanpassung zum 01.05.2013 in Höhe von 3,74 €
- f) im Tarif Risikozuschlag (CompactPRlVAT – Optimal 1200 A) die Beitragsanpassung zum 01.05.2013 in Höhe von 20,65 €
- g) im Tarif Gesetzlicher Zuschlag (CompactPRIVAT – Optimal 1200 A, CompactPRIVAT PLUS) die Beitragsanpassung zum 01.01.2016 in Höhe von 4,70 €
- h) im Tarif Risikozuschlag (CompactPRIVAT – Optimal 1200 A) die Beitragsanpassung zum 01.01.2016 in Höhe von 25,94 €
- i) im Tarif CompactPRIVAT – Optimal 1200 A die Beitragsanpassung zum 01.01.2016 in Höhe von 46,99 €
- j) im Tarif CompactPRlVAT – Optimal 1200 A die Beitragsanpassung zum 01.01.2018 in Höhe von 60,00 €
- k) im Tarif Gesetzlicher Zuschlag (CompactPRlVAT – Optimal 1200 A, CompactPRlVAT PLUS) die Beitragsanpassung zum 01.01.2018 in Höhe von 6,00 €
- l) im Tarif Risikozuschlag (CompactPRlVAT – Optimal 1200 A) die Beitragsanpassung zum 01.01.2018 in Höhe von 33,12 €
- m) im Tarif CompactPRlVAT – Optimal 1200 A die Beitragsanpassung zum 01.01.2019 in Höhe von 40,46 €
- n) im Tarif Gesetzlicher Zuschlag (CompactPRlVAT – Optimal 1200 A, CompactPRlVAT PLUS) die Beitragsanpassung zum 01.01.2019 in Höhe von 4,04 €
- o) im Tarif Risikozuschlag (CompactPRlVAT – Optimal 1200 A) die Beitragsanpassung zum 01.01.2019 in Höhe von 22,33 €
- p) im Tarif Risikozuschlag (CompactPRlVAT – Optimal 1200 A) die Erhöhung zum 01.2020 in Höhe von 22,08 €,
und die Klägerseite nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet, so wie der Gesamtbeitrag unter Berücksichtigung der erfolgten Absenkungen auf insgesamt 442,71 € zu reduzieren ist.
2) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 20.419,92 € nebst Zinsen hieraus in Hö he von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
3) Es wird festgestellt, dass die Beklagte
- a) der Klägerseite zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die unter 1) aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat,
- b) die nach 3a) herauszugebenden Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu verzinsen hat.
4) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 1.785,82 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit für die außergerichtliche anwaltliche Rechtsverfolgung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, die geltend gemachten Ansprüche seien jedenfalls bis ein schließlich des Jahres 2016 verjährt. Die Beklagte meint außerdem, die übrigen Beitragsanpas sungen seien formell nicht zu beanstanden. Zudem seien die strittigen Beitragsanpassungen so wie die Erhöhung der Selbstbeteiligung in materieller Hinsicht wirksam vorgenommen worden. Die Anpassung des gesetzlichen Beitragszuschlags sei keine Beitragsanpassung im Sinne von
- 203 Abs. 2 VVG, da dieser Zuschlag sich bereits aus dem Gesetz ergebe (§ 149 VAG). Im Übrigen ist die Beklagte der Rechtsauffassung, der Leistungsantrag der Klägerseite sei begrenzt, insbesondere sei die Beklagte entreichert. Die von der Klägerseite geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten bestreitet die Beklagte dem Grunde und der Höhe nach.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf alle Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und sonstigen Aktenteilen.
Entscheidungsgründe
Die überwiegend zulässige Klage ist teilweise begründet.
