Urteil im Abgasskandal, Landgericht Bielefeld, Urteil vom 24.02.2021, Aktenzeichen: 8 O 419/20
Landgericht Bielefeld
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
des Herrn D….
Kläger,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Kraus I Ghendler I Ruvinskij, Bachemstraße 8, 50676 Köln,
gegen
die Volkswagen AG, vert.d.d.Vorstand, d. vertr. d. d. Herbert Diess, Oliver Blume, Gunnar Kilian, Andreas Renschler, Abraham Schott, Dr. Stefan Sommer, Hiltrud Werner, Frank Witter, Berliner Ring 2, 38440 Wolfsburg,
Beklagte,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Koenig & Partner GbR, Spiekerhof 36/37, 48143 Münster,
hat die 8. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld
auf die mündliche Verhandlung vom 24.02.2021
durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Engelke als Einzelrichter für Recht erkannt:
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 34.991,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.01.2021 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi Q3 2.0 TDI quattro, Fahrzeug-Ident.-Nr. ….
- Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des Fahrzeugs zu 1) in Annahmeverzug befindet.
- Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.437,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.01.2021 zu zahlen.
- Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
- Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten als Herstellerin des vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Motors die Rückabwicklung des Kaufvertrags hinsichtlich des betroffenen Fahrzeugs.
Der Kläger erwarb am 29.06.2015 das Neufahrzeug Audi Q3 zu einem zu einem Kaufpreis in Höhe von 39.500,00 EUR. Derzeit weist das Fahrzeug eine Laufleistung von 49.735 km auf.
In das Fahrzeug ist ein Dieselmotor EA 288 eingebaut. In der Motorsteuerung hatte die Beklagte eine Software eingebaut, die erkennt, ob sich das Fahrzeug in einer standardisierten Testsituation befindet und dann in einen bestimmten Betriebsmodus schaltet. In diesem Modus ist die Abgasrückführung höher, so dass der Stickstoff-Ausstoß geringer ist. Im normalen Fahrbetrieb ist die Abgasrückführungsrate im Vergleich zum Prüfstand geringer.
Die Beklagte hat am 19.10.2015 ein internes Dokument herausgegeben, das mit „Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA288“ bezeichnet ist und auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird.
Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe arglistig getäuscht, betrogen und gegen die guten Sitten verstoßen. Hierzu behauptet er, dass der damalige Vorstand von dem Einbau und dem Einsatz der Software gewusst hätte. Der Schaden bestehe darin, dass er ein Geschäft abgeschlossen habe, das er bei Kenntnis der Sachlage nicht vorgenommen hätte. Die Naturalrestitution müsse deshalb dahin gehen, dass er so gestellt würde, als hätte er das Fahrzeug nicht gekauft.
Der Kläger beantragt:
1) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 34.991,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Audi Q3 2.0 TDI quattro, Fahrzeug-Ident.-Nr.
2) Es wird festgestellt, dass die Beklagte sich mit der Entgegennahme des Fahrzeugs aus dem Antrag zu 1) in Annahmeverzug befindet.
3) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 1.437,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit für die außergerichtliche anwaltliche Rechtsverfolgung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bestreitet mit am 22.02.2021 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz, dass beim hier streitgegenständlichen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt und hält das klägerische Vorbringen insoweit für unsubstantiiert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des für den Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs verauslagten Kaufpreises abzüglich eines Vorteilsausgleichs für die vom Kläger gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Übergabe des Kraftfahrzeuges. Gemäß § 826 BGB ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, diesem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen hier vor.
a) Die Beklagte hat den Kläger durch das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit der manipulierten Motorsteuerungssoftware konkludent getäuscht.
Mit dem Inverkehrbringen eines Fahrzeugs gibt ein Hersteller nämlich konkludent die Erklärung ab, dass der Einsatz dieses Fahrzeugs entsprechend seinem Verwendungszweck im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig ist, d.h. insbesondere, dass das Fahrzeug über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, Juris Rz. 11; vgl. auch OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019, 5 U 1318/18, Juris Rz. 22). Dies war vorliegend nicht der Fall, weil die Manipulationen an der Motorsteuerungssoftware als verbotene Abschalteinrichtung zu qualifizieren sind (vgl. Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. L 171 vom 29. Juni 2007, nachfolgend: VO 715/2007/EG). Dies hat zur Folge, dass ohne das Aufspielen des später von der Beklagten entwickelten Software-Updates ein Widerruf der Typengenehmigung und eine damit einhergehende Stilllegung des Fahrzeuges gedroht hätte.
