Aktenzeichen: 1 O 118/20
LandgerichtZweibrücken
IM NAMEN DES VOLKES
Endurteil
In dem Rechtsstreit
– Kläger –
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Kraus Ghendler Ruvinskij PartGmbB, Aachener Straße 1, 50674 Köln
gegen
Volkswagen AG, vertreten durch d. Vorstand Herbert Diess, Oliver Blume, Gunnar Kilian, Andreas Renschler, Abraham Schott, Dr. Stefan Sommer, Hiltrud Werner, Frank Witter, Berliner Ring 2, 38440 Wolfsburg
– Beklagte –
wegen Schadensersatz
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Ehrmantraut, die Richterin am Landgericht Groß und die Richterin Leidinger auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 25.09.2020 für Recht erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 28.813,61 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 04.08.2020 zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Skoda Yeti, FIN xxx.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte sich mit der Entgegennahme des Fahrzeuges aus dem Tenor zu 1) in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 1.358,86 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 04.08.2020 auf die außergerichtliche Rechtsverfolgung zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz nach einem Fahrzeugkauf.
Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 22.01.2015 ein gebrauchtes Fahrzeug der Marke Skoda Yeti zum Kaufpreis von 33.600,00 €. Die Gesamtlaufleistung des Fahrzeuges lag im Zeitpunkt des Kaufs bei 25 km. Bei Schluss der mündlichen Verhandlung betrug die Laufleistung 35.613 km.
Die Beklagte ist Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeuges. In diesem ist ein Dieselmotor des Typs EA 189 eingebaut. Die Motorsteuerung war bei diesem Motortyp so ausgestaltet, dass die Software erkannte, ob das Fahrzeug im Prüfstandmodus betrieben wird oder nicht. Er kannte die Software einen solchen Prüfstandmodus, wurde ein sogenannter Modus 1 aktiviert, bei dem eine höhere Abgasrückführungsrate erreicht wird. Beim Normalbetrieb im Straßenverkehr wurde der sogenannte Modus 0 mit einer geringeren Abgasrückführungsrate wirksam. Die Verwendung dieser Software machte die Beklagte erstmals im September 2015 im Rahmen einer Ad-hoc-Erklärung bekannt.
Das Software-Update wurde am streitgegenständlichen Fahrzeug am 21.07.2017 (vgl. Anlage K4, Bl. 216) durchgeführt. Der Kläger war an der Musterfeststellungsklage vor dem Oberlandesgericht Braunschweig nicht beteiligt.
Mit Schreiben vom 07.04.2020 forderten die Prozessbevollmächtigten des Klägers die Beklagte unter Fristsetzung von 14 Tagen zur Zahlung von Schadensersatz Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeuges auf. Die Beklagte wies die Ansprüche zurück.
Der Kläger trägt vor,
bei der in den streitgegenständlichen Motor verbauten Software handele es sich um eine illegale Abschalteinrichtung.
In Kenntnis dieser mangelhaften Software hätte er das Fahrzeug nicht gekauft.
Der Mangel könne durch das zwischenzeitlich angebotene Software-Update auch nicht behoben werden. Vielmehr bestehe sogar der Verdacht, dass infolge des Updates neue und andere Mängel entstehen würden. Es sei mit einer reinen Software-Lösung schlicht unmöglich, die Abgaswerte einzuhalten, ohne schwerwiegende Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen. Ferner sei durch das Update eine neue unzulässige Abschalteinrichtung in Form des sogenannten Thermofensters aufgespielt worden.
In Folge der mangelhaften Software sei ein merkantiler Minderwert zu verzeichnen. Nach wie vor drohten zudem Fahrverbote.
Die Beklagte habe den Kläger sittenwidrig vorsätzlich geschädigt. Sie habe in betrügerischer Absicht und habgierig gehandelt.
Die vertretungsberechtigten Organe der Beklagten seien über die maßgeblichen Dinge im Zusammenhang mit der Abschalteinrichtung informiert gewesen. Es sei nach aller Lebenserfahrung nicht vorstellbar, dass die Entwicklung und der Einsatz der Manipulationssoftware nicht vom Vorstand der Beklagten ausgegangen sei und alle Warnungen hierzu in einem so straff geführten Konzern nicht bis zur Vorstandsebene gelangt seien.
Der Kaufpreis sei unter Berücksichtigung eines Nutzungsersatzes zurückzuzahlen. Hierbei sei von einer Laufleistung des Fahrzeuges von 350.000 km auszugehen.
Die von der Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung könne auch nicht durchgreifen, da der Kläger erst im Jahr 2017 durch ein Rückrufschreiben von der Betroffenheit seines Fahrzeuges von der Abgasmanipulation unterrichtet worden sei. Dieses könne dem Gericht nicht mehr vorgelegt werden, da die Fa. Autohaus Stoltmann das Rückrufschreiben nach Durchführung des Updates trotz mehrmaliger Aufforderung einbehalten habe. Das Update sei aber in kürzester Zeit nach Erhalt des Rückrufschreibens im Jahr 2017 erfolgt.
