Urteil des Landgerichts Görlitz zu PKV-Beitragserhöhungen vom 26.03.2021, Aktenzeichen: 1 O 245/20
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
– Klägerin –
Prozessbevollmächtigte: GHENDLER RUVINSKIJ Rechtsanwälte PartG mbB, Bachemstraße 8, 50676 Köln, Gz.
gegen
AXA Krankenversicherung AG, Colonia-Allee 10-20, 51067 Köln
v.d.d. Vorstand, d.v.d.d. Vorsitzenden
– Beklagte –
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte BLD Bach Langheid Dallmayr, Kaiserin-Augusta-Allee 104 – 106, 10553 Ber lin,
wegen Beitragserhöhung Krankenversicherung
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz durch
Richter am Landgericht Gocha als Einzelrichter
auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 01.03.2021 Folgendes
für Recht erkannt:
1. Es wird festgestellt, dass folgende Erhöhungen des Monatsbeitrags in der zwischen
der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/Pflegeversicherung mit der
Versicherungsnummer unwirksam sind:
a) im Tarif BSB30 die Erhöhung zum 01.01.2015 in Höhe von 18,38 Euro, b) im Tarif BSB30 die Erhöhung zum 01.01.2018 in Höhe von 62,07 Euro, und die Klägerseite nicht zur Zahlung des jeweiligen Zahlungsbetrages verpflichtet so wie der Gesamtbeitrag unter Berücksichtigung der erfolgten Absenkungen auf insgesamt 142,58 Euro zu reduzieren ist.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 3.075,18 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 17.08.2020 zu zahlen.
3.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte a) der Klägerseite zur Herausgabe der Nutzung verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die unter 1. aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat, b) die nach 3a herauszugebende Nutzung in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 17.08.2020 zu verzinsen hat.
4. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerseite von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Auslagen in Höhe von 727,90 Euro freizustellen.
5.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
6.
Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 7.000,00 Euro vorläufig vollstreckbar.
Die Sicherheitsleistung darf auch durch Bürgschaft im Sinne von § 108 Abs. 1 S. 2 ZPO erbracht werden.
Beschluss:
Der Streitwert des Rechtsstreits beträgt bis zu 7.000,00 Euro.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen Erhöhungen in einer bestehenden Kranken-/Pflegeversicherung durch die Beklagte.
Die Klägerin unterhält bei der Beklagten einen Krankenversicherungsvertrag unter der Versicherungsschein-Nr.. Versichert war u. a. der Tarif BSB30 der Beklagten. Einbezogen sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und Tarifbedingungen der Beklagten (BI. 90 – 99).
Die Klägerin wendet sich gegen Beitragsanpassungen im Tarif BSB30 zum 01.01.2015 und zum 01.01.2018
Als Treuhänder war bis Ende 2017 Herr Dipl.-Mathematiker Günter Klein bestellt. Der Treuhänder stimmte den Anpassungen zu (Bl. 105 – 113).
Die Beklagte übersandte der Klägerin im November 2014 Unterlagen zum Nachtrag zum Versicherungsschein (Bl. 128 – 143) und für die Beitragsanpassung zum 01.01.2018 im November 2017 einen Nachtrag zum Versicherungsschein nebst Anlagen (Bl. 114 – 127).
Der Nachtrag zum Versicherungsschein enthält unter der Rubrik „Änderungsgründe“ eine Ziff. 1 (Bl. 114 – 128). Diese Ziffer nimmt Bezug auf vier- bzw. fünfblättrige Änderungsgründe (BI. 115 – 119; BI. 129 – 132). Unter Ziff. 1 der Änderungsgründe zum 01.01.2015 steht: „Nähere In
formationen finden Sie in der separaten Beilage“. Bezüglich der Beitragsanpassung zum
01.01.2018 steht in den Änderungsgründen unter Ziff. 1:
„Beitragsanpassung In den beiliegenden „Informationen zur Beitragsanpassung“ finden Sie die maßgeblichen Gründe für die Beitragsanpassung entsprechend den Anforderungen aus § 3,5 Versicherungsvertragsgesetz (WG).”
Bezüglich der Beitragsanpassung zum 01.01.2015 enthält sodann das Anlagenkonvolut, das die Beklagte der Klägerin übersandt worden ist, Informationen zur Beitragsanpassung (BI. 133 – 137). Als Gründe für die Beitragssteigerung in der Krankenversicherung werden steigende Lebenserwartung, die Kapitalmarktsituation und die Entwicklung des Versicherungsbestandes
angegeben. Des Weiteren wird die Steigerung der Beiträge für die Pflegeversicherung mit
steigenden Leistungsausgaben begründet. Die Beitragssteigerung zum 01.01.2018 wird gemäß Information der Beklagten an die Klägerin (Bl. 120 – 122) mit steigender Lebenserwartung und Kostenentwicklung begründet bei der Krankenversicherung.
Unstreitig hat die Klägerin zu einem unbekannten Zeitpunkt den Beitragserhöhungen durch ei
nen anwaltlichen Schriftsatz ihrer jetzt bevollmächtigten Rechtsanwältin widersprochen.