Ein Hersteller, der ein neues Fahrzeug zur Nutzung im Straßenverkehr auf den Markt bringen will, ist verpflichtet, das erforderliche Zulassungs- und Genehmigungsverfahren durchzuführen. Er hat beim Kraftfahrt-Bundesamt als zuständige Behörde gemäß § 2 Abs. 1 Fahrzeuggenehmigungsverordnung (EG-FGV) insbesondere eine “EG-Typengenehmigung” zu erwirken und für jedes dem genehmigten Typ entsprechendes Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung auszustellen und dem Fahrzeug beizufügen.
Stellt das Kraftfahrt-Bundesamt nach Erteilung einer formell wirksamen EG-Typengenehmigung fest, dass ein Fahrzeug nicht die materiellen Voraussetzungen für den genehmigten Typ einhält, kann es zur Beseitigung aufgetretener Mängel und zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit auch bereits im Verkehr befindlicher Fahrzeuge entweder gemäß § 25 Abs. 2 EG-FGV Nebenbestimmungen zur EG-Typengenehmigung anordnen oder gemäß § 25 Abs. 3 EG-FGV die EG-Typengenehmigung ganz oder teilweise widerrufen. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) dürfen Fahrzeuge nur in Betrieb gesetzt werden, wenn sie zum Verkehr zugelassen sind. Dies setzt gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 FZV voraus, dass sie einem genehmigten Typ entsprechen. Wird die EG-Typengenehmigung entzogen oder mit Nebenbestimmungen versehen, entspricht das Fahrzeug – im Fall der Nebenbestimmung bis zur Nachrüstung – keinem genehmigten Typ mehr. Die Zulassungsbehörde kann dem Eigentümer oder Halter dann gemäß § 5 Abs. 1 FZV eine Frist zur Beseitigung der Mängel setzen oder den Betrieb auf öffentlichen Straßen beschränken oder untersagen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, Juris Rz. 12; vgl. nur Hessischer VGH, Beschluss vom 20. März 2019, 2 B 261/19, Juris Rz. 10 f.).
Vor diesem Hintergrund kann der Käufer eines Kraftfahrzeugs, der es im Straßenverkehr verwenden will, nicht nur davon ausgehen, dass im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs die notwendige EG-Typengenehmigung formal vorliegt. Ebenso kann er auch erwarten, dass keine nachträgliche Rücknahme oder Änderung der Typengenehmigung droht, weil die materiellen Voraussetzungen bereits bei deren Erteilung nicht vorgelegen haben (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, Juris Rz. 13; OLG Köln, Beschluss vom 16. Juli 2018, 27 U 10/18, Juris Rz. 4 f.). Über eine dauerhaft ungefährdete Betriebserlaubnis verfügte das vom Kläger erworbene Fahrzeug schon deshalb nicht, weil die installierte Motorsteuerungssoftware eine “Umschaltlogik” enthielt, die als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) 715/2007 zu qualifizieren ist (zur Einordnung als unzulässige Abschalteinrichtung siehe BGH, Beschluss vom 8. Januar 2019, VIII ZR 225/17, Juris Rz. 5 ff.). Aus diesem Grund lagen die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung einer EG-Typengenehmigung nicht vor (BGH, Beschluss vom 8. Januar 2019, VIII ZR 225/17, Juris Rz. 5 ff., OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, Juris Rz. 15; vgl. auch OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019, 5 U 1318/18, Juris Rz. 27 f.).
b) Der klägerische Vortrag zur vorstehenden unzulässigen Abschalteinrichtung beim Motor des Typs EA 288 war zwischen den Parteien als unstreitig zugrunde zu legen.
Zwar hat die Beklagte mit ihrer Klageerwiderung vom 22.02.2021 das Vorbringen des Klägers einfach bestritten und als unsubstantiiert eingeordnet. Dieses bestreiten war jedoch prozessual unbeachtlich.
aa) Zum einen war das Vorbringen präkludiert im Sinne des § 296 Absatz 1 ZPO.
