Aktenzeichen:
22 0 532/20
Landgericht Stuttgart
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
– Kläger –
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Kraus Ghendler Ruvinskij Anwaltskanzlei PartG mbB, Bachemstraße 8, 50676 Köln, Gz.:
gegen
UniVersa Krankenversicherung AG, vertreten durch d. Vorstand Michael Baulig, Werner Gremmelmaier u. a., Sulzbacher Str. 1-7, 90489 Nürnberg
– Beklagte –
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte
wegen Beitragserhöhung private Kranken-/Pflegeversicherung
hat das Landgericht Stuttgart – 22. Zivilkammer – durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Hertler als Einzelrichter aufgrund des Sachstands vom 05.08.2021 für Recht erkannt:
- Es wird festgestellt, dass folgende Beitragsanpassungen des Monatsbeitrags in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/ Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer .. unwirksam waren:
- a) in den Tarifen für Kläger
- aa) im Tarif ST2/100 die Beitragsanpassung zum 01.2011 in Höhe von 20,85 E bb) im Tarif ST2/100 die Beitragsanpassung zum 01.01.2012 in Höhe von 22,16 € cc) im Tarif KT 43 die Beitragsanpassung zum 01.01.2013 in Höhe von 2,70 € dd) im Tarif A 80 die Beitragsanpassung zum 01.01.2014 in Höhe von 35,60 € ee) im Tarif ST2/100 die Beitragsanpassung zum 01.01.2018 in Höhe von 16,13 E ff) im Tarif A 80 die Beitragsanpassung zum 01.01.2019 in Höhe von 35,76 € gg) im Tarif ST2/100 die Beitragsanpassung zum 01.01.2020 in Höhe von 27,87 € b) in den Tarifen für Person B
- aa) im Tarif A 80 die Beitragsanpassung zum 01.2016 in Höhe von 7,21 E bb) im Tarif ST2/100 die Beitragsanpassung zum 01.01.2016 in Höhe von 2,75 € cc) im Tarif A 80 die Beitragsanpassung zum 01.01.2017 in Höhe von 9,69 E dd) im Tarif ZA 100 die Beitragsanpassung zum 01.01.2017 in Höhe von 8,89 € ee) im Tarif uni-RD die Beitragsanpassung zum 01.01.2018 in Höhe von 0,07 E ff) im Tarif ST2/100 die Beitragsanpassung zum 01.01.2020 in Höhe von -1,86 gg) im Tarif ZA 100 die Beitragsanpassung zum 01.01.2020 in Höhe von 17,03 €
und die Klägerseite nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet war und der Gesamtbeitrag unter Berücksichtigung der erfolgten Absenkungen auf insgesamt 774,27 € zu reduzieren ist für den Zeitraum Dezember 2020 bis April 2021.
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 6.871,97 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 06.01.2021 zu zahlen.
- Es wird festgestellt, dass die Beklagte der Klägerseite zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil ab 01.01.2017 gezogen hat, den die Klägerseite auf die unter 1) aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat bis 05.01.2021.
- Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit hinsichtlich der begehrten Feststellung der Reduzierung der Beiträge auf 611,23 € erledigt ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 1/3 und die Beklagte 2/3 zu tragen.
5.Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstrecken den Betrags vorläufig vollstreckbar.
6.Der Streitwert wird auf 19.903,36 € festgesetzt bis 14.07.2021, danach 12.000 €.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung des Klägers.
Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Krankenversicherung mit der Versicherungsschein nummer .. und den Tarifen A80, ZA100, ST2/100, PVN/K und uni-RD. Weitere versicherte Person war Person B mit den Tarifen A80, Za100, St2/100, PVN/K und uni-RD. Das Versicherungsverhältnis besteht seit 01.10.1999
Die Beklagte erhöhte für den Kläger jeweils zum 01.01. der Jahre 2012, bis 2020 die Beiträge wie in den klageanträgen 1 und 2 aufgeführt. Zusätzlich ergaben sich folgende Beitragsänderungen:
Im Tarif KT43 nahm der Kläger ein Aktionsangebot zur Erhöhung des KT um 10,00 € zum 01.07.2014 an;
Im Tarif ST2/100 der versicherten Person Person B erfolgte zum 01.01.2020 eine Reduzierung des Beitrags auf 26,66 €;
Die Beklagte informierte den Kläger mit Schreiben nebst Anlagen über die jeweilige Beitragserhöhung zum 01.01.2020 und 01.01.2019 auszugsweise wie folgt:
„Damit wir dieses Leistungsversprechen jederzeit erfüllen können, sind wir zumindest einmal jährlich gesetzlich dazu verpflichtet, die tatsächlichen Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten mit den der bisherigen Prämienkalkulation zugrunde liegenden rechnungsmäßigen Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten zu vergleichen.