Der Kläger hat zunächst beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 30.242,16 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Skoda Yeti, FIN 1112;
2. die Beklagte zu verurteilen, Zinsen in Höhe von 4 % p.a. ab dem 22.01.2015 bis Rechtshängigkeit auf einen Betrag in Höhe von 33.600,00 € zu zahlen;
3. festzustellen, dass die Beklagte sich mit der Entgegennahme des Fahrzeuges aus dem Antrag zu 1) in Annahmeverzug befindet;
4. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 1.474,89 € von nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit auf die außergerichtliche Rechtsverfolgung zu zahlen.
Der Kläger hat im Hinblick auf die geltend gemachten Deliktszinsen sowie unter Berücksichtigung der Laufleistung des Fahrzeuges die Klage teilweise zurückgenommen und beantragt zuletzt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 28.813,61 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Skoda Yeti, FIN 3312;
2. festzustellen, dass die Beklagte sich mit der Entgegennahme des Fahrzeuges aus dem Antrag zu 1) in Annahmeverzug befindet;
3. Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 1.474,89 € von nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit auf die außergerichtliche Rechtsverfolgung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor,
der Kläger habe keine Einschränkungen aufgrund der vormals verbauten Umschaltlogik zu befürchten. Insbesondere gehe die Debatte um Einfahrverbote in Innenstädte nicht auf die Um schaltlogik zurück, sondern betreffe Diesel-Fahrzeuge aller Hersteller.
Es komme auch nicht aufgrund der verwendeten Software zu einer Wertminderung. Die Ver kaufswerte der betroffenen Fahrzeuge seien nach Bekanntwerden der Umschaltlogik über knapp zwei Jahre stabil geblieben. Zwar lasse sich derzeit eine allgemeine Verschiebung der Nachfrage von Dieselfahrzeugen hin zu Benzinfahrzeugen beobachten, allerdings sei die Ursache dafür insbesondere die öffentliche Debatte über ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge in einigen deutschen Innenstädten. Diese Nachfrageverschiebung betreffe den gesamten Diesel-Markt und alle Hersteller, ein Zusammenhang mit der Umschaltlogik bestehe nicht.
Insbesondere nach dem Update halte das Fahrzeug die geltenden Grenzwerte ein.
Durch das Software-Update werde die monierte, ursprünglich verwendete Umschaltlogik beseitigt. Es ergäben sich keine negativen Auswirkungen auf Kraftstoffverbrauchswerte, CO2-Emissionswerte, Motorleistung, Drehmoment und Geräuschemissionen. Die Lebensdauer des Fahrzeuges werde nicht beeinträchtigt. Dem Kläger sei die Teilnahme an dem Software-Update daher zumutbar.
Die geltend gemachten Ansprüche seien zudem verjährt. Der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt sei der Klagepartei bereits seit dem Jahre 2015 bekannt. In Anbetracht der umfassenden Medienberichterstattung zur Dieselthematik im Herbst 2015, sowie weiterer von der Be klagten unternommener Schritte zur Aufklärung der betroffenen Fahrzeughalter – wie beispielsweise Freischaltung einer Internetseite zur Überprüfung der Fahrzeuge – wäre es lebensfremd anzunehmen, dass die Klagepartei im Herbst 2015 keine Kenntnis von der Dieselthematik und der individuellen Betroffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeuges hatte. Bereits im Jahr 2015 sei es der Klagepartei möglich gewesen, eine hinreichend aussichtsreiche, schlüssige Klage zu erheben.
Jedenfalls müsse die Klagepartei sich die erzielten Nutzungsvorteile anrechnen lassen aus einer Gesamtlaufleistung von 200.000 – 250.000 km.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 04.08.2020 den Rechtsstreit nach § 348 Abs.3 S.2 ZPO übernommen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25.09.2020 sowie auf die zwischen den Parteien gewechselten, umfangreichen Schriftsätze nebst Anlagen.
Entscheidungsgründe
Insoweit der Kläger die Klage teilweise zurückgenommen hat, war hierüber nur noch über die Kosten zu entscheiden. Im Übrigen hat die in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstandende Klage in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
I.
Die Klage ist zulässig.
1.
Das Landgericht Zweibrücken ist sachlich wie örtlich zuständig.
Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 32 ZPO. Die Vorschrift begründet eine Zuständigkeit desjenigen Gerichts, in dessen Bezirk eine unerlaubte Handlung begangen wurde, wobei sowohl Handlungs-, als auch Erfolgsort umfasst werden.