Das Gericht hatte der Beklagten mit der Terminierung eine Frist zur Klageerwiderung von zwei Wochen gesetzt, die am 28.01.2021 ablief. Auch unter Berücksichtigung der der Beklagten gewährten Fristverlängerung bis zum 09.02.2021 hat die Beklagte materiell nicht erwidert. Die Klageerwiderung ist vielmehr erst am 22.02.2021 und damit zwei Tage vor dem Termin bei Gericht und damit verspätet eingegangen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat hierauf Schriftsatzfrist im Hinblick auf die ihm noch gänzlich unbekannte Klageerwiderung beantragt, die ihm auch hätte gewährt werden müssen, die dann allerdings zur Verzögerung des Rechtsstreits geführt hätte. Das Gericht sah sich mithin gehindert, das Vorbringen aus der Klageerwiderung zu berücksichtigen.
bb) Lediglich der Vollständigkeit halber weist das Gericht darauf hin, dass das Vorbringen in der Klageerwiderung zur unzulässigen Abschalteinrichtung auch dann prozessual unbeachtlich wäre, wenn man es nicht als verspätet zurückweisen würde. Denn die Klägerseite hat zur Abschalteinrichtung unter Vorlage von Auszügen aus dem mit „Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA 288“ bezeichneten, internen Dokument der Beklagten qualifiziert vorgetragen.
Aus diesem internen Dokument geht hervor, dass für den NEFZ-Zyklus die Zielwerte der Beklagten um den Faktor bis zu 1,5 über den EU-Vorgaben und 80 mg/Kilometer und damit in einem Bereich bis zu 120 mg/Kilometer liegen. Darüber hinaus wird im Rahmen des Dokuments die Erkennung des
Prüfstandlaufs durch die verbaute Software beschrieben, um die Abgasnachbehandlung „nur streckengesteuert zu platzieren“.
Unter Berücksichtigung dieses qualifiziertes Vorbringen zwar ein einfaches bestreiten der Beklagten nicht ausreichend. Sie wäre stattdessen als Herstellerin des streitgegenständlichen Motors zu substantiiertem Bestreiten verpflichtet gewesen. Ein solcher ist in der Klageerwiderung jedoch nicht vorhanden.
c) Durch diese Täuschung hat der Kläger einen Vermögensschaden erlitten, der in dem Abschluss des Kaufvertrages zu sehen ist (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, Juris Rz. 17; OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019, 5 U 1318/18, Juris Rz. 80; Heese, NJW 2019, 257, 260).
§ 826 BGB knüpft nicht an die Verletzung bestimmter Rechte und Rechtsgüter an, weshalb der nach dieser Norm ersatzfähige Schaden weit verstanden wird. Schaden ist danach nicht nur jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, sondern darüber hinaus jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses und jede Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung (BGH, Urteile vom 19. November 2013, VI ZR 336/12, Juris Rz. 28; vom 21. Dezember 2004, VI ZR 306/03, Juris Rz. 17; vom 19. Juli 2004, II ZR 402/02, Juris Rz. 41).
Nach diesen Grundsätzen kommt es nicht darauf an, ob das Fahrzeug im Zeitpunkt des Erwerbs im Hinblick auf die unzulässige Abschalteinrichtung einen geringeren Marktwert hatte. Der Schaden des in die Irre geführten Käufers liegt in der Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit, nicht erst in dadurch verursachten wirtschaftlichen Nachteilen. Entscheidend ist allein, dass der abgeschlossene Vertrag, nämlich die Eigenschaften des Kaufgegenstands, nicht den berechtigten Erwartungen des Getäuschten entsprach und überdies die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar war (vgl. BGH, Urteil vom 28.Oktober 2014, VI ZR 15/14, Juris Rz. 16 ff.). Beide Voraussetzungen waren im – maßgeblichen – Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses gegeben, weil vorliegend wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung die Entziehung der
EG-Typgenehmigung drohte bzw. die Anordnung von Nebenbestimmungen sowie bei deren Nichterfüllung die Stilllegung des Fahrzeugs. Wegen des zur
Rechtswidrigkeit der EG-Typgenehmigung führenden und damit die Zulassung des Fahrzeugs gefährdenden Mangels war der Hauptzweck des Fahrzeugs, dieses im öffentlichen Straßenverkehr zu nutzen, bereits vor einer tatsächlichen Stilllegung unmittelbar gefährdet. Denn wird die EG-Typgenehmigung entzogen, droht die Stilllegung, werden Nebenbestimmungen angeordnet, ist die fortdauernde Nutzbarkeit von einer Nachrüstung des Fahrzeugs durch den Hersteller abhängig.