Bei einer nicht nur vorübergehenden Abweichung, die eine Schwelle von 5 % bzw. 10 % (siehe § 8 b der Allgemeinen Versicherungsbedingungen) überschreitet, sind wir gesetzlich verpflichtet, alle Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.
Die Überprüfung hat ergeben, dass eine Anpassung der Beiträge zum 01.01.2019 erforderlich ist, weil die oben genannten Schwellenwerte überschritten wurden. Die sich ergebenden Beitragsveränderungen sind auf die Berücksichtigung veränderter Leistungsausgaben für die medizinische Versorgung, eine erneut gestiegene Lebenserwartung und anhaltend niedrige Zinsen zurückzuführen.” (gleichlautend aus Schreiben vom 27.11.2019, 28.11.2018)
Zu den Beitragserhöhungen vor 2018 erfolgte keine Information über die Schwellenwertüberschreitung als Voraussetzung einer Beitragsanpassung. Zu den Informationen über die Beitrags erhöhungen 2011 bis 2020 wird im Übrigen auf das Anlagenkonvolut BLD 1 und die Zitate in der Klageschrift ab S. 28 verwiesen.
Der Kläger bezahlte jeweils die von der Beklagten ausgewiesen monatliche Prämie. Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.
Der Kläger ist der Auffassung, die streitgegenständlichen Prämienerhöhungen seien unwirksam, weswegen die Beklagte die Rückzahlung überzahlter Prämienanteile (insgesamt 11.195,69 €) nebst Nutzungsersatz und die Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten schulde.
Der Kläger beantragt nach teilweiser Klagerücknahme wie folgt (Schriftsatz vom 01.06.2021, Bl. 105 ff.):
1) Es wird festgestellt, dass folgende Beitragsanpassungen des Monatsbeitrags in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/ Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer .. unwirksam sind:
- a) in den Tarifen für Kläger
- aa) im Tarif ST2/100 die Beitragsanpassung zum 01.2012 in Höhe von 22,16 € bb) im Tarif ST2/100 die Beitragsanpassung zum 01.01.2018 in Höhe von 16,13 € b) in den Tarifen für Person B
- aa) im Tarif ST2/100 die Beitragsanpassung zum 01.2016 in Höhe von 2,75 €
und der Gesamtbeitrag unter Berücksichtigung der erfolgten Absenkungen auf insgesamt 774,27 € zu reduzieren ist.
2) Es wird festgestellt, dass folgende Beitragsanpassungen des Monatsbeitrags in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/ Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer .. unwirksam waren:
- a) in den Tarifen für Kläger
- aa) im Tarif ST2/100 die Beitragsanpassung zum 01.2011 in Höhe von 20,85 €
- bb) Tarif KT 43 die Beitragsanpassung zum 01.2013 in Höhe von 2,70 € cc) im Tarif A 80 die Beitragsanpassung zum 01.01.2014 in Höhe von 35,60 E dd) im Tarif A 80 die Beitragsanpassung zum 01.01.2019 in Höhe von 35,76 € ee) im Tarif ST2/100 die Beitragsanpassung zum 01.01.2020 in Höhe von 27,87 €
- b) in den Tarifen für Person B
- aa) im Tarif A 80 die Beitragsanpassung zum 01.2016 in Höhe von 7,21 € bb) im Tarif A 80 die Beitragsanpassung zum 01.01.2017 in Höhe von 9,69 € cc) im Tarif ZA 100 die Beitragsanpassung zum 01.01.2017 in Höhe von 8,89 € dd) im Tarif uni-RD die Beitragsanpassung zum 01.01.2018 in Höhe von 0,07 € ee) im Tarif ST2/100 die Beitragsanpassung zum 01.01.2020 in Höhe von -1,86 ff) im Tarif ZA 100 die Beitragsanpassung zum 01.01.2020 in Höhe von 17,03 € und die Klägerseite nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet war.
3) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 11.195,69 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
4) Es wird festgestellt, dass die Beklagte
- a) der Klägerseite zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die unter 1) aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat,
- b) die nach 4a) herauszugebenden Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu verzinsen
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
Die Beklagte ist der Auffassung, die Prämienerhöhungen seien wirksam erfolgt. Rückforderungs ansprüche für Zahlungen vor dem 01.01.2017 seien verjährt.
Zum weiteren Sachvortrag der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.07.2021 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage teilweise begründet, teilweise sind die Rückerstattungsansprüche verjährt.. A:
Der Kläger hat einen Anspruch auf Rückzahlung der Erhöhungsanteile der Prämien nach den Beitragserhöhungen 2017.
- Die Beitragserhöhungen der im Antrag genannten Tarife sind formal unwirksam gemäß § 203 Abs. 2, 5 VVG.
Die Klägerseite greift hier die formelle Wirksamkeit der Beitragserhöhung an mit der Begründung, die jeweilige Beitragsanpassungsbegründung genüge nicht den Mindestanforderungen des § 203 Abs. 5 VVG. Ob die Mitteilung einer Prämienanpassung den gesetzlichen Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügt, hat der Tatrichter im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden (BGH, NJW 2021, 378 Rn. 38, beck-online).
- a) Gemäß 203 Abs. 5 VVG sind bei einer Prämienerhöhung dem Versicherten die Maßgeblichen Gründe für die Beitragsanpassung mitzuteilen. Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 V VVG erfordert die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 111 VVG veranlasst hat. Dagegen muss der Versicherer nicht mitteilen, in welcher Höhe sich diese Rechnungsgrund lage verändert hat. Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie zB des Rechnungszinses, anzugeben. (BGH Urt. v. 10.3.2021 — IV ZR 353/19, BeckRS 2021, 5402 Rn. 20, beck-online). Die Norm zielt — wie ihre Vorläuferbestimmung — in erster Linie darauf ab, dem Versicherungsnehmer einen gewissen Zeitraum zu belassen, um sich auf eine ihm mitgeteilte Vertragsänderung einstellen zu können und sich darüber klar zu wer den, ob er innerhalb der zeitgleich ausgestalteten Frist des § 205 IV VVG sein Kündigungsrecht ausübt oder die Prämienänderung zum Anlass nimmt, von seinem Tarifwechselrecht nach § 204 VVG Gebrauch zu machen. Daneben soll die Mitteilung der maßgeblichen Gründe dem Versicherungsnehmer zeigen, was der Anlass für die konkrete Prämienanpassung war. Diese Kenntnis des Versicherungsnehmers ergibt sich nicht bereits aus dem Gesetz oder den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, sondern kann nur für den Einzelfall mitgeteilt werden. Die Mitteilung er-
füllt so den Zweck, dem Versicherungsnehmer zu verdeutlichen, dass weder sein individuelles Verhalten (vgl. Franz VersR 2020, 449 [459]; Brand VersR 2018, 453 [455]) noch eine freie Entscheidung des Versicherers Grund für die Beitragserhöhung war, sondern dass eine bestimmte Veränderung der Umstände dies aufgrund gesetzlicher Regelungen veranlasst hat. Das wird durch die Angabe der Rechnungsgrundlage, die die Prämienanpassung ausgelöst hat, erreicht. Dagegen ist es für diesen Zweck nicht erforderlich, dem Versicherungsnehmer die Rechtsgrundlage des geltenden Schwellenwerts oder die genaue Höhe der Veränderung der Rechnungsgrundlage mitzuteilen (BGH, NJW 2021, 378 Rn. 34 f., beck-online)
Ein Versicherungsnehmer muss der jeweiligen Mitteilung mit der gebotenen Klarheit entnehmen, dass eine Veränderung der Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen über dem geltenden Schwellenwert die konkrete Beitragserhöhung ausgelöst hat. Eine Angabe dazu, welche der bei den Rechnungsgrundlagen sich verändert habe, und den Hinweis, dass bei der konkreten Prämienerhöhung ein in Gesetz oder Tarifbedingungen festgelegter Schwellenwert über- oder unterschritten worden sei, ist für die Information des Versicherungnehmers gemäß § 201 Abs. 5 VVG ausreichend aber auch erforderlich (vgl. BGH Urt. v. 23.6.2021 — IV ZR 250/20, BeckRS 2021, 18716 Rn. 18, beck-online)
- b) Vorliegend wird aus den Schreiben der Beklagten für die Beitragserhöhung en nicht hinreichend deutlich, dass die Prämienanpassung maßgeblich auf der Erhöhung des Umfangs der Versicherungsleistungen
- aa) In den im Tatbestand zitierten Anschreiben zu den Erhöhungen zum 01.2020 und 01.01.2019 wird nicht deutlich, ob die Sterbewahrscheinlichkeit oder die gestiegenen Leistungsausgaben die bestimmende Rechnungsgrundlage für die Neuberechnung der Prämien war.
