Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
Kläger
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanw. KRAUS GHENDLER RUVINSKIJ Ghendler Ruvinskij RA PartG mbB, Aachener Str. 1, 50674 Köln,
gegen
Nürnberger Krankenversicherung vertr. d. den Vorstand Christian Barton, Ostendstraße 100, 90334 Nürnberg,
Beklagte
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanw. BLD Bach Langheid Dallmayr, Theodor-Heuss Ring 13 – 15, 50668 Köln, Geschäftszeichen:
hat die 30. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main durch die Richterin am Landgericht Dr. Schlenk aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26.05.2021
für Recht erkannt:
1. Es wird festgestellt, dass folgende Erhöhungen des Monatsbeitrags in der zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehenden Kranken-/ Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer .. unwirksam sind:
a) im Tarif TOP die Erhöhung zum 01.01.2012 bis zum 31.05.2021 um 42,73 €
b) im Tarif TOP die Erhöhung zum 01.01.2013 bis zum 31.05.2021 um 42,69 €
c) im Tarif TA6 die Erhöhung zum 01.01.2013 bis zum 31.05.2021 um 5,26 €
d) im Tarif PT die Erhöhung zum 01.01.2015 bis zum 31.05.2021 um 1,26 €
e) im Tarif ZZ20 die Erhöhung zum 01.01.2015 bis zum 31.05.2021 um 2,75 €
f) im Tarif SZ2 die Erhöhung zum 01.01.2015 bis zum 31.05.2021 um 2,12 €
g) im Tarif TOP die Erhöhung zum 01.01.2015 bis zum 31.05.2021 um 43,12 €
h) im Tarif TA6 die Erhöhung zum 01.01.2016 bis zum 31.05.2021 um -0,23 €
i) im Tarif TOP die Erhöhung zum 01.01.2017 bis zum 31.05.2021 um 54,04 €
j) im Tarif ZZ20 die Erhöhung zum 01.01.2017 bis zum 31.05.2021 um -1,33 €
k) im Tarif PT die Erhöhung zum 01.01.2017 bis zum 31.05.2021 um 0,65 €
l) im Tarif TOPH die Erhöhung zum 01.01.2017 bis zum 31.05.2021 um 3,29 €
2. Es wird festgestellt, dass der Kläger nicht zur Tragung des jeweiligen Erhöhungsbetrags aus den folgenden Tarifen bis zum 31.05.2021 verpflichtet war
a) im Tarif TOP die Erhöhung zum 01.01.2012 um 42,73 €
b) im Tarif TOP die Erhöhung zum 01.01.2013 um 42,69 €
c) im Tarif TA6 die Erhöhung zum 01.01.2013 um 5,26 €
d) im Tarif PT die Erhöhung zum 01.01.2015 um 1,26 €
e) im Tarif ZZ20 die Erhöhung zum 01.01.2015 um 2,75 €
f) im Tarif SZ2 die Erhöhung zum 01.01.2015 um 2,12 €
g) im Tarif TOP die Erhöhung zum 01.01.2015 um 43,12 €
h) im Tarif TA6 die Erhöhung zum 01.01.2016 um -0,23 €
i) im Tarif TOP die Erhöhung zum 01.01.2017 um 54,04 €
j) im Tarif ZZ20 die Erhöhung zum 01.01.2017 um -1,33 €
k) im Tarif PT die Erhöhung zum 01.01.2017 um 0,65 €
l) im Tarif TOPH die Erhöhung zum 01.01.2017 um 3,29 €,
und sich der Gesamtbetrag entsprechend reduzierte.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 9.468,48 € nebst Zinsen hieraus in
Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 18.12.2020 zu zahlen.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen
verpflichtet ist, die sie bis zum 17.12.2020 aus den seit dem 01.01.2017 auf die unter Ziffer 2 aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlten Prämienanteilen gezogen hat
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger zu 40% und der Beklagten zu 60%
auferlegt.
7. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit von Prämienanpassungen in einer privaten Krankenversicherung.
Zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht seit dem Jahr 2005 ein Vertragsverhältnis über Leistungen nach den Tarifen TOP, TOPH, ZZ20, SZ2, PT und TA6.
Bei dem Tarif TOP handelt es sich um einen Krankheitskostentarif mit Leistungen für ambulante, stationäre und zahnärztliche Behandlungen. Bei dem Tarif TOPH handelt es
sich um einen Zusatztarif für ärztliche und zahnärztliche Behandlungen, bei dem Tarif ZZ20 handelt es sich um einen Ergänzungstarif für zahnärztliche Behandlungen; bei dem Tarif SZ2 um eine stationäre Zusatzversicherung. Bei dem Tarif TA6 handelt es sich
um eine Krankentagegeldversicherung; bei dem Tarif PT um eine Pflegetagegeldversicherung.
Nach dem Beginn des Versicherungsverhältnisses nahm die Beklagte mehrere Anpassungen bei den vertraglich vereinbarten Prämien vor. Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen Prämienanpassungen, die von der Beklagten seit dem Jahr 2012 vorgenommen wurden. Im Einzelnen betrifft dies die folgenden Anpassungen:
In dem Tarif TOP:
– die Erhöhung zum 01.01.2012 in Höhe von 42,73 €
– die Erhöhung zum 01.01.2013 in Höhe von 42,69 €
– die Erhöhung zum 01.01.2015 in Höhe von 43,12 €
– die Erhöhung zum 01.01.2017 in Höhe von 54,04 €
– die Erhöhung zum 01.01.2020 in Höhe von 74,40 €
In dem Tarif TOPH:
– die Erhöhung zum 01.01.2017 in Höhe von 3,29 €
– die Erhöhung zum 01.01.2020 in Höhe von 3,10 €
In dem Tarif TAG:
– die Erhöhung zum 01.01.2013 in Höhe von 5,26 €
– die Absenkung zum 01.01.2016 in Höhe von (-) 0,23 €
– die Erhöhung zum 01.01.2018 in Höhe von 4,33 €
– die Erhöhung zum 01.01.2019 in Höhe von 0,52 €
In dem Tarif PT:
• die Erhöhung zum 01.01.2015 in Höhe von 1,26 €
– die Erhöhung zum 01.01.2020 in Höhe von 5,20 €
In dem Tarif ZZ20:
– die Erhöhung zum 01.01.2015 in Höhe von 2,75 €
– die Absenkung zum 01.01.2017 in Höhe von (-) 1,33 €
–
die Erhöhung zum 01.01.2019 in Höhe von 0,20 €
In dem Tarif SZ2:
– die Erhöhung zum 01.01.2015 in Höhe von 2,12 €
– die Erhöhung zum 01.01.2018 in Höhe von 2,89 €.
Die Erhöhungen erfolgten jeweils aufgrund einer Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen. Diese Abweichungen beliefen sich jeweils auf über 10 %. Die Anpassung der Prämien wurde dem Kläger jeweils schriftlich angekündigt. Die Beklagte übersandte hierzu jeweils im zweiten Monat vor angekündigtem Inkrafttreten der Erhöhung ein Anschreiben nebst weiteren Informationsblättern an den Kläger. Wegen des genauen Inhalts der Anschreiben nebst Anlagen wird auf das Anlagenkonvolut BLD 07 im Anlagenband Bezug genommen.
Alle vorgenannten Erhöhungsbeiträge wurden von dem Kläger entrichtet.
Für das Kalenderjahr 2019 erhielt der Kläger für Leistungsfreiheit eine Beitragsrückerstattung in Höhe von 426,29 €.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 24.09.2020 machte der Kläger die Unwirksamkeit der Prämienerhöhungen geltend und forderte die Beklagte unter Setzung einer Frist zur Rückzahlung der auf die Erhöhungen gezahlten Prämienanteile einschließlich der daraus gezogenen Nutzungen auf.