- Die im Wesentlichen zulässige Feststellungsklage (1.) hat teilweise Erfolg (2.). 1. Die Feststellungsklage ist im Wesentlichen zulässig. Ein feststellungsfähiges gegenwärtiges
Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO begründet sich daraus, dass allein mit einem Leistungsurteil auf Rückzahlung überzahlter Beiträge nicht rechtskräftig festgestellt wäre, dass der Versicherungsnehmer zukünftig nicht zur Zahlung des sich aus den streitgegenständlichen Beitragsanpassungen ergebenden Erhöhungsbetrages verpflichtet ist (BGH, Urteil vom 14. April 2021 – IV ZR 36/20 –, Rn. 27, juris). Die Feststellung der Unwirksamkeit der Prämienerhöhung ist eine Vorfrage für den Leistungsantrag und geht über das dort erfasste Rechtsschutzziel des Klägers hinaus (BGH, Urteil vom 14. April 2021 – IV ZR 36/20 –, Rn. 28, juris). Ein Feststellungsinteresse ist lediglich dann nicht ersichtlich, wenn durch eine Tarifumstellung damalige Prämienanpassungen nicht mehr fortwirken (LG Oldenburg, VersR 2021, 632, 635) und Rückzahlungsansprüche verjährt sind. Zudem besteht kein Feststellungsinteresse für Beitragsanpassungen, von denen die Klagepartei ganz offensichtlich nicht betroffen ist. Wie die Parteien letztlich unstreitig
gestellt haben ist die Klägerseite von der Beitragsanpassung zum 01.01.2020 im Tarif Compact PRIVAT Optimal 1200 A aufgrund eines Tarifwechsels zu diesem Zeitpunkt in den Tarif GesundheitCOMFORT 900 S nicht mehr tangiert. Dementsprechend fehlt es am Feststellungsinteresse bezüglich der Beitragsanpassung im Tarif Risikozuschlag (CompactPRlVAT – Optimal 1200 A) zum 01.01.2020. Im Übrigen ist die Klage zulässig.
- Die Feststellungsklage hat in der Sache teilweise Erfolg, denn die streitgegenständlichen Erhöhungen des Monatsbeitrags in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/ Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer .. waren bis zur Heilung durch die Klageerwiderung teilweise formell unwirksam, während die materiellen Einwände nicht durchgreifen (a)). Die Klägerseite war aufgrund der formellen Mängel bis Mai 2021 nicht zur Zahlung des betroffenen Erhöhungsbetrages verpflichtet (b)). Aufgrund der eingetretenen Heilung ist der Gesamtbeitrag der geschuldeten Beiträge nicht zu reduzieren (c)).
- a) Die Erhöhungen im Tarif CompactPRIVAT Optimal 1200 A zum 01.2012, 01.05.2013, 01.01.2016 und zum 01.01.2018 waren mangels hinreichender Informationen betreffend die Anpassungen, vgl. § 203 Absatz 5 VVG, bis zu ihrer Heilung durch die Klageerwiderung formell unwirksam. Die materiell-rechtlichen Einwände greifen hingegen nicht.
- aa) Die streitgegenständlichen Beitragsanpassungen im Tarif CompactPRIVAT Optimal 1200 A zum 01.2012, 01.05.2013, 01.01.2016 und zum 01.01.2018 sind formell unwirksam, da die Informationen betreffend die Anpassungen den Anforderungen des § 203 Absatz 5 VVG nicht genügen. Heilung ist erst durch die Klageerwiderung vom 26.02.2021 eingetreten, die der Klägerseite mit Verfügung vom 01.03.2021 zugesandt wurde. Wirksam geworden sind die Beitragsanpassungen gemäß § 203 Abs. 5 VVG ab dem zweiten auf die Zustellung der Klageerwiderung folgenden Monat, d.h. ab Mai 2021.