Auch die beigefügte Tabelle gibt darüber nicht in der gebotenen Klarheit Aufschluss, da unter der Spalte „auslösende Faktoren” sowohl die Sterblichkeit als auch die Versicherungsleitungen als Unterkategorien aufgeführt werden, so dass sich gerade nicht eindeutig ergibt, welche dieser bei den Rechnungsgrundlagen der konkret auslösende Faktor war.
- bb) In den Belehrungen zu den früheren Prämienerhöhungen findet sich keinerlei Erwähnung des Schwellenwerts und auch keine eindeutige Benennung, welche Rechnungsgrundlage für die jeweilige Prämienneuberechnung der Auslöser
Mit Zugang der Klageerwiderung vom 14.03.2021 wurde diese fehlende Information nachgeholt, so dass die vorgesehenen Prämienerhöhungen gem. § 203 abs. 5 VVG ab dem zweiten auf die Zustellung der Klageerwiderung folgenden Monat, das heißt ab Mai 2021, wirksam wurden (vgl. NJW 2021, 378 Rn. 41, beck-online). Nachfolgende unwirksame Prämienerhöhungen führen nicht dazu, dass die früheren unwirksamen Prämienerhöhungen durch eine Neuberechnung geheilt werden.
Auch soweit ein Unterschreiten eines Schwellenwerts zu einer Neufestsetzung der Beiträge führt, kommt grundsätzlich eine Beitragserhöhung in Betracht. Denn der Versicherer ist in diesem Fall angehalten, eine komplette Neukalkulation vorzunehmen und das Ergebnis umzusetzen (§ 155 Abs. 3 S. 2 VAG). Würde die Versicherung bei einer Unterschreitung des Schwellenwerts die Neukalkulation nicht umsetzen oder auf 0 deckeln, hätte das zur Folge, dass keine auskömmlichen Prämien festsetzt und die Finanzierung der Ansprüche und Anwartschaften der Versicherten nicht nachhaltig und solide wäre. Diese Problematik soll durch die Pflicht zur Anpassung gerade verhindert werden. Deswegen wirkt die Nachbelehrung auch bei diesen Tarifen.
Etwaige Rückforderungsansprüche für Zahlungen vor dem 01.01.2017 aus den Prämienerhöhungen sind verjährt.
Die Zustellung der am 02.12.2020 eingereichten Klageschrift erfolgte am 05.01.2021 (BI. 69) und somit demnächst i.S.d. § 167 ZPO. Damit trat die verjährungshemmende Wirkung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB im Jahr 2020 ein.
- Für den bereicherungsrechtlichen Rückerstattungsanspruch gilt die dreijährige Verjährungsfrist gemäß § 195 BGB, deren Beginn sich nach § 199 Abs. 1 BGB bzw. § 199 Abs. 3 BGB richtet. Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist gemäß § 195 BGB, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grober Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Damit sind alle vor dem 01.01.2017 entstandenen Rückforderungsansprüche verjährt, mithin alle Ansprüche wegen (unterstellt) Überzahlungen, die bis einschließlich 31.12.2016 vom Kläger geleistet wurden.