Der Kläger ist der Auffassung, dass die angegriffenen Erhöhungen in formeller Hinsicht unwirksam seien, da die Mitteilungen hierüber nicht den gesetzlichen Anforderungen nach § 203 Abs. 5 WG genügten. Weiter ist er der Auffassung, dass keine Verjährung eingetreten sei.
Mit der am 17.12.2020 zugestellten Klageschrift hat der Kläger zunächst in seinem Zahlungsantrag die oben genannten Beitragsabsenkungen im Tarif TA6 zum 01.01.2016 und im Tarif ZZ20 zum 01.01.207 nicht berücksichtigt und Zahlung von 15.619,65 Euro begehrt. Nach Erhalte der Klageerwiderung am 07.04.2021 (Bl. 141a d.A.) hat der Kläger die Klage dann in Höhe von 83,88 € teilweise zurückgenommen. Im Termin zur mündli
chen Verhandlung vom 26.05.2021 hat der Kläger sodann den Klageantrag zu 1) in Bezug auf den Erhöhungsbetrag ab dem 01.06.2021 für erledigt erklärt.
Der Kläger beantragt nunmehr:
1. festzustellen, dass folgende Erhöhungen des Monatsbeitrags in der zwischen der
Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/ Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer .. unwirksam sind:
a) im Tarif TOP die Erhöhung zum 01.01.2012 in Höhe von 42,73 €
b) im Tarif TOP die Erhöhung zum 01.01.2013 in Höhe von 42,69 € c) im Tarif TA6 die Erhöhung zum 01.01.2013 in Höhe von 5,26 €
d) im Tarif PT die Erhöhung zum 01.01.2015 in Höhe von 1,26 €
e) im Tarif ZZ20 die Erhöhung zum 01.01.2015 in Höhe von 2,75 € f) im Tarif SZ2 die Erhöhung zum 01.01.2015 in Höhe von 2,12 €
g) im Tarif TOP die Erhöhung zum 01.01.2015 in Höhe von 43,12 €
h) im Tarif TA6 die Erhöhung zum 01.01.2016 in Höhe von -0,23 €
i) im Tarif TOP die Erhöhung zum 01.01.2017 in Höhe von 54,04 €
j) im Tarif ZZ20 die Erhöhung zum 01.01.2017 in Höhe von -1,33 €
k) im Tarif PT die Erhöhung zum 01.01.2017 in Höhe von 0,65 €
l) im Tarif TOPH die Erhöhung zum 01.01.2017 in Höhe von 3,29 €
m) im Tarif SZ2 die Erhöhung zum 01.01.2018 in Höhe von 2,89 €
n) im Tarif TA6 die Erhöhung zum 01.01.2018 in Höhe von 4,33 €
o) im Tarif ZZ20 die Erhöhung zum 01.01.2019 in Höhe von 0,20 €
p) im Tarif TA6 die Erhöhung zum null 01.01.2019 in Höhe von 0,52 €
q) im Tarif TOPH die Erhöhung zum 01.01.2020 in Höhe von 3,10 €
r) im Tarif TOP die Erhöhung zum 01.01.2020 in Höhe von 74,40 €
s) im Tarif PT die Erhöhung zum 01.01.2020 in Höhe von 5,20 €
und die Klägerseite bis zum 01.06.2021 nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet ist;
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerseite 15.535,77 € nebst Zinsen hieraus in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
3. festzustellen, dass die Beklagte
a) der Klägerseite zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem
Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerin auf die unter 1) aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat,
b) die nach 3a) herauszugebenden Nutzungen in Höhe von 5 Prozentpunkten
über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu verzinsen hat.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von
1.524,28 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit für die außergerichtliche anwaltliche Rechtsverfolgung zu zahlen.