(1) Nach § 203 Abs. 5 VVG werden die Neufestsetzung der Prämie und die Änderungen nach § 203 Abs. 2 und 3 VVG zu Beginn des zweiten Monats wirksam, der auf die Mitteilung der Neufestsetzung oder der Änderungen und der hierfür maßgeblichen Gründe an den Versicherungsnehmer folgt. Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 Abs. 5 VVG erfordert nach der Rechtsprechung des BGH die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst hat (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2020 – IV ZR 294/19 -, Rn. 26, juris). Dagegen muss der Versicherer nicht mitteilen, in welcher Höhe sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat. Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. des Rechnungszinses, anzugeben (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2020 – IV ZR 294/19 -, Rn. 26, juris; BGH, Urteil vom 14. April 2021 – IV ZR 36/20 –, Rn. 30, juris). Die Mitteilung erfüllt so den Zweck, dem Versicherungsnehmer zu verdeutlichen, dass weder sein individuelles Verhalten noch eine freie Entscheidung des Versicherers Grund für die Beitragserhöhung war, sondern dass eine bestimmte Veränderung der Umstände dies aufgrund gesetzlicher Regelungen veranlasst hat. Das wird durch die Angabe der Rechnungsgrundlage, die die Prämienanpassung ausgelöst hat, erreicht. Dagegen ist es für diesen Zweck nicht erforderlich, dem Versicherungsnehmer die Rechtsgrundlage des geltenden Schwellenwerts oder die genaue Höhe der Veränderung der Rechnungsgrundlage mitzuteilen (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2020 – IV ZR 294/19 –, BGHZ 228, 56-75, Rn. 35, juris). Dabei muss ein Versicherungsnehmer den Mitteilungen mit der gebotenen Klarheit entnehmen können, dass eine Veränderung der Rechnungs grundlage Versicherungsleistungen über dem geltenden Schwellenwert die konkrete Beitragserhöhung ausgelöst hat (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 2020 – IV ZR 294/19 –, BGHZ 228, 56-75, Rn. 39). Nicht ausreichend sind in allgemein gehaltener Form gehaltene Mitteilungen über die jährliche Durchführung der Prämienüberprüfung, ohne das Ergebnis der aktuellen Überprüfung mitzuteilen, denn der Versicherungsnehmer muss aus allgemein gehaltenen Informationen nicht den Schluss ziehen, dass die beschriebenen gesetzlichen Voraussetzungen einer Prämienerhöhung in diesem Fall eingetreten sind (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 2020 – IV ZR 294/19 –, BGHZ 228, 56-75, Rn. 39). Ebenso wenig ausreichend sind allgemeine Hinweise auf einen Anstieg der medizinischen Kosten in den letzten Jahren (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 2020 – IV ZR 294/19 –, BGHZ 228, 56-75, Rn. 39)
(2) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe erfüllen die streitgegenständlichen Mitteilungsschreiben zu den Beitragserhöhungen im Tarif CompactPRIVAT Optimal 1200 A zum 01.01.2012,
01.05.2013, 01.01.2016 und zum 01.01.2018 nicht die nach § 203 Abs. 5 VVG zu stellenden Mindestanforderungen an die Mitteilung der maßgeblichen Gründe. Die Erläuterungen der Beklagten sind standardisiert und allgemein gehalten unter Hinweis auf den medizinischen Fortschritt sowie die verbesserten Behandlungsmethoden und beschreiben in allgemein gehaltener Form die jährliche Durchführung der Prämienüberprüfung, ohne das Ergebnis der aktuellen Überprüfung mitzuteilen. Aus den Mitteilungen geht nicht hervor, warum sich die Prämie gerade in den betroffenen Tarifen verändert hat. Der Versicherungsnehmer muss aus den Mitteilungen nicht den Schluss ziehen, dass die beschriebenen gesetzlichen Voraussetzungen einer Prämienerhöhung eingetreten sind. Aufgrund dieses Mangels der Mitteilungen konnten die Prämienerhöhungen keine Wirkung entfalten.