- a) Für die Entstehung des bereicherungsrechtlichen Rückzahlungsanspruchs gemäß 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist auf die jeweilige monatliche Prämienzahlung abzustellen, weil frühestens mit der
jeweiligen monatlichen Zahlung der vermeintlich überhöhten Prämie der Rückforderungsanspruch fällig wird und entsteht. Die Rückzahlungsforderung ist daher jeweils frühestens mit der Zahlung der vermeintlich überhöhten Prämie fällig geworden, also entstanden (LG Neuruppin, Urteil vom 25.08.2017, – 1 0 338/16 -, VersR 2018, 469 ff. in juris Rn. 40; OLG Köln, Urteil vom 20 U 128/16 , in juris Rn 14 f.).
Die Verjährung beginnt zu dem Zeitpunkt zu laufen, in welchem dem Versicherungsnehmer die Mitteilung über die Beitragserhöhung zugegangen ist. Der Gesetzgeber hat nicht ähnliche Regelungen wie bei dem Widerrufsrecht nach Verbraucherschutznormen oder z.B. § 5 a Abs. 1 VVG a.F. getroffen, sondern den Wirksamkeitszeitpunkt der Beitragserhöhung bis zu dem Zeitpunkt hinausgeschoben, in dem der Versicherungsnehmer eine ordnungsgemäße Mitteilung über die Beitragserhöhung erhalten hat (LG Neuruppin, a.a.O.)
- bb) Bezogen auf die formelle Unwirksamkeit liegt die Kenntnis grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers als Versicherungsnehmer im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit Erhalt der jeweiligen Anpassungsschreiben der Beklagten für die betreffenden Tarife vor.
Es genügt die Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen, nicht erforderlich ist, dass der Gläubiger den Vorgang rechtlich zutreffend bewertet (BGH NJW 2008, 1729 ff. in juris Rn. 26). Grundsätzlich reicht eine Kenntnis aus, die den Berechtigten in die Lage versetzt, wenn auch nicht ohne Risiko, eine Feststellungsklage zu erheben.
Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass es aufgrund unklarer Rechtslage im Hinblick auf die Anforderungen an die Mitteilung der maßgeblichen Gründe gemäß § 203 Abs. 5 VVG an einer Kenntnis bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB fehle. Denn dem Kläger war der Inhalt der jeweiligen Anpassungsschreiben, insbesondere die Tatsachen, die möglicherweise die (unterstellt) fehlende Wirksamkeit der Prämienerhöhung begründen, bekannt.
Zwar können bei besonders unübersichtlicher und verwickelter Rechtslage ausnahmsweise erhebliche Zweifel den Verjährungsbeginn bis zur Klärung ausschließen (BGH NJW 1999, 2041; Palandt/Ellenberger, BGB, 79. Aufl. 2020, § 199 Rdnr.27). Eine solche hat der BGH im Falle der Widerspruchsfälle gemäß § 5 a VVG a.F. verneint und hierzu ausgeführt, für eine Unzumutbarkeit der Klageerhebung genügt es nicht, dass über die Richtlinienkonformität des § 5 a WG a.F. ein Meinungsstreit bestand, über den der Senat im Jahr 2010 noch nicht abschließend entschieden hatte. Eine Rechtslage ist nicht schon dann im Sinne der genannten Rechtsprechung unsicher und zweifelhaft, wenn eine Rechtsfrage umstritten und noch nicht höchstrichterlich entschieden ist. Bei einer solchen Konstellation sei dem Gläubiger die Erhebung der Klage jedenfalls dann
nicht unzumutbar, wenn er gleichwohl bereits vor einer höchstrichterlichen Entscheidung seinen Anspruch gegenüber dem Schuldner geltend macht und dadurch zu erkennen gibt, vom Bestehen des Anspruchs auszugehen (BGH, Urteil vom 21.02.2018, – IV ZR 385/16 -, VersR 2018, 404 f. in juris Rn. 17). So liegt der Fall hier.