Der Kläger stützt seine Ansprüche auf eine deliktische Grundlage. Geschütztes Rechtsgut bei den primär in Betracht kommenden Tatbeständen der § 826 BGB und § 823 Abs.2 i.V.m. § 263 StGB ist das Vermögen. Das Vermögen des Klägers ist an dessen Wohnsitz belegen, vorliegend Weselberg, sodass hier ggf. der Erfolg eingetreten ist (vgl. Hk-ZPO/Bendtsen, 7. Aufl. 2017, § 32 Rn.15). Für die Zuständigkeit reicht es dabei bereits aus, dass ein schlüssiger Tatsachenvortrag des Klägers vorliegt. Die Prüfung, ob eine unerlaubte Handlung tatsächlich zu bejahen ist, bleibt bei dieser sog. doppelrelevanten Tatsache der Begründetheitsprüfung vorbehalten (vgl. Hk-ZPO/Bendtsen, aaO, § 32 Rn.14).
Die sachliche Zuständigkeit folgt aus §§ 23, 71 Abs.1 GVG.
2.
Das Interesse an der Feststellung des mit dem Klageantrag zu 2) geltend gemachten Annahme verzuges ergibt sich aus der mit dem Annahmeverzug einhergehenden Haftungsbeschränkung für den Kläger, §§ 300 ff. BGB. Darüber hinaus wird dem Kläger durch die Feststellung der Nach
weis der Vollstreckungsvoraussetzungen nach §§ 756 Abs. 1, 765 ZPO ermöglicht (BeckOK BGB/Lorenz, 50. Ed. 1.5.2019, BGB § 293 Rn. 18).
II.
In der Sache hat die Klage überwiegend Erfolg.
1.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von 28.813,61 € Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeuges aus § 826 BGB.
1.1
Die Verwendung der Manipulationssoftware durch die Beklagte war sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB.
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den ein getretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 19. November 2013 – VI ZR 336/12 –, Rn. 9, ju ris).
Vorliegend hat die Beklagte einen Motor in den Verkehr gebracht, der hinsichtlich der Abgaswerte nicht nur die gesetzlichen Anforderungen nicht erfüllt hat, sondern auch noch mit einer Software manipuliert war, die diese Gesetzeswidrigkeit verschleiert und auf diesem Wege das Erschleichen einer Typengenehmigung und einer Zulassung für den Straßenverkehr ermöglicht hat, die das Fahrzeug ansonsten wohl nicht erhalten hätte.
Bereits aus der Heimlichkeit dieses Vorgehens gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt, den beteiligten Stellen und den potentiellen Kunden ergibt sich dabei mit hinreichender Sicherheit, dass die beteiligten Mitarbeiter der Beklagten auch in der Vorstellung handelten, dass der Einsatz der Software zu Schwierigkeiten hinsichtlich der Typengenehmigung und der Betriebszulassung der so ausgestatteten Fahrzeuge führen könnte und dass potentielle Kunden Fahrzeuge, die derart mit rechtlichen Unsicherheiten belastet waren, nicht ohne weiteres erwerben würden (OLG Köln, Beschluss vom 03. Januar 2019 – 18 U 70/18 –, Rn. 29, juris). Eine Schädigungsabsicht muss,
nachdem insoweit bedingter Vorsatz bereits ausreicht, nicht einmal bestehen. Es genügt, wenn der Schädiger die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden irgendwelcher anderer aus wirken könnte, und die Art des möglicherweise eintretenden Schadens vorhergesehen und mindestens billigend in Kauf genommen hat (BGH, Urteil vom 19.07.2004 – II ZR 402/02 – juris, RN 47). Den verantwortlichen Organen der Beklagten muss aus Sicht der Kammer – die sich schon auf der allgemeinen Lebenserfahrung begründet – bewusst gewesen sein, dass die Kunden auf grund des Verschweigens des Einsatzes der manipulierten Software die Entscheidung zum Abschluss des Kaufvertrages aufgrund fehlerhaften Tatsachengrundlagen treffen werden. Auch der Erkenntnis, dass die Kunden bei der gebotenen Aufklärung den Vertrag überhaupt nicht oder aber zu anderen Konditionen geschlossen hätten, konnten sich die verantwortlichen Organe der Be klagten aus Sicht der Kammer nicht ernsthaft verschließen.
Das Ziel der Beklagten bei der Manipulation lag allein in ihrer eigenen Gewinnmaximierung und Stärkung ihrer Wettbewerbsstellung. Das eingesetzte Mittel, Millionen von Kunden einem nicht kalkulierbaren Risiko auszusetzen, steht zu diesem Ziel der Beklagten außerhalb jeder Relation und ist mit der allgemeinen Geschäfts- und Gesellschaftsmoral in keiner Weise mehr in Einklang zu bringen. Dies gilt umso mehr, als es sich beim Kauf eines PKW für viele Verbraucher um eine wirtschaftliche Entscheidung von erheblichem Gewicht mit oft deutlichen finanziellen Belastungen handelt. Die Beklagte hat die Ahnungslosigkeit der Verbraucher bewusst zu ihrem eigenen Vorteil ausgenutzt (LG Hildesheim, Urteil vom 17. Januar 2017 – 3 O 139/16 –, Rn. 47, juris; ähnlich LG Paderborn, Urteil vom 07. April 2017 – 2 O 118/16 –, juris; LG Mainz, Urteil vom 27. Juli 2017 – 4 O 196/16 –, juris; LG Saarbrücken, Urteil vom 14. Juni 2017 – 12 O 104/16 –, juris). Dieses Verhalten ist insbesondere auch nicht in einem marktwirtschaftlichen System zu billigen.