Im Gegenzug hierzu genügt das Mitteilungsschreiben zur Beitragsanpassung zum 01.01.2019 den gesetzlichen Anforderungen, denn das Mitteilungsschreiben bzw. das Begleitschreiben zur Beitragsanpassung (Anlage BLD 7a und 7c) enthält zum einen die Mitteilung der Neufestsetzung als auch die für sie maßgeblichen Gründe. In dem Begleitschreiben weist die Beklagte darauf hin, welche Rechnungsgrundlagen (Versicherungsleistungen oder Sterbewahrscheinlichkeiten) Beitragsanpassungen begründen können. Im Weiteren enthält das Schreiben folgenden Hinweis: „Die Verpflichtung zu einer Beitragsanpassung laut den AVB kann sich auch aus einer entsprechenden Abweichung der Sterbewahrscheinlichkeiten ergeben. Dies war zum 1. Januar 2019 in keinem Tarif und keiner Beobachtungseinheit der Fall.“ Darüber hinaus ist in dem Begleitschreiben Folgendes zu lesen: „Trends bei Versicherungsleistungen – Der Anpassungsbedarf in den einkalkulierten Versicherungsleistungen ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass der in den AVB festgelegte Schwellenwert von 5 % überschritten wurde. Somit stellen die Versicherungsleistungen derzeit die maßgebliche Berechnungsgrundlage für eine Beitragsanpassung dar; die Beitragsveränderungen werden zum überwiegenden Teil von Ihnen beeinflusst. […]“ Der Kläger konnte dem Begleitschreiben die maßgeblichen Gründe für die Anpassung der Prämie damit hinreichend konkret entnehmen. Die Beklagte hat auf Seite 2 des an den Kläger gerichteten An schreibens zur Beitragsanpassung von November 2018 (Anlage 7a) wegen der konkreten Gründe für die jeweiligen Änderungen auf die beigefügte Beilage verwiesen.
(3) Die Unwirksamkeit erfasst auch den jeweiligen streitgegenständlichen gesetzlichen Zuschlag, denn der gesetzliche Beitragszuschlag von 10 % berechnet sich nach der jährlichen gezillmerten Bruttoprämie, § 149 S. 1 VAG. Ausgangspunkt für die Ermittlung der Bruttoprämie i. S. v. § 149 S. 1 VAG ist die jeweilige Tarifprämie. Es ist anerkannt, dass der gesetzliche Beitragszuschlag aus dem um die Anrechnungsbeträge verminderten Bruttobeitrag zu berechnen ist, soweit die Tarifprämie sich durch Anrechnungsbeträge vermindert (vgl. Langheid/Wandt/Boetius, 2. Aufl. 2017, VVG § 203 Rn. 364). Entsprechendes gilt, wenn sich die Verminderung des Bruttobeitrags aus einer unwirksamen Beitragserhöhung ergibt. Soweit die Beitragsanpassung formell fehlerhaft ist und die Erhöhungen von Seiten des Versicherungsnehmers nicht geschuldet sind, ist die Erhebung eines gesetzlichen Zuschlags berechnet aus der formell fehlerhaft abgeänderten Bruttoprämie nicht gerechtfertigt.
(4) Die unzureichenden Begründungen sind mit Zustellung der Klageerwiderung vom 26.02.2021, § 270 ZPO, geheilt und gemäß § 203 Abs. 5 VVG ab dem zweiten auf die Zustellung der Klageerwiderung folgenden Monat, d.h. ab Mai 2021, wirksam geworden. Die Unwirksamkeit der Prämienerhöhungen war daher zeitlich beschränkt lediglich bis zum 30.04.2021 festzustellen. Die in der Klageerwiderung nachgeholten Angaben zu den Gründen der Prämienanpassungen führen nur zu einer Heilung ex nunc (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2020 – IV ZR 294/19 -, Rn. 41, juris; BGH, Urteil vom 14. April 2021 – IV ZR 36/20 –, Rn. 35, juris).