Die Beklagte widerspricht der teilweisen Erledigungserklärung und beantragt,
die Klage abzuweisen
sowie dem Kläger auch die Kosten in Hinblick auf die Klagerücknahme aufzuerlegen.
Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung und ist Auffassung, die Prämienerhöhungen seien ordnungsgemäß. Darüber hinaus beruft sich die Beklagte insbesondere in Bezug auf die Beitragsrückerstattung auf Entreicherung.
Ergänzend wird auf den weiteren Sachvortrag in den von den Parteien gewechselten Schriftsätzen und in den Terminen der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nur teilweise erfolgreich.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung der Unwirksamkeit der Beitragsanpassungen wie aus dem Tenor ersichtlich. Im Übrigen ist der Feststellungsantrag zu 1 unbegründet.
Der Leistungsantrag zu 2. ist nur in einer Höhe von 9.468,48 € begründet, im Übrigen unbegründet. Über den zuerkannten Betrag hinaus stehen der Klägerin keine bereicherungsrechtlichen Zahlungsansprüche zu.
Der Feststellungsantrag zu 3. ist nur im tenorierten Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.
Die teilweise Erledigungserklärung des Klägers ist bei verständiger Würdigung dahin auszulegen, dass der Kläger die Feststellung begehrt, dass seine ursprüngliche Feststellungsklage insoweit zunächst zulässig und begründet war und durch die Zustellung der Klageerwiderung eine Heilung des Formmangels als erledigendes Ereignis eingetreten ist, wodurch der Feststellungsantrag zu 1. am Ende ab diesem Zeitpunkt – zuzüglich der gesetzlichen Bekanntgabefrist in $ 203 Abs. 5 WG – unbegründet geworden ist. Der Kläger begehrt mithin die Feststellung, dass die Absenkung des monatlich zu zahlenden Gesamtbeitrags von der Zustellung der Klageschrift an bis zum Erhalt der Klageerwiderung zulässig und begründet gewesen sei.
Auf diese einseitige Erledigungserklärung des Klägers hin ist festzustellen, dass der Gesamtbetrag unter Berücksichtigung der erfolgten Absenkung in dem Zeitraum bis 31.05.2021 reduziert war und dass der Rechtsstreit insoweit ab dem 01.06.2021 erledigt ist. Der ursprüngliche Feststellungsantrag war nur in Bezug auf die Erhöhungen in den Tarifen wie im Tenor ersichtlich begründet. Im Übrigen ist der Feststellungsantrag unbegründet, da keine Erledigung eingetreten ist, sondern auch der ursprüngliche Feststellungsantrag zu 1 letzter Halbsatz schon unbegründet war.
Die Klage ist insgesamt zulässig. Dies gilt insbesondere auch für die Feststellungsanträge zu 1 und 3. Der Kläger hat diesbezüglich ein Feststellungsinteresse nach § 256 ZPO.
Ein feststellungsfähiges gegenwärtiges Rechtsverhältnis liegt vor, soweit der Kläger die Unwirksamkeit der Beitragsanpassungen festgestellt wissen möchte. Allein mit dem von dem Kläger erstrebten Leistungsurteil auf Rückzahlung überbezahlter Beiträge wäre nicht rechtskräftig festgestellt, dass er auch zukünftig nicht zur Zahlung des sich aus den streitgegenständlichen Beitragsanpassungen ergebenden Erhöhungsbetrags verpflichtet ist (BGH, Urteil vom 19.12.2018, Az.: IV ZR 255/17, juris Rn. 17). Die begehrte Feststel
lung der Unwirksamkeit einer Prämienerhöhung ist eine Vorfrage für den Leistungsantrag und geht damit über das mit dem Leistungsantrag zu 2. erfasste Rechtsschutzziel hinaus, weshalb eine Zulässigkeit insoweit sich auch aus § 256 Abs. 2 ZPO ergibt (BGH, Urteil vom 19.12.2018, Az.: IV ZR 255/17, juris Rn. 17).