Dass der Kläger inzwischen trotz des bei Klageerhebung noch fortbestehenden Meinungsstreits Klage erhoben und sich u.a. auch auf den unzureichenden Inhalt der Anpassungsschreiben so wie die daraus folgende fehlende Wirksamkeit der Prämienanpassung berufen hat, zeigt, dass ei ne Klageerhebung vor der höchstrichterlichen Klärung mit Urteilen vom 16.12.2020 und 14.04.2021 nicht unzumutbar war. Angesichts dessen hätte die Klage auch schon früher erhoben werden können. Würde man dies anders sehen, könnte in solchen Fällen die Verjährung nie zu laufen beginnen, bis der jeweilige Meinungsstreit höchstrichterlich entschieden ist. (OLG Köln Urt. v. 22.9.2020 — 9 U 130/19, BeckRS 2020, 28464 Rn. 57-67, beck-online)
Damit ergibt sich folgender Rückzahlungsanspruch (beziffert werden nur Rückzahlungsansprüche bis November 2020):
im Tarif ST2/100: 47 monatliche Zahlungen ä 20,85 € also insgesamt 979,95 € (vom 01.01.2017 bis zum 12.11.2020)
im Tarif ST2/100: 47 monatliche Zahlungen ä 22,16 € also insgesamt 1.041,52 € (vom 01.01.2017 bis zum 12.11.2020)
im Tarif A 80: 47 monatliche Zahlungen ä 35,60 € also insgesamt 1.673,20 € (vom 01.01.2017 bis zum 12.11.2020)
im Tarif A 80: 47 monatliche Zahlungen ä 7,21 € also insgesamt 338,87 € (vom 01.01.2017 bis zum 12.11.2020)
im Tarif ST2/100: 47 monatliche Zahlungen ä 2,75 € also insgesamt 129,25 € (vom 01.01.2017 bis zum 12.11.2020)
im Tarif A 80: 47 monatliche Zahlungen ä 9,69 € also insgesamt 455,43 € (vom 01.01.2017 bis zum 12.11.2020) im Tarif ZA 100: 47 monatliche Zahlungen ä 8,89 € also insgesamt 417,83 € (vom 01.01.2017 bis zum 12.11.2020)
im Tarif ST2/100:35 monatliche Zahlungen ä 16,13 € also insgesamt 564,55 € (vom 01.01.2018 bis zum 12.11.2020)
im Tarif uni-RD: 35 monatliche Zahlungen ä 0,07 € also insgesamt 2,45 € (vom 01.01.2018 bis zum 12.11.2020)
im Tarif A 80: 23 monatliche Zahlungen ä 35,76 € also insgesamt 822,48 € (vom 01.01.2019 bis zum 12.11.2020)
im Tarif ST2/100: 11 monatliche Zahlungen ä 27,87 € also insgesamt 306,57 € (vom 01.01.2020 bis zum 12.11.2020)
im Tarif ZA 100: 11 monatliche Zahlungen ä 17,03 € also insgesamt 187,33 € (vom 01.01.2020 bis zum 12.11.2020)
bezüglich der Senkung im Tarif ST2/100 wird der abgesenkte Beitrag von -1,86 € für insgesamt 11 Monate also insgesamt -20,46 € in Abzug gebracht (vom 01.01.2020 bis zum 12.11.2020)
Insgesamt beläuft sich der zuzusprechende Betrag auf 6.871,97 €.
Den jeweiligen Feststellungsanträgen war zu entsprechen, wobei in Klageantrag Ziff. 1 klarzustellen war, dass sich die Reduzierung nur für den nicht bezifferten Zeitraum für Beiträge nach dem 11.12.2020 und nur bis zur Heilung für die Beiträge ab Mai 2021 bezieht.
Nutzungen können nicht parallel mit Rechtshängigkeitszinsen verlangt werden, die hier zugesprochen wurden und sind auch nicht ihrerseits zu verzinsen (vgl. BGH Urt. v. 23.6.2021 — IV ZR 250/20, BeckRS 2021, 18716).
Mit der nachträglichen Belehrung in der Klageerwiderung ist der Rechtsgrund für die Feststellung der Reduzierung der Beiträge für die Zukunft entfallen, was auf die entsprechende Erledigungserklärung der Klägerseite festzustellen war.
Vl.
Eine Anspruchsgrundlage für die Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten ist nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen eines Verzugseintritts vor Tätigwerden der Klägervertreter ist nicht vorgetragen. Auch die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs liegen nicht vor.
B:
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
Verkündet am 20.08.2021
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