- bb) Die materiell-rechtlichen Einwände greifen nicht, denn die Beitragserhöhung zum 01.2016 in dem Tarif CP Optimal 1200 A trotz gesunkener Leistungsausgaben ist nicht zu beanstanden. Die Beklagte durfte die Prämie trotz gesunkener Leistungsausgaben nach oben anpassen. Die Annahme, ein Anschlagen des auslösenden Faktors nach „unten“ könne nur die Prüfung einer möglichen Prämiensenkung eröffnen, ist sowohl mit dem Wortlaut des § 155 Abs. 3 VAG als auch mit dessen Sinn und Zweck unvereinbar (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 29. Juni 2018 – 8 O 5700/16 –, Rn. 17, juris; OLG Köln, Urteil vom 27. Oktober 2020 – I-9 U 74/20 –, Rn. 52, juris; a. A. OLG Köln, Urteil vom 20. Juli 2012 – I-20 U 149/11 –, Rn. 29, juris).
(1) Gem. § 155 Abs. 3 S. 1 VAG hat das Versicherungsunternehmen für jeden nach Art der Lebensversicherung kalkulierten Tarif zumindest jährlich die erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen zu vergleichen. Ergibt die der Aufsichtsbehörde und dem Treuhänder vorzulegende Gegenüberstellung für einen Tarif eine Abweichung von mehr als 10 Prozent, sofern
nicht in den allgemeinen Versicherungsbedingungen ein geringerer Prozentsatz vorgesehen ist, hat das Unternehmen alle Prämien dieses Tarifs zu überprüfen und, wenn die Abweichung als nicht nur vorübergehend anzusehen ist, mit Zustimmung des Treuhänders anzupassen, § 155 Abs. 3 S. 2 VAG. Das Anschlagen des auslösenden Faktors besagt damit lediglich, dass alle Prämien des betroffenen Tarifs auf der Grundlage aller aktuellen Rechnungsgrundlagen zu überprüfen und ggf. anzupassen sind. In welche Richtung der auslösende Faktor anschlägt (nach „oben“ oder nach „unten“) sagt nichts darüber aus, ob die Anpassung zu einer Prämiensteigerung oder einer Prämiensenkung führt. Er löst lediglich die Handlungsverpflichtung für den Versicherer aus,
die Prämien zu überprüfen. Ein günstiger Schadensverlauf, der den auslösenden Faktor nach „unten“ anschlagen lässt, kann daher dennoch dazu führen, dass aufgrund der daraufhin durchzuführenden Neukalkulation die Veränderung anderer Rechnungsgrundlagen den günstigen Schadensverlauf überkompensiert und somit zu einer Prämienerhöhung führt (Looschelders / Pohlmann, VVG-Kommentar – Versicherungsvertragsgesetz, 3. Aufl. 2017, § 203 Rn. 15; Voit in: Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl. 2021, § 203 Rn. 22).
(2) Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zu dem Regelungsziel des § 155 VAG, eine stets risikogerechte Prämie zu erreichen, um die dauernde Erfüllbarkeit der Versicherungsverträge sicherzustellen. Der Versicherung, die mangels ordentlichen Kündigungsrechts an den Vertrag gebunden ist, soll nicht einseitig das Risiko von zukünftigen Kostensteigerungen aufgebürdet werden. Das Anspringen der auslösenden Faktoren ist zwar zwingende Voraussetzung für die Prämienanpassung, jedoch letztlich nur Anlass für eine Neuberechnung anhand aller Rechnungsgrundlagen. Ergibt die Gesamtüberprüfung die Notwendigkeit einer Prämienerhöhung, so entspricht es dem Sinn und Zweck, diese auch durchzuführen (Brand in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2020, § 203 Rn. 32). So liegt der Fall auch hier. Dass die Voraussetzungen für die Prämienerhöhung zum 01.01.2016 nicht vorlagen, wurde nicht hinreichend geltend gemacht und ergibt sich auch sonst nicht aus den Akten. Im Übrigen hat die Klagepartei die materielle Wirksamkeit der Beitragsanpassungen nicht in Frage gestellt; diese gilt daher als zugestanden.