Der Zulässigkeit des Feststellungsantrags zu 1 h und j steht auch nicht entgegen, dass es sich insoweit um eine Herabsetzung des jeweiligen Betrages handelt. Grundsätzlich fehlt es an einem feststellungsfähigen gegenwärtigen Rechtsverhältnis, wenn sich der Versicherungsnehmer nicht zugleich gegen die Wirksamkeit einer nachfolgenden Beitragsanpassung wendet, da für die Wirksamkeit einer Neufestsetzung und der daraus folgenden Beitragspflicht die Fehlerhaftigkeit einer zeitlich früheren Beitragsanpassung ohne Bedeutung ist (BGH, Urteil vom 16.12.2020, Az.: IV ZR 314/19).
Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet und im Übrigen unbegründet.
Die Prämienanpassungen bis zur Anpassung zum 01.01.2018 waren formell unwirksam, sodass dies entsprechend festzustellen war.
In den Begleitschreiben bezüglich der Anpassungen zum 01.01.2012, 01.01.2013, 01.01.2015, 01.01.2016 und 01.01.2017 hat die Beklagte nicht hinreichend klar über die maßgeblichen Gründe der konkreten Erhöhung informiert. Die Begründungsschreiben erfüllen daher nicht die Anforderungen des § 203 Abs. 5 WG, insbesondere auch ge messen an der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom 16.12.2020, Az. IV ZR 314/19 und IV ZR 294/19. Wie der Bundesgerichtshof in den genannten Entscheidungen ausgeführt hat, ist dem Versicherungsnehmer die Berechnungsgrundlage anzugeben, deren Veränderung die Neufestsetzung veranlasst hat. Dabei muss sich das Anschreiben auch auf die konkret in Rede stehende Prämienanpassung beziehen. Die
konkrete Höhe der Veränderung sei daneben nicht entscheidend.
In dem Schreiben vom November 2016 hinsichtlich der Anpassung zum 01.01.2017 teilt die Beklagte in allgemein gehaltener Form mit, dass medizinischer Fortschritt, neue Be10
handlungsmethoden und Medikamente wesentlich zu einer höheren Lebenserwartung beitrügen, was aber auch zu höheren Ausgaben im Gesundheitswese führe. Doch das Verhältnis von Beitragseinnahmen und Leistungsausgaben müsse ausgewogen sein. Die Beklagte teilte ferner mit, dass sie gesetzlich verpflichtet sei, die Beiträge ihrer Tarife regelmäßig zu prüfen, und, wenn notwendig, anzupassen. Die Beklagte erklärt sodann, dass der neue Beitrag des Klägers EUR 711,35 betrage. Die Beklagte erklärt in diesem Schreiben mithin, wann Beitragsanpassungen vorzunehmen seien. Sie teilt dem Kläger jedoch nicht die Berechnungsgrundlage mit, deren Veränderung die Neufestsetzung veranlasst hat.
Auch das Anschreiben vom November 2015 bezüglich der Anpassung zum 01.01.2016 genügt nicht den Anforderungen des § 203 Abs. 5 WG. Auch in diesem Schreiben fehlt es an einer Benennung der Berechnungsgrundlage, deren Veränderung die Neufestsetzung veranlasst hat. Entsprechendes gilt auch für das Anschreiben von November 2014 aufgrund der Anpassung zum 01.01.2015. Auch hier fehlt es an einer Angabe der Berechnungsgrundlage.
Den Anforderungen des § 203 Abs. 5 WG genügen auch die Anschreiben vom November 2012 und vom November 2011 nicht. Die Anschreiben entsprechen inhaltlich im Wesentlichen den Anschreiben aus dem Zeitraum November 2014 bis 2017. Nachdem die Beklagte in diesen Schreiben zunächst in allgemein gehaltener Form über ihre Pflicht zur Überprüfung und Anpassung schildert, wird dem Kläger sodann mitgeteilt, dass sich sein monatlicher Beitrag „demnach” ändert und dann“ den dort genannten Betrag beträgt. Durch die Verwendung der Formulierung mit „demnach“ und „dann“ stellt die Beklagte eine Verknüpfung zum zuvor Gesagten her. Es bleibt aber auch nach dieser Verknüpfung offen, welche Berechnungsgrundlage sich im konkreten Fall verändert hat.