1.2
Die Manipulationen sind der Beklagten auch zuzurechnen, § 31 BGB.
a) Es ist für die Kammer schon nicht vorstellbar, dass eine unternehmerische Maßnahme mit der vorliegenden Tragweite gänzlich ohne Kenntnis des Vorstandes erfolgt sein soll. Es handelt sich der Sache nach um eine Strategieentscheidung mit außergewöhnlichen Risiken für den gesamten Konzern und auch massiven persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen, denen bei den untergeordneten Konstrukteuren kein in Anbetracht der arbeits- und strafrechtlichen Risiken annähernd adäquater wirtschaftlicher Vorteil gegenübersteht. Hinzu kommt der Umstand, dass die Software durch einen Zulieferer programmiert und geliefert wurde. Insoweit ist in einem ordnungsgemäß geführten Unternehmen zu erwarten, dass die Anforderungen an die Software mit der Bestellung in Form einer Leistungsbeschreibung niedergelegt sind. Weil es sich bei der Motorsteuerung um ein Kernstück des Motors handelt, widerspricht es jeder Lebenswahrscheinlichkeit, dass insoweit die Führungsebene des Unternehmens nicht eingebunden wurde. Auf dieser Grundlage ist jedenfalls von einer tatsächlichen Vermutung für eine Kenntnis und Billigung durch den Vorstand auszugehen, welche die Beklagte im Rahmen der sekundären Darle gungslast zu entkräften hat (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05. März 2019 – 13 U 142/18 –, ju ris).
b) Eine sekundäre Darlegungslast trifft die Beklagte darüber hinausgehend aber auch schon auf grund ihrer dem Kläger gegenüber überlegenen Erkenntnismöglichkeiten. Steht ein (primär) darlegungspflichtiger Anspruchsteller außerhalb des für seinen Anspruch erheblichen Geschehensablaufs und kennt der Anspruchsgegner alle wesentlichen Tatsachen, so genügt nach den höchstrichterlichen Grundsätzen über die sekundäre Darlegungslast das einfache Bestreiten seitens des Anspruchsgegners nicht, sofern ihm nähere Angaben zuzumuten sind (OLG Köln, Beschluss vom 03. Januar 2019 – 18 U 70/18 –, Rn. 33, juris).
So liegt die Sachlage im vorliegenden Fall. Vom Kläger als Kunden kann nicht erwartet werden, dass dieser konkrete Vorgänge in der Konzernstruktur der Beklagten im Einzelnen darstellt. Ihm fehlt es hierzu schlicht an Einblick in das Unternehmen. Insoweit ist es ausreichend, wenn der Käufer behauptet, dem Vorstand der Beklagten seien sämtliche Umstände bekannt gewesen. Es wäre dann Sache der Beklagten, konkret darzulegen, dass und wie einzelne Mitarbeiter unter Ausschluss des Vorstandes die mangelhafte Software pflichtwidrig beauftragen, bezahlen und verwenden ließen (OLG Köln, Beschluss vom 03. Januar 2019 – 18 U 70/18 –, juris).
c) Den Anforderungen der sekundären Darlegungslast ist die Beklagte nicht gerecht geworden, obwohl ihr nähere Angaben auch ohne Weiteres zuzumuten gewesen wären. Ein Unternehmen wie dasjenige der Beklagten muss eine Arbeitsorganisation vorhalten, in der wesentliche Entscheidungen dokumentiert und Kommunikationsflüsse nachvollziehbar sind. Ohne strukturierende Arbeits- und Verhaltensanweisungen, die Dokumentation der Arbeitsausführung und ein hierauf bezogenes Kontrollsystem wäre ein Unternehmen wie das der Beklagten nicht zu führen. Wollte man annehmen, dass durch einen Verzicht auf diese Mechanismen bewusst Entscheidungsfindungen verschleiert werden, wäre darin seinerseits ein Anhaltspunkt für eine sittenwidrige Verfahrensweise zu sehen. Das Unternehmen könnte sich allzu einfach auf das Versagen Einzelner berufen und sich von der eigenen Haftung freizeichnen (OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019 – 5 U 1318/18 –, Rn. 72, juris).