Für die Beurteilung der Frage, ob ein Schaden eingetreten ist, kommt es allein auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses an. Der Schaden entfällt nicht durch die – nach Vertragsschluss durchgeführte – Installation des von der Beklagten zur Erfüllung der vom Kraftfahrt-Bundesamt angeordneten Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung entwickelten Software-Updates, weil dadurch die ungewollte Belastung mit einer Verbindlichkeit nicht entfällt. Das Update ist insoweit nicht zu berücksichtigen und rechtlich lediglich als Angebot zur Verhinderung weiterer Nachteile zu bewerten (OLG Karlsruhe, Urteil vom 5. März 2019, 13 U 142/18, Juris Rz. 20; vgl. auch OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019, 5 U 1318/18, Juris Rz. 98).
d) Die Täuschungshandlung der Beklagten ist als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB zu qualifizieren. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretene Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Dabei kann sich die Verwerflichkeit auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteil vom 28. Juni 2016, VI ZR 536/15, Juris Rz. 16 mwN).
Gemessen an diesen Kriterien ist ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten zu bejahen. Als Beweggrund für das Inverkehrbringen des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs kommt allein eine von der Beklagten angestrebte Kostensenkung und Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen in Betracht. Zwar ist allein ein Handeln aus Gewinnstreben nicht als verwerflich zu qualifizieren. Im Hinblick auf das eingesetzte Mittel der Beklagten erscheint das Verhalten der Beklagten hier aber als verwerflich. Denn das Ausmaß der Schädigung, nämlich der Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Motor, der millionenfach verkauft wird, mit der damit einhergehenden hohen Zahl getäuschter Käufer rechtfertigt das besondere Unwerturteil. Dabei hat die Beklagte es in Kauf genommen, nicht nur ihre Kunden, sondern auch die Zulassungsbehörden zu täuschen und sich auf diese Weise die Betriebszulassung für die von ihr manipulierten Fahrzeuge zu erschleichen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, Juris Rz. 34 f.; OLG Köln, Beschluss vom 3. Januar 2019, 18 U 70/18, Juris Rz. 20 ff.; vgl. auch OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019, 5 U 1318/18, Juris Rz. 45 ff., Heese, NJW 2019, 257, 259, 262).
e) In subjektiver Hinsicht setzt § 826 BGB Schädigungsvorsatz sowie Kenntnis der Tatumstände, die das Verhalten als sittenwidrig erscheinen lassen, voraus.
Der erforderliche Schädigungsvorsatz bezieht sich darauf, dass durch die Handlung einem anderen Schaden zugefügt wird. Er enthält ein Wissens- und Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben. Es genügt dabei bedingter Vorsatz hinsichtlich der für möglich gehaltenen Schadensfolgen. Für den getrennt davon erforderlichen subjektiven Tatbestand der Sittenwidrigkeit genügt die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die das Sittenwidrigkeitsurteil begründen (vgl. Palandt-Sprau, BGB, 78. Aufl., § 826 Rz. 8).
Die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB setzt voraus, dass ein “verfassungsmäßig berufener Vertreter” im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand verwirklicht hat. Dabei müssen die erforderlichen Wissens- und Wollenselemente kumuliert bei einem Mitarbeiter vorliegen, der zugleich als verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des § 31 BGB anzusehen ist und auch den objektiven Tatbestand verwirklicht hat (BGH, Urteil vom 28. Juni 2016, VI ZR 536/15, Juris Rz. 13).
Vorliegend ist davon auszugehen, dass jedenfalls ein verfassungsmäßig bestellter Vertreter umfassende Kenntnis von dem Einsatz der manipulierten Software hatte und in der Vorstellung die Erstellung und das Inverkehrbringen der mangelhaften Motoren veranlasste, dass diese unverändert und ohne entsprechenden Hinweis an Kunden weiterveräußert werden würden. Denn es hätte der Beklagten im Rahmen einer sekundären Darlegungslast oblegen, näher dazu vorzutragen, inwieweit ein nicht als “verfassungsmäßig berufener Vertreter” im Sinne des § 31 BGB tätiger Mitarbeiter für die Installation der Software verantwortlich sein soll. Dem ist sie jedoch nicht nachgekommen.
Den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei trifft in der Regel eine sekundäre Darlegungslast, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hat, während dem Prozessgegner nähere Angaben dazu ohne weiteres möglich und zumutbar sind (st. Rspr., etwa BGH, Urteil vom 19. Juli 2019, V ZR 255/17, Juris Rz. 49 mwN). In diesen Fällen kann vom Prozessgegner im Rahmen des Zumutbaren das substantiierte Bestreiten der behaupteten Tatsache unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden (st. Rspr., etwa BGH, Beschluss vom 28. Februar 2019, IV ZR 153/18, Juris Rz. 10).