Die in der Klageerwiderung nachgeholten Angaben zu den Gründen der Prämienanpassungen bis zur Anpassung zum 01.01.2018 sind ausreichend und führen zu einer Heilung ex nunc, sodass die zu den genannten Daten vorgesehenen Beitragsanpassungen nach § 203 Abs.5 WG erst ab dem zweiten auf die Zustellung der Klageerwiderung am 07.04.2021 folgenden Monat, mithin ab Juni 2021 wirksam wurden. Auf den Antrag des Klägers war daher die Unwirksamkeit der Prämienanpassungen bis zu diesem Zeitpunkt festzustellen. Durch die Nachholung einer den Anforderungen des § 203 Abs.5 VVG genügenden Begründung wird die für die Wirksamkeit der Neufestsetzung der Prämie an
geordnete First in Lauf gesetzt (BGH, Urteil vom 16.12.2020, Az.: IV ZR 294/19, Rn. 42; Urteil vom 19.12.2018, Az.: IV ZR 255/17, Rn. 66).
b.
Der Feststellungsantrag zu 1 m bis s ist demgegenüber unbegründet.
Die Beitragsanpassungen der Beklagten zum 01.01.2018 oder später waren formell rechtmäßig. Die Beklagte hat die streitgegenständlichen Prämienerhöhungen dem Kläger jeweils in ordnungsgemäßer Form rechtzeitig mitgeteilt. Materielle Einwendungen wurden nicht erhoben, sodass sich hieraus keine Ansprüche des Klägers ergeben.
Die Begründungsschreiben erfüllen jeweils die Anforderungen des § 203 Abs. 5 WG, insbesondere auch gemessen an der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
Die Beklagte hat in ihrem Schreiben von November 2019 hinsichtlich der Anpassung zum 01.01.2020 mitgeteilt, dass sie verpflichtet sei, für jeden Tarif die einkalkulierten mit den tatsächlich ausgezahlten Versicherungsleistungen zu vergleichen. Ferner teilt die Beklagte mit, dass wenn sie“ also die kalkulierten und die tatsächlich ausgezahlten Versicherungsleistungen voneinander abweisen und diese Abweichung nicht nur vorübergehend sei, eine Beitragsanpassung erforderlich sei. „Genau dies“ sei auch der Grund für die Anpassung der Beiträge. Damit hat die Beklagte hinreichend deutlich gemacht, dass eine Änderung der Leistungsausgaben zu den Beitragsanpassungen zum 01.01.2020 führte. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer versteht ohne weiteres das hier genutzte Wort „Versicherungsleistungen“ als „Leistungsausgaben“. Wenn das Gesetz ($ 203 Abs. 5 WG) es dem Versicherungsnehmer zumutet, das Wort „Leistungsausgaben“ dahingehend zu verstehen, dass hiermit die Leistungen gemeint sind, die der Versicherer insgesamt zu erbringen hat, also der „Schaden“ des Versicherers, dann kann dem Versicherungsnehmer das Wort „Versicherungsleistungen“ ebenso gut zugemutet wer den. Es ist für den Verbraucher nicht mehr oder weniger verständlich als der im Gesetz gewählte Terminus.
Hinsichtlich des Anschreibens vom November 2018 bezüglich der Anpassung zum 01.01.2019 und des Anschreibens vom November 2017 bezüglich der Anpassung zum 01.01.2018 gilt das soeben Gesagte entsprechend. Auch hier hat die Beklagte hinreichend deutlich gemacht, dass die Anpassung der Prämien auf einer nicht vorübergehen
den Abweichung der einkalkulierten Versicherungsleistung von den tatsächlich ausgezahlten Versicherungsleistungen beruht.