Trotzdem unterlässt die Beklagte es, konkrete Details ihres Geschäftsbetriebes darzustellen und Umstände vorzutragen, mit denen sie sich entlasten kann. Weder ist substantiierter Vortrag dazu erfolgt, wer – wenn nicht der Vorstand – das Vorgehen zu verantworten haben soll, noch ist substantiierter Vortrag dazu erfolgt, an welchen Kontrollinstanzen und aus welchen Gründen ggf. eine Verhinderung solchen Fehlverhaltens gescheitert sein soll. Der unterbleibende Vortrag ist umso kritischer zu sehen, als die Beklagte sich bereits seit Längerem damit berühmt, selbst eine Er mittlung in die Wege geleitet zu haben. Dass diese Ermittlung auch nach mehreren Jahren noch keine konkreten Ergebnisse hervorgebracht haben soll, erscheint schlichtweg nicht glaubhaft.
1.3
Dem Anspruch des Klägers steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte nicht Herstellerin des Fahrzeuges ist, nachdem jedenfalls der mit der Software versehene Motor unstreitig von der Beklagten stammt.
Die betroffenen Motoren wurden den zum VW-Konzern gehörenden Herstellern, wie vorliegend der Marke Skoda, gerade zum Zweck der Weiterveräußerung überlassen. Die Beklagte musste daher damit rechnen, dass die Motoren in entsprechende Fahrzeuge eingebaut und an den Endkunden zum Gebrauch im Straßenverkehr weiterveräußert werden. Mithin war es die Beklagte, die die Veräußerungskette in Gang gesetzt und die Motoren damit in den Verkehr gebracht hat. Der Umstand, dass die Motoren in einem Zwischenschritt von einem weiteren Konzernunternehmen noch in ein Fahrzeug eingesetzt wurden, unterbricht diese Kausalkette nach Auffassung der Kammer nicht.
1.4
Der Kläger hat einen Schaden erlitten, indem er einen für ihn nachteiligen Kaufvertrag abgeschlossen hat.
Schaden im Sinne des § 826 BGB ist jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses oder Belastung mit einer ungewollten Verbind lichkeit, gleichgültig ob vermögensrechtlicher oder nicht vermögensrechtlicher Art (Palandt/Sprau, 78. Aufl. 2019, § 826 Rn.3).
Vorliegend blieb das vom Kläger erworbene Fahrzeug infolge der eingesetzten Software hinter den Erwartungen zurück, die ein verständiger Käufer haben durfte. Jedenfalls im Hinblick auf die damit zunächst verbundenen Unsicherheiten für die EG-Typengenehmigung und die Betriebszulassung entsprach das Fahrzeug nicht dem Standard, für den es verkauft worden war. Es drohte
1 O 118/20 – Seite 11 –
die Entziehung der EG-Typengenehmigung oder die Androhung von Nebenbestimmungen und in letzter Konsequenz die Stilllegung des Fahrzeuges. Auf diese Weise war der Hauptzweck des Fahrzeuges gefährdet (so auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05. März 2019 – 13 U 142/18 –, Rn. 19, juris), das Fahrzeug für den Kläger als Erwerber nicht voll brauchbar.
1.5
Die Beklagte hat diesen Vermögensschaden verursacht.
Hätte die Beklagte die Motoren des Typs EA 189 nicht mit der manipulativ wirkenden Software zur Motorsteuerung ausgerüstet und die so ausgestatteten Motoren nicht zwecks Weiterverwendung an den Fahrzeughersteller veräußert, hätte der Kläger das hier streitgegenständliche Fahrzeug nicht erwerben können (OLG Köln, Beschluss vom 03. Januar 2019 – 18 U 70/18 –, Rn. 41, juris).
Da der Kläger das Fahrzeug evident zum Zwecke der Nutzung im Straßenverkehr erworben hat, steht auch zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger die Vorstellung hatte, dass die für diesen Betrieb erforderliche Typengenehmigung und Betriebszulassung vorhanden sind und nicht in Zweifel stehen (so auch OLG Köln, Beschluss vom 03. Januar 2019 – 18 U 70/18 –, Rn. 41, ju ris). Vor diesem Hintergrund kann entgegen der Auffassung der Beklagten auch keinesfalls davon ausgegangen werden, dass der Kläger auch in Kenntnis der Software das Fahrzeug erworben hätte.
1.6
Der Kläger muss sich auch nicht auf die Durchführung eines Software-Updates verweisen lassen.
Zunächst kommt es für die Frage, ob ein Schaden eingetreten ist, allein auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses an. Das später von der Beklagten zur Erfüllung der von dem Kraftfahrtbundesamt gemachten Vorgaben entwickelte Software Update ist insoweit lediglich als ein Angebot zur Schadenswiedergutmachung zu bewerten (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.03.2019 – 13 U 142/18 – juris, RN 20).