- b) Soweit die Klägerseite in ihrem Feststellungsantrag im Weiteren beantragt hat, festzustellen, dass sie nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet ist, war der Antrag zeitlich beschränkt nur insoweit zuzusprechen, als der Kläger bis zur Heilung nicht zur Zahlung verpflichtet
- c) Aufgrund der eingetretenen Heilung sämtlicher Beitragsanpassungen ist der Gesamtbeitrag der zu leistenden Monatsbeiträge nicht zu Der Antrag war insoweit als unbegründet abzuweisen.
- Die Klägerseite hat Anspruch auf Rückzahlung der nach Beitragserhöhung geleisteten Prämien gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB wie tenoriert. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
- Ohne Erfolg macht der Kläger Rückzahlungsansprüche hinsichtlich jener Beitragsanpassungen geltend, auf die er vor dem 01.01.2017 Zahlungen geleistet hat. Denn insoweit greift infolge der erhobenen Verjährungseinrede die kenntnisabhängige dreijährige Verjährung des § 195 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 2018 – IV ZR 255/17 –, BGHZ 220, 297-323, Rn. 72), deren Beginn sich nach § 199 Abs. 1 BGB richtet.
- a) Nach 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (Nr. 1) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (Nr. 2).
- aa) Entstanden S. v. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist die Rückzahlungsforderung jeweils frühestens mit der Zahlung der vermeintlich überhöhten Prämie, weil frühestens mit der jeweiligen monatlichen Zahlung der vermeintlich überhöhten Prämie der Rückforderungsanspruch fällig wird und entsteht (OLG Köln, Urteil vom 07. Juli 2020 – I-9 U 227/19 –, Rn. 67, juris).
- bb) Maßgebend für 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist der Erhalt der Mitteilungsschreiben zu den Erhöhungen, denn ab da hatte die Klägerseite Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen (OLG Köln, Urteil vom 07. Juli 2020 – I-9 U 227/19 –, Rn. 68, juris; Fuxmann/Leygraf, r+s 2021, 61 m.w.n. unter Fn. 14). Unbeachtlich ist, inwiefern es dem Kläger bereits auf Grundlage der Mitteilungen betreffend die bevorstehende Beitragsanpassung möglich war, die materielle Rechtmäßigkeit der Beitragserhöhungen zu beurteilen. Dies liegt darin begründet, dass der Kläger zu keinem
Zeitpunkt an einer negativen Feststellungsklage gehindert war, im Rahmen derer die Beklagte zur Darlegung und zum Beweis der materiellen Berechtigung verpflichtet gewesen wäre. Da die Beklagte versicherungsvertraglich nicht zur Vorlage ihrer Berechnungsgrundlagen verpflichtet ist (anders als prozessual im Rahmen ihrer Darlegungslast), kann sich der Kläger nicht erfolgreich darauf berufen, dass ihm diese zur eigenen Überprüfung der materiellen Berechtigung nicht vorlagen. Gleiches gilt hinsichtlich der geltend gemachten formellen Mängel der Mitteilungen im Hinblick auf das Begründungserfordernis des § 203 Abs. 5 VVG, denn auch diesbezüglich war es dem Kläger unbenommen, diese hinsichtlich der Einhaltung des gesetzlichen Begründungserfordernisses innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist, beginnend ab dem Schluss des Jahres des Inkrafttretens der jeweiligen Beitragserhöhung, zur gerichtlichen Überprüfung zu stellen. Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass es aufgrund unklarer Rechtslage im Hinblick auf die Anforderungen an die Mitteilung der maßgeblichen Gründe gemäß § 203 Abs. 5 VVG an einer Kenntnis bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB fehle. Denn dem Kläger war der Inhalt der jeweiligen Anpassungsschreiben, insbesondere die Tatsachen, die die zeitweise fehlende Wirksamkeit der Prämienerhöhung begründen, bekannt (OLG Köln, Urteil vom 27. Oktober 2020 – 9 U 74/20 –, Rn. 88, juris). Eine Rechtslage ist nicht schon dann unsicher und zweifelhaft, wenn eine Rechtsfrage umstritten und noch nicht höchstrichterlich entschieden ist.