Der Zahlungsantrag zu 2. ist in einer Höhe von 9.468,48 € begründet, im Übrigen unbegründet. Die Beklagte hat (gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB) dem Kläger das zurückzuerstatten was sie aus den unrechtmäßigen Prämienerhöhungen bis zur Rechtshängigkeit (18.12.2020) erlangt hat, $ 308 ZPO, soweit keine Verjährung eingetreten ist. Hierbei handelt es sich um 9.468,48 €.
Die infolge der zunächst formell unwirksam vorgenommenen Beitragsanpassungen sind für den Zeitraum Januar 2017 bis einschließlich Dezember 2020 zurückzuerstatten, § 308 ZPO.
Mithin ist wie folgt zu rechnen:
• Beitragserhöhung im Tarif TOP zum 01.01.2012 um 42,73 € ab dem 01.01.2017
bis 31.12.2020 = 48 Monate x 42,73 € = 2.051,04 € Beitragserhöhung im Tarif TOP zum 01.01.2013 um 42,69 € ab dem 01.01.2017 bis 31.12.2020 = 48 Monate x 42,69 € = 2.049,12 € Beitragserhöhung im Tarif TOP zum 01.01.2015 um 43,12 € ab dem 01.01.2017 bis 31.12.2020 = 48 Monate x 43,12 € = 2.069,76 € Beitragserhöhung im Tarif TOP zum 01.01.2017 um 54,04 € ab dem 01.01.2017 bis 31.12.2020 = 48 Monate x 54,04 € = 2.593,92 € Beitragserhöhung im Tarif TOPH zum 01.01.2017 um 3,29 € ab dem 01.01.2017
bis 31.12.2020 = 48 Monate x 3,29 € = 157,92 €
• Beitragserhöhung im Tarif TAG zum 01.01.2013 um 5,26 € ab dem 01.01.2017 bis
312.12.2020 = 48 Monate x 5,26 € = 252,48 € Beitragserhöhung im Tarif PT zum 01.01.2015 um 1,26 € ab dem 01.01.2017 bis 31.12.2020 = 48 Monate x 1,26 € = 60,48 € Beitragserhöhung im Tarif ZZ20 zum 01.01.2015 um 2,75 € ab dem 01.01.2017 bis 31.12.2020 = 48 Monate x 2,75 € = 132,00 € Beitragserhöhung im Tarif SZ2 zum 01.01.2015 um 2,12 € ab dem 01.01.2017 bis 31.12.2020 = 48 Monate x 2,12 € = 101,76 €
Der Anspruch des Klägers war auch nicht durch eine Entreicherung der Beklagten zu mindern. Der Rückgewähranspruch umfasst die zu Unrecht gezahlten Erhöhungsbeträge uneingeschränkt (BGH, Urteil vom 16.12.2020, Az. IV ZR 294/19, Rn. 45).
Der Zinsanspruch auf die zu Unrecht gezahlten Prämienanteile beruht auf § 291 ZPO.
Im Übrigen steht dem Kläger für die Zeiträume vor dem 01.01.2017 kein durchsetzbarer Anspruch zu. Der Zahlungsantrag unterliegt insoweit der Abweisung, als der Kläger auch für die Zeiträume vor dem 01.01.2017 die Rückzahlung zu Unrecht erbrachter Prämienleistungen begehrt hat. Der Beklagten steht diesbezüglich das Leistungsverweigerungsrecht der Verjährung zu, S$ 214, 199, 195 BGB.