Zwar finden auch im Rahmen des § 826 BGB die Grundsätze der Schadensminderungspflicht uneingeschränkt Anwendung. Anders als ein fahrlässiges Mitverschulden tritt die Schadensminderungspflicht auch bei Vorsatz des Schädigers oder Betrug nicht zurück (Palandt/Grüneberg, 78. Aufl. 2019, § 826 Rn.16 a.E., § 254 Rn.65).
Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht ist im Rahmen des § 254 Abs.2 S.1 BGB dabei anzunehmen, wenn der Geschädigte Maßnahmen unterlässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Schadensabwendung oder -minderung ergreifen würde; dabei ist der entscheidende Abgrenzungsmaßstab der Grundsatz von Treu und Glauben. Spekulative Risiken muss er dabei nicht eingehen (Palandt/Grüneberg, aaO, § 254 Rn.36).
Bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände ist es in der vorliegenden Konstellation nach Auffassung der Kammer jedoch unzumutbar, den Kläger auf die Durchführung des Software-Updates zu verweisen. Zwar wurde das Update von den zuständigen Behörden genehmigt, um einen gesetzmäßigen Zustand herzustellen. Auch erfolgt das Update für den Kunden kostenlos und unter Ermöglichung einer Ersatzmobilität. Im Hinblick auf die zwischenzeitlich erfolgte, umfassende Aufarbeitung des sog. „Abgasskandals“ in den Medien und die vielseitig verlautbarten Befürchtungen von Folgeschäden des Updates für die Dauerhaltbarkeit von Fahrzeugen ist die Kammer jedoch davon überzeugt, dass, auch wenn tatsächlich das Update keine Folgeprobleme nach sich ziehen sollte, an dem streitgegenständlichen Fahrzeug stets ein Makel verbleiben wird. Die betroffenen Fahrzeuge sind zwischenzeitlich in einem Maße in Verruf geraten, dass ein Festhalten an dem Fahrzeug für den Geschädigten auch nach erfolgreicher Durchführung des Software-Updates nicht mehr zumutbar ist.
Der Streit der Parteien, inwieweit das Update zu Folgeschäden tatsächlich führen kann oder bereits geführt hat, ist vor diesem Hintergrund unerheblich.
1.7
Der Schadensersatzanspruch richtet sich im Rahmen des § 826 BGB auf das negative Interesse. Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er ohne Eintritt des schädigenden Ereignisses stünde.
Der Kläger hätte zur Überzeugung der Kammer ohne die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung – also das Inverkehrbringen des manipulierten Motors und das Verschweigen des Einbaus der Abgasabschalteinrichtung – den für ihn nachteiligen Kaufvertrag nicht oder aber nicht zu den hier vereinbarten Bedingungen geschlossen. Er hätte mithin das Fahrzeug nicht erhalten und den Kaufpreis nicht gezahlt. Die Beklagte hat dem Kläger daher den Kaufpreis zurückzuerstatten, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeuges (OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019 – 5 U 1318/18 –, Rn. 103, juris).
1.8
Die Ansprüche des Klägers sind auch nicht verjährt.
Der Anspruch aus § 826 BGB unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren, § 195
BGB. Nach § 199 Abs.1 BGB konnte diese Frist erst mit Kenntnis der Klagepartei von den anspruchsbegründenden Umständen zu laufen beginnen. Eine Verjährung käme damit dann in Be tracht, wenn der Kläger bereits im Jahr 2016 Kenntnis von allen Umständen der Manipulation er halten hätte. Dies hat die für eine Verjährung darlegungs- und beweisbelastete beklagte Partei (vgl. Palandt/Ellenberger, 78. Aufl. 2019, Überbl v § 194 Rn.24) nicht nachgewiesen.
Der Kläger hat im Rahmen seiner informatorischen Anhörung angegeben, dass er zwar mitbekommen habe, dass es eine Musterfeststellungsklage wegen Dieselfahrzeugen gegeben habe. Dies habe er allerdings nicht mit seinem Fahrzeug in Verbindung gebracht. Er sei jedoch dann von VW angeschrieben worden, um das Update durchführen zu lassen. Dies müsste im Jahr 2017 gewesen sein. Aufgrund dessen sei das Update dann auch bei der Fa. Stoltmann durchgeführt worden.
Zwar konnte der Kläger das Aufforderungsschreiben der Beklagten nicht mehr vorlegen, der Kammer ist jedoch aus anderen Verfahren bekannt, dass die Aufforderungsschreiben für die Tochterfirma Skoda erst Ende 2016 bzw. im Jahr 2017 an die betroffenen Kunden versendet worden sind. Die Kammer sieht daher keinen Anlass, diese plausiblen und nachvollziehbaren Angaben des Klägers in Frage zu stellen. Auch hat die Beklagte die Behauptungen der Klägerseite im Schriftsatz vom 16.10.2020, wonach das Update im Juli 2017 kurz nach Erhalt des Rückruf schreibens der Beklagten durchgeführt worden sei, nicht bestritten. Der Vortrag der Klägerseite gilt mithin als zugestanden, § 138 Abs. 3 ZPO.