Die Klägerin zahlte jedoch fortlaufend den mit den Beitragserhöhungen jeweils festgesetzten Beiträge für die Kranken- bzw. für die Pflegeversicherung an die Beklagte.
Die Klägerin meint, dass die Beitragserhöhungen zum 01.01.2015 und zum 01.01.2018 der Beklagten zum Tarif BSB30 nicht ausreichend von der Beklagten begründet worden seien und deshalb unwirksam seien. Zwar sei unstreitig, dass ein Versicherer nicht alle Details der Prämienkalkulation offenlegen müsse, aber er müsse die Erhöhungsgründe deutlich darlegen. Zur Mitteilung an den Versicherungsnehmer, wie hier der Klägerin, gehöre die Nennung der zugrundeliegenden Kennziffern oder Daten, so dass dem Versicherungsnehmer mindestens eine summarische Überprüfung möglich sei. Wichtigstes Kriterium für die Beurteilung, ob die Beitragserhöhung ausreichend begründet worden sei, sei, dass dem Versicherungsnehmer ermöglicht werde, sich bei einer fachkundigen Person Rat einzuholen. Die Informationen der Beitragsanpassung zum 01.01.2015 und zum 01.01.2018 würden nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen genügen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Klageschrift Bezug genom men. Die Klägerin habe ein Interesse, dass festgestellt werde, dass die Beitragserhöhungen unwirksam seien. Außerdem könne sie die Rückgewähr der zu viel gezahlten Prämien und Nutzungsentschädigungen in Höhe von 3.075,18 Euro verlangen. Ihr Begehren würde keine unzulässige Rechtsausübung darstellen. Die Beklagte könne sich nicht auf Entreicherung berufen. Die Ansprüche seien nicht verjährt. Die Klägerin beantragt,
wie erkannt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte meint, das Ansprüche der Klägerin verjährt seien, da die Klägerin bereits Ende 2014 bzw. Ende 2017 Kenntnis von den entsprechenden Beitragserhöhungen erlangt hat. Die streitgegenständlichen Beitragsanpassungen der Beklagten seien formell nicht zu beanstanden. Sie würden den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung genügen. We
gen der Einzelheiten wird auf die Klageerwiderung Bezug genommen. Die Beitragsanpassungen seien auch in materieller Hinsicht wirksam vorgenommen worden. Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Beklagten hierzu wird auf die Klageerwiderung Bezug genommen (S. 10 – 16 = Bl. 66 – 72). Die Anträge der Klägerin seien hilfsweise der Höhe nach unbegründet. Sie müsste sich Vermögensvorteile anrechnen lassen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Klageerwiderung (S. 17 – 26 = Bl. 73 – 82) Bezug genommen. Die Beklagte könne sich hilfsweise auf den Einwand der Entreicherung berufen (Klageerwiderung S. 26 – 29 = Bl. 82 – 85). Die Bereicherung der Klägerin sei hilfsweise auf die Gewinnquote beschränkt (Klageerwiderung S. 29, 30 = Bl. 85, 86). Die Kosten für die vorgerichtliche Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Klägerin seien mit einer 1,5 Gebühr übersetzt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet.
1. Die Klägerin kann im Verhältnis zur Beklagten die Feststellung begehren, dass ihren Erhöhungen im Tarif BSB30 zum 01.01.2015 in Höhe von 18,38 Euro und zum 01.01.2018 in Höhe von 62,07 Euro im Rahmen der zwischen den Parteien bestehenden Kranken-Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer unwirksam sind und die Klägerin nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet ist sowie der Gesamtbetrag unter Berücksichtigung der erfolgten Absenkungen von insgesamt 142,58 Euro zu reduzieren ist und dass die Beklagte an die Klägerin 3.075,18 Euro zuviel gezahlter Beiträge erstatten muss. Sie kann außerdem begehren, dass festgestellt wird, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin zur Herausgabe von Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die vorerwähnten Beitragserhöhungen gezahlt hat und sie ist verpflichtet, die herauszugebenden Nutzungen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 17.08.2020 zu verzinsen.
Das Gericht hält die entsprechenden Feststellungsanträge der Klägerin gemäß § 256 Abs.
1 ZPO für zulässig. Auch in der Sache ist die Klage begründet. Im wesentlichen folgt das Gericht der Entscheidung des BGH vom 16.12.2020 (AZ: IV ZR 294/19) und der der Instanz vorgehenden Entscheidung des OLG Köln vom 29.10.2019 (Az: 1-9 U 127/18, 9 U 127/18).