Bereicherungsansprüche verjähren nach $ 195 BGB in drei Jahren, wobei die regelmäßige Verjährungsfrist grundsätzlich mit Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste, § 199 Abs. 1 BGB. Der Gläubiger eines Bereicherungsanspruchs aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB hat Kenntnis von
anspruchsbegründenden Umständen, wenn er von der Leistung und den Tatsachen weiß, aus denen sich das Fehlen des Rechtsgrundes für die erfolgte Leistung ergibt (st. Rspr. BGH NJW 2008, 1729; NJW-RR 2010, 1574; NJW 2014, 3713). Vorliegend kannte der Kläger die Tatsache der Beitragserhöhungen jeweils aufgrund der an ihn gerichteten Schreiben. Darüber hinaus war ihm seine eigene Leistung bekannt. Die bereicherungsrechtlichen Ansprüche entstanden nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB jeweils mit jeder monatlichen Zahlung.
Grundsätzlich reicht eine Kenntnis aus, die den Berechtigten in die Lage versetzt, eine Feststellungsklage zu erheben, auch wenn ihn dabei ein Prozessrisiko trifft. Dies war hier für den Kläger bereits vor Ablauf der Verjährungsfrist der Fall gewesen. Unerheblich ist, inwieweit es dem Versicherungsnehmer hierbei möglich ist, die materielle Rechtmäßigkeit einer Beitragsanpassung zu beurteilen. Denn eine Feststellungsklage ist unabhängig hiervon möglich und zumutbar gewesen, insbesondere auch deshalb, da im Rahmen einer negativen Feststellungsklage die Beklagte zur Darlegung und ggf. Beweis einer materiellen Berechtigung verpflichtet gewesen wäre. Überdies kann sich der Kläger nicht darauf berufen, mangels Berechnungsrundlagen nicht zur eigenen Prüfung der materiellen Berechtigung in der Lage gewesen zu sein, da der Versicherer vertraglich nicht zur Vorlage seiner Berechnungsgrundlagen verpflichtet ist.
Dem Beginn der Verjährungsfrist stand auch nicht eine unklare Rechtslage entgegen, aufgrund derer dem Kläger eine Klageerhebung nicht zuzumuten gewesen wäre. Eine unsichere oder zweifelhafte Rechtslage besteht nicht schon dann, wenn noch keine höchstrichterliche Entscheidung einer bestimmten Frage vorliegt. Vielmehr ist hierfür ein ernsthafter Meinungsstreit in Rechtsprechung und Schrifttum erforderlich (BGH NJW 2011, 1278, Rn. 21). Erst recht gilt dies, wenn der Durchsetzung des Anspruchs eine gegenteilige höchstrichterliche Rechtsprechung entgegensteht (BGH NJW 2015, 1948, Rn. 38). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Eine zumutbare Klageerhebung ist nicht erst dann gegeben, wenn die Klärung einer streitigen Rechtsfrage durch den Bundesgerichtshof herbeigeführt ist, sondern auch dann, wenn eine Klageerhebung hinreichend erfolgversprechend erscheint, wobei dies nicht risikolos möglich sein muss (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 25.07.2019, Az.: 1 U 169/18, Rn. 23).
Der Feststellungsantrag zu 3. ist soweit begründet, als der Kläger die Feststellung der Pflicht der Beklagten zur Herausgabe gezogener Nutzungen aus dem ohne Rechtsgrund geleisteten Prämienanteil festgestellt haben will. Dieser Anspruch auf Nutzungsherausgabe besteht jedoch nur bis zum Beginn der Verzinsungspflicht für die Hauptforderung (BGH, Urteil vom 16.12.2020, Az.: IV ZR 294/19, Rn. 58). Ein Anspruch auf Verzinsung der Nutzungen besteht hingegen nicht (BGH, Urteil vom 10.03.2021, Az.: IV ZR 353/19, Rn. 36).
Dem Kläger steht kein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltsgebühren zu, da er nicht hinreichend dargelegt hat, dass der von ihm geltend gemachte Schaden ihm
auch tatsächlich entstanden ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO bzw. § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO, soweit die Klage teilweise zurückgenommen wurde. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 ZPO.
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