Auf dieser Grundlage kann von einer Verjährung nicht ausgegangen werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Kläger jedenfalls nicht vor dem Jahr 2017 Kenntnis der anspruchsbegrün denden Umstände hatte.
Insbesondere reicht allein der Umstand, dass von der Beklagten im Jahr 2015 im Rahmen einer Ad-hoc-Mitteilung der Einsatz der Umschaltlogik öffentlich gemacht wurde, für den Beginn der Verjährungsfrist nicht aus. Die Ad-hoc-Mitteilung war bereits nicht an die Kunden, sondern an die Aktionäre der Beklagten, mithin einen ganz anderen Adressatenkreis mit gänzlich anderem Hin tergrund und Interessenfeld gerichtet. Selbst wenn er hiervon Kenntnis erlangte, wurde aus dieser Mitteilung für den einzelnen Kunden keinesfalls deutlich, ob sein konkretes Fahrzeug von der The matik betroffen ist. Dies gilt umso mehr für Kunden, die keinen VW, sondern ein Fahrzeug einer Tochterfirma erworben hatten.
Entgegen den Ausführungen der Beklagten kann nach Auffassung der Kammer auch nicht schon aufgrund der 2015 ergangenen Berichterstattung und der Möglichkeit, auf einem Portal der Be klagten die eigene FIN zu überprüfen, auf eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des
Klägers von der Umschaltlogik geschlossen werden.
Die Medienberichterstattung zu der Thematik war vielseitig und umfangreich, ohne dass hieraus jedoch der einzelne Kunde sichere Rückschlüsse auf die Betroffenheit seines eigenen Fahrzeu ges hätte ziehen können. Es konnte auch von einem Kunden der Beklagten, der bereits ein Fahr zeug von dieser erworben hatte, nicht erwartet werden, dass dieser aktiv die Betroffenheit seines Fahrzeuges überprüft. Im Falle der hier vorliegenden sittenwidrigen Schädigung war es vielmehr an der Beklagten, den einzelnen Kunden von seiner individuellen Betroffenheit zu informieren. Dies gilt umso mehr, als ohnehin zeitnah nach Bekanntwerden der Problematik eine Rückrufakti on angekündigt wurde, in deren Rahmen alle betroffenen Kunden angeschrieben werden muss ten. Ohne konkreten Nachweis einer positiven Kenntnis des Betroffenen aus anderen Umständen kann daher erst mit Zugang eines individuellen Anschreibens von einer die Verjährung in Gang setzenden Kenntnis ausgegangen werden.
Vor dem Zugang einer solchen Information und der damit einhergehenden sicheren Kenntnis der eigenen Betroffenheit war einem Kunden nach Auffassung der Kammer auch eine Klage noch nicht zumutbar.
Auf dieser Grundlage ist davon auszugehen, dass die Verjährungsfrist für die Ansprüche des Klä gers frühestens mit Ablauf des Jahres 2017 zu laufen begonnen hat, sodass Verjährung noch nicht eingetreten ist.
1.9
Der Kläger muss sich jedoch im Rahmen des Vorteilausgleichs einen Nutzungsersatz von seinem Anspruch in Abzug bringen lassen (so auch BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, BeckRS 2020, 10555, beck-online).
a) Der Kläger hatte in Folge des für ihn an sich nachteiligen Kaufvertragsabschlusses für den Zeitraum, in dem ihm das streitgegenständliche Fahrzeug zur Verfügung stand, einen Nutzungs vorteil. Auch wenn der jetzt geltend gemachte Schadensersatzanspruch zu einer faktischen Rückabwicklung des Kaufes führt, konnte der Kläger doch in einer Zeit von mehreren Jahren das Fahrzeug seinem Zweck entsprechend im Straßenverkehr uneingeschränkt gebrauchen. Diesen Vorteil muss er schadensmindernd gegen sich gelten lassen. Die Berücksichtigung des Vorteil ausgleichs erfolgt in Form der Anrechnung, ohne dass es einer Gestaltungserklärung oder Einre de des Schädigers bedarf (Palandt/Grüneberg, aaO, Vorb v § 249 Rn.71).
b) Die abzuziehende Nutzungsentschädigung errechnet sich dabei nach der Formel
Gebrauchtsvorteil = Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer /erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt
Wie die Restlaufleistung des Fahrzeuges zu bemessen ist, hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 25.05.2020 (Az. VI ZR 252/19, BeckRS 2020, 10555, beck-online) dem Ta trichter nach § 287 ZPO überlassen. Die Kammer geht dabei im Rahmen der richterlichen Schät zung nach § 287 ZPO von einer Gesamtlaufleistung von 250.00 km aus. Insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Technisierung der Fahrzeuge und der immer komplexer werden den Elektronik kann nach Auffassung der Kammer von einer höheren Gesamtlaufleistung – auch wenn diese in Einzelfällen erreicht werden mag – jedenfalls durchschnittlich nicht ausgegangen werden. Es handelte sich vorliegend auch nicht um ein Fahrzeug, das ersichtlich auf eine beson ders umfangreiche oder robuste Nutzung gerichtet gewesen wäre, wie man es etwa bei einem Lieferwagen oder einem Großraum-Van annehmen könnte.