a) Die von der Beklagten gegenüber der Klägerin ausgesprochenen Beitragserhöhungen
zum 01.01.2015 und zum 01.01.2018 erfüllen, was die Begründung angeht, nicht die Voraussetzungen nach § 203 Abs. 5 WG. Die Klägerin konnte den Mitteilungen nicht mit der gebotenen Klarheit entnehmen, was zur Veränderung der Beitragsanpassung geführt hat. Die im vorliegenden Verfahren zur Information zur Beitragsanpassung vorgelegten Dokumente beschreiben lediglich in allgemein gehaltener Form Grundsätze zur Überprüfung der Notwendigkeit einer Prämienerhöhung. Es werden allgemeine Angaben zu steigenden Leistungsausgaben und zur steigenden Lebenserwartung gemacht. Im Rahmen des § 203 Abs. 5 WG ist indes zur Begründung der Prämienanpassung die Rechnungsgrundlage zu nennen, deren Veränderung die Prämienanpassung ausgelöst hat. Die Benennung der Rechnungsgrundlage muss auch bezogen auf die konkrete
Prämienanpassung erfolgen. Nicht ausreichend ist insofern, dass in den Informationsblättern allgemein darauf hingewiesen wird, dass eine Veränderung einer der beiden genannten Rechnungsgrundlagen eine Prämienanpassung auslösen kann, ohne klar dar
auf hinzuweisen, welche geänderte Rechnungsgrundlage die in Rede stehende konkrete Prämienerhöhung maßgeblich war. Eine bloße Erläuterung der allgemeinen gesetzlichen und tariflichen Grundlagen reicht nicht aus.
b) Gegenstand des Rechtsstreits ist derzeit nicht, inwieweit es zu einer Heilung unwirksamer Prämienanpassungen gekommen ist, die nach der vorzitierten Rechtsprechung zu
einer Heilung ex nunc führen würde.
c) Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass die Geltung des hier vorliegenden bereicherungsrechtlichen Anspruchs durch die Klägerin eine widersprüchliche und damit
unzulässige Rechtsausübung darstellen würde. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen
gen des Bundesgerichtshofs aus einem Urteil vom 16.12.2020 unter II. Anm. 6 Bezug
genommen.
d) Der Rückgewähranspruch der Klägerin aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. umfasst die Erhöhungsbeträge, die er ohne wirksame Prämienanpassung bezahlt hat der Höhe nach uneingeschränkt (vgl. BGH, a. a. O.).
e) Die Beklagte kann sich auch nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen (vgl.: BGH,
a. a. O.). Die Beklagte ist jedenfalls nicht dadurch entreichert, dass sie die vereinnahmten höheren Prämien auch zur Erbringung von Versicherungsleistungen verwendet hat. Damit hat sie eigene Verbindlichkeiten aus dem weiterhin wirksamen Versicherungsvertrag erfüllt. Soweit die Beklagte vorbringt, die erhöhten Prämienzahlungen nach ihrem
Vortrag zur Bildung von Rückstellungen verwendet zu haben, fehlt es bei ihr an einem
dauerhaften Vermögensverlust, damit dies zu berücksichtigen wäre (vgl. BGH, a. a. O.).
f) Die Forderung der Klägerin ist auch nicht verjährt. Richtig ist zwar, dass die Klägerin En
de 2014 und Ende 2017 von der Beitragsanpassung der Beklagten Kenntnis erlangt hat. Die für den Verjährungsbeginn hier maßgebliche Vorschrift des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB verlangt indessen, dass die Klägerin von den den Anspruch begründenden Umständen
Kenntnis erlangt haben muss oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Hier wird man der Klägerin zubilligen müssen, dass sie zunächst auf eine formelle und
materielle Richtigkeit der Berechnung der Beitragsanpassung durch die Beklagte vertraut hat. Erst eine vertiefte Beschäftigung mit der Rechtsmaterie durch einen spezialisierten Rechtsanwalt konnte ihr ergeben, dass die Beitragserhöhungen der Beklagten angreifbar sind. Insoweit ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts darauf abzustellen, wann die Klägerin entsprechende Kenntnisse über ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten vermittelt bekommen hat. Dies dürfte indessen in unverjährter Zeit geschehen sein.
2. Die geltend gemachten Zinsen und vorgerichtliche kann die Klägerin von der Beklagten aus
Gründen des Zahlungsverzugs gem. S$ 284 ff., 291, 247 Abs. 1 BGB ersetzt verlangen. Bezüglich der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten in Höhe von 727,90 Euro, wobei es sich um eine 1,5 Geschäftsgebühr aus einem Streitwert von 6.454,08 Euro handelt, ist nicht zu beanstanden. Der zugrunde gelegte Geschäftswert in Höhe von 6.454,08 Euro ist nicht zu beanstanden. Bei einer 1,5 Gebühr handelt es sich um eine um einen 0,2 Anteil erhöhte Regelgebühr, dies erscheint dem Gericht im vorliegenden Fall auch dann angemessen, wenn der Prozessbevollmächtigte der Klägerin das vorliegende Verfahren, wie ähnliche Verfahren aus Klagebausteinen zusammengesetzt hat. Die Rechtslage bei der Wirksamkeit von Anpassungen von Versicherungsleistungen war in der Vergangenheit gekennzeichnet von einer Vielzahl unterschiedlicher Auffassungen in Rechtsprechung und Schrifttum. Dies geht einher damit, dass man zur Beratung von Mandanten, wie z. B. der Klägerin, ständig
das neuere Schrifttum und die Rechtsprechung auswerten muss. Dieser erhöhte Aufwand
rechtfertigt jedenfalls die Vergütung der Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit einer 1,5 Gebühr.
Der Klage war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1 ZPO.
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