Einem Gläubiger ist die Erhebung einer Klage jedenfalls dann nicht unzumutbar, wenn er bereits vor einer höchstrichterlichen Entscheidung seinen Anspruch gegenüber dem Schuldner geltend macht und dadurch zu erkennen gibt, vom Bestehen des Anspruchs auszugehen (OLG Köln, Urteil vom 27. Oktober 2020 – 9 U 74/20 –, Rn. 89, juris m.w.N.).
- b) Vorliegend unterliegen die Zahlungen bis zum 12.2016 auf die Beitragsanpassungen der Verjährung. Insgesamt ergibt sich unter Berücksichtigung der gerade dargestellten Erwägungen ein Rückforderungsanspruch in Höhe von 9.325,80 €, was sich aus folgender Tabelle ergibt:
Zahlungen in nicht verjährter Zeit
von |
bis |
Anzahl Monate |
Betrag BAP |
Insg. |
01.01.2017 |
31.12.2019 |
36 |
3,24 € |
116,64 € |
01.01.2017 |
31.12.2019 |
36 |
32,41 € |
1166,76 € |
01.01.2017 |
31.12.2019 |
36 |
17,89 € |
644,04 € |
01.01.2017 |
31.12.2019 |
36 |
37,41 € |
1346,76 € |
01.01.2017 |
31.12.2019 |
36 |
3,74 € |
134,64 € |
01.01.2017 |
31.12.2019 |
36 |
20,65 € |
743,4 € |
01.01.2017 |
31.12.2019 |
36 |
4,7 € |
169,2 € |
01.01.2017 |
31.12.2019 |
36 |
25,94 € |
933,84 € |
01.01.2017 |
31.12.2019 |
36 |
46,99 € |
1691,64 € |
01.01.2018 |
31.12.2019 |
24 |
60 € |
1440 € |
01.01.2018 |
31.12.2019 |
24 |
6 € |
144 € |
01.01.2018 |
31.12.2019 |
24 |
33,12 € |
794,88 € |
Insgesamt |
|
|
|
9.325,80 € |
- Die Beklagte kann sich nicht auf einen Wegfall der Bereicherung berufen.
- a) Die Beklagte ist nicht dadurch entreichert, dass sie die vereinnahmten höheren Prämien unter anderem zur Erbringung von Versicherungsleistungen verwendet Mit der Erbringung von Ver sicherungsleistungen hat sie eigene Verbindlichkeiten aus dem weiterhin wirksamen Versiche rungsvertrag erfüllt. Verwendet der Empfänger einer Leistung die Mittel dazu, sich von einer Ver bindlichkeit zu befreien, besteht die Bereicherung grundsätzlich fort (BGH, Urteil vom 10. März 2021 – IV ZR 353/19 –, Rn. 29 – 32, juris, m. w. N.; OLG Köln, Urteil vom 27. Oktober 2020 – I-9 U 74/20 –, Rn. 74, juris).
- b) Soweit die Beklagte die erhöhten Prämienzahlungen zur Bildung von Rückstellungen verwen det haben will, fehlt es an einem dauerhaften Vermögensverlust. Zahlungen des Versicherungs nehmers, die ohne wirksame Prämienerhöhung erfolgten, sind nicht nach den für Prämien gelten den Vorschriften zu verwenden (BGH, Urteil vom März 2021 – IV ZR 353/19 –, Rn. 31, juris). Falls die Beklagte aus den Zahlungen des Klägers ohne gesetzliche Grundlage Rückstellungen
gebildet haben sollte, kommt es für die Entreicherung auf die Möglichkeiten einer Rückbuchung oder späteren Verrechnung gegenüber dem Kläger an. Eine Bereicherung ist nicht weggefallen, soweit der Bereicherte seine eigene Verfügung über den empfangenen Vermögensvorteil wieder rückgängig machen kann (BGH, Urteil vom 10. März 2021 – IV ZR 353/19 –, Rn. 32, juris). Die Be klagte hat trotz ihres umfangreichen Vortrages bisher nicht konkret dargetan, dass es ihr bei einer gerichtlichen Feststellung der Unwirksamkeit der erhöhten Prämien nicht möglich wäre, die zur Bildung von Sparprämien und gesetzlichen Beitragszuschlägen bzw. Rückstellungen verwendeten erhöhten Prämienanteile wieder zurück zu buchen oder mit späteren auf diese Prämienanteile zu erbringenden Aufwendungen zu verrechnen. Bei der Möglichkeit einer Rückbuchung oder späteren Verrechnung scheidet eine Entreicherung der Beklagten von vornherein aus.
III. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch aus §§ 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt., 818 Abs. 1 BGB auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen aus den von ihm gezahlten erhöhten Prämienanteilen aufgrund der nicht wirksam begründeten Prämienerhöhung in dem aus dem Tenor zu Ziff. 1 ersichtlichen Umfang (vgl. OLG Köln, Urteil vom 27. Oktober 2020 – 9 U 74/20 –, Rn. 95, ju ris). Der Anspruch auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen ist auf die Zeit vor Eintritt der Verzinsungspflicht für die Hauptforderung beschränkt (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2020 – IV ZR 294/19 –, BGHZ 228, 56-75, Rn. 58) und war daher nur zeitlich beschränkt zuzusprechen. Die Nutzungen waren im tenorierten Umfang und antragsgemäß aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB zu verzinsen ab Rechtshängigkeit, da die Klägerseite die Herausgabe der Nutzungen vorgerichtlich gegenüber der Beklagten geltend gemacht hat.
- Ein Anspruch des Klägers auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten besteht nicht. Die Kosten eines verzugsbegründenden anwaltlichen Mahnschreibens sind nicht erstattungsfähig, da sie nicht infolge des Verzugs der Beklagten entstanden sind. Dem klägerischen Vortrag ist nicht zu entnehmen, dass sich die Beklagte bei Übersendung und Zugang des vorgerichtlichen anwaltlichen Mahnschreibens schon in Verzug befunden hat.
- Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
- Beim Streitwert war hinsichtlich des Klageantrags Ziff. 1 sowohl § 9 S. 1 ZPO als auch § 9 S. 2 ZPO zu berücksichtigen. Da es sich um eine negative Feststellungsklage handelt, war kein Feststellungsabschlag zu machen. Der Antrag Ziff. 2 war in voller Höhe und damit mit 20.815,92 € anzurechnen, während es sich bei den Anträgen Ziff. 3 und 4 lediglich um Nebenforderungen handelt. Insgesamt liegt der Streitwert bei der Wertstufe bis 40.000,00 €.
2 O 449/20 – 18 –
Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen die Entscheidung, mit der der Streitwert festgesetzt worden ist, kann Beschwerde eingelegt werden, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt oder das Gericht die Beschwerde zugelassen hat.
Die Beschwerde ist binnen sechs Monaten bei dem
Landgericht Offenburg
Hindenburgstraße 5
77654 Offenburg
einzulegen.
Die Frist beginnt mit Eintreten der Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache oder der anderweitigen Erledigung des Verfahrens. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf der sechsmonatigen Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht.
Die Beschwerde ist schriftlich einzulegen oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle des genann ten Gerichts. Sie kann auch vor der Geschäftsstelle jedes Amtsgerichts zu Protokoll erklärt werden; die Frist ist jedoch nur gewahrt, wenn das Protokoll rechtzeitig bei dem oben genannten Gericht eingeht. Eine anwaltliche Mitwirkung ist nicht vorgeschrieben.
Rechtsbehelfe können auch als elektronisches Dokument eingelegt werden. Eine Einlegung per E-Mail ist nicht zulässig. Wie Sie bei Gericht elektronisch einreichen können, wird auf www.ejustice-bw.de beschrieben.
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