Der Bruttokaufpreis betreffend des Fahrzeuges lag vorliegend bei 33.600,00 €. Seit dem Erwerb des Fahrzeuges bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung hat der Kläger mit dem Fahrzeug eine Strecke von 35.588 km (35.613 km bei Schluss der mündlichen Verhandlung – 25 km bei Erwerb) zurückgelegt.
Die zu erwartende Restlaufleistung betrug zum Erwerbszeitpunkt 249.975 km (250.000 km – 25 km). Hieraus ergibt sich nach der oben angeführten Formel eine Nutzungsentschädigung von 4.783,50 €, die von dem Kaufpreis in Abzug zu bringen ist, so dass ein Betrag von 28.816,49 € verbleibt.
Der Kläger hat jedoch mit Klageantrag zu 1) lediglich einen Betrag in Höhe von 28.813,61 € gel tend gemacht, woran die Kammer gemäß § 308 ZPO gebunden ist. Der Anspruch des Klägers reduziert sich mithin auf die eingeklagten 28.813,61 €.
2.
Die Beklagte befindet sich mit der Rücknahme des streitgegenständlichen Fahrzeuges in Annah meverzug, § 293 BGB.
Im vorgerichtlichen Aufforderungsschreiben vom 07.04.2020 hat der Kläger die Beklagte zur Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückübertragung des Fahrzeuges aufgefor dert. Hierin ist ein wörtliches Angebot zur Rücknahme des Fahrzeuges im Sinne des § 295 BGB
zu sehen. Dieses war ausreichend, um die Beklagte wirksam in Annahmeverzug zu setzen. Im Rahmen von Schadensersatzpflichten aus unerlaubter Handlung ist der Schadensersatz dort zu leisten, wo der Herstellungspflicht genügt werden kann, also an dem Ort, an dem sich der beschädigte Gegenstand befindet bzw. ohne das schädigende Ereignis befinden würde (BeckOK BGB/Lorenz, 50. Ed. 1.5.2019, BGB § 269 Rn. 38 m.w.N.). Demgemäß muss die Beklagte das Fahrzeug beim Kläger abholen.
3.
Ein Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus § 826, § 249 BGB besteht lediglich in Höhe einer 1,3 Geschäftsgebühr aus dem zugesprochenen Streitwert von 28.813,61 €. Zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer ergibt sich ein Betrag in Höhe von 1.358,86 €.
4.
Der Anspruch auf Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit ergibt sich aus § 291 BGB.
III.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, § 269 Abs. 3 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit resultiert aus § 709 S.1, 2 ZPO.
Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen die Entscheidung kann das Rechtsmittel der Berufung eingelegt werden. Die Berufung ist nur zuläs sig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 600 Euro übersteigt oder das Gericht des ersten Rechtszu ges die Berufung im Urteil zugelassen hat.
Die Berufung ist binnen einer Notfrist von einem Monat bei dem
Pfälzischen Oberlandesgericht Zweibrücken
Schlossplatz 7
66482 Zweibrücken
einzulegen.
Die Frist beginnt mit der Zustellung der vollständigen Entscheidung, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung der Entscheidung.
Die Berufung muss mit Schriftsatz durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt eingelegt werden. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung und die Erklärung enthalten, dass Berufung eingelegt werde.
Die Berufung muss binnen zwei Monaten mit Anwaltsschriftsatz begründet werden. Auch diese Frist beginnt
1 O 118/20 – Seite 17 –
mit der Zustellung der vollständigen Entscheidung.
Rechtsbehelfe können auch als elektronisches Dokument eingereicht werden. Eine einfache E-Mail genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht.
Das elektronische Dokument muss
– mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder – von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden.
Ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Per son versehen ist, darf wie folgt übermittelt werden:
– auf einem sicheren Übermittlungsweg oder
– an das für den Empfang elektronischer Dokumente eingerichtete Elektronische Gerichts- und Verwal tungspostfach (EGVP) des Gerichts.
Wegen der sicheren Übermittlungswege wird auf § 130a Absatz 4 der Zivilprozessordnung verwiesen. Hin sichtlich der weiteren Voraussetzungen zur elektronischen Kommunikation mit den Gerichten wird auf die Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das be sondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) in der jeweils geltenden Fassung sowie auf die Internetseite www.justiz.de verwiesen.
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