Das ist hier der Fall: Steht der Anspruchsteller – wie der Kläger – vollständig außerhalb des von ihm vorzutragenden Geschehensablaufs, dann reicht es aus, wenn man die allgemeine Behauptung des Anspruchstellers ausreichen lässt und auf eine weitere Substantiierung verzichtet. So liegt es jedenfalls dann, wenn konkrete Anhaltspunkte für diese Behauptung bestehen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 30. Juli 2019, 10 U 134/19, Juris Rz. 98 f. [zu behaupteten Abgasmanipulationen bei einem anderen Hersteller]). Bei dieser Sachlage genügt die Behauptung des Klägers, dem Vorstand bzw. einem verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten seien die in Millionen Fällen erfolgten Manipulationen an den Motoren bekannt gewesen. Dies gilt insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass verfassungsmäßig bestellte Vertreter auch Personen sind, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbstständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren. Da es der juristischen Person nicht freisteht, selbst darüber zu entscheiden, für wen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften will, kommt es nicht entscheidend auf die Frage an, ob die Stellung des “Vertreters” in der Satzung der Körperschaft vorgesehen ist oder ob er über eine entsprechende rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht verfügt (OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019, 5 U 1318/18, Juris Rz. 75 ff.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, Juris Rz. 51 ff. mwN; OLG Köln, Beschluss vom 3. Januar 2019, 18 U 70/18, Juris Rz. 33 ff.; offenlassend, aber für ein unzulässiges Bestreiten mit Nichtwissen OLG Karlsruhe, Urteil vom 18. Juli 2019, 17 U 160/18, Juris Rz. 115 ff., 119; vgl. auch OLG Stuttgart, Urteil vom 30. Juli 2019, 10 U 134/19, Juris Rz. 98 f.).
Angesichts der Tragweite der Entscheidung über die riskante Gestaltung der Motorsteuerungssoftware, die für eine Diesel-Motorengeneration konzipiert war, die flächendeckend konzernweit in Millionen Fahrzeugen eingesetzt werden sollte, erscheint es im Übrigen mehr als fernliegend, dass die Entscheidung für eine greifbar rechtswidrige Software ohne Einbindung des Vorstands oder eines verfassungsmäßig bestellten Vertreters erfolgt und lediglich einem Verhaltensexzess untergeordneter Konstrukteure zuzuschreiben sein könnte (vgl. Heese, NJW 2019, 257, 260). Dies gilt erst Recht, wenn man bedenkt, dass es sich um eine Strategieentscheidung mit außergewöhnlichen Risiken für den gesamten Konzern und massiven persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidende Personen handelte, wobei einem untergeordneter Konstrukteur in Anbetracht der arbeitsrechtlichen und strafrechtlichen Risiken kein annähernd adäquater wirtschaftlicher Vorteil gegenüber gestanden hätte.
Folge der sekundären Darlegungslast ist zum einen, dass der Anspruchsgegner sich nicht mit einem einfachen Bestreiten begnügen kann, sondern die Behauptungen des Gegners in zumutbarem Umfang durch substantiierten Vortrag entgegentreten muss. Genügt er dem nicht, gilt der Vortrag der Klagepartei als zugestanden, § 138 Abs. 3 ZPO. Zum anderen beziehen sich die Anforderungen an die Substantiierung der primären Darlegung des Anspruchstellers auf die allgemeine Behauptung der maßgebenden Tatbestandsmerkmale (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 3. Januar 2019, 18 U 70/18, Juris Rz. 34; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, Juris Rz. 61). Würde man nämlich darauf bestehen, dass der Anspruchsteller die handelnden Personen präzise benennen muss, würden die Grundsätze der sekundären Darlegungslast regelmäßig leerlaufen.
Danach wäre es Sache der Beklagten gewesen, durch konkreten Tatsachenvortrag Umstände darzulegen, aufgrund derer eine Kenntnis des Vorstands oder sonstigen Repräsentanten ausscheidet. Dies hätte vorliegend konkret die Benennung derjenigen Personen im Unternehmen notwendig gemacht, die die Entwicklung der streitgegenständlichen Softwarefunktion beauftragt bzw. welche diese bei einem Zulieferer bestellt hat sowie die Darstellung der üblichen Abläufe bei einer solchen Beauftragung und der Organisation von Entscheidungen solcher Tragweite. Sofern die Beklagte sich dann auf einen Handlungsexzess eines untergeordneten Mitarbeiters hätte berufen wollen, hätte sie Umstände vortragen müssen, die geeignet gewesen wären, einen solchen Ablauf ohne Kenntnis weiterer insbesondere leitender Mitarbeiter hinreichend wahrscheinlich erscheinen zu lassen.
Diesen Anforderungen genügt das Bestreiten der Beklagten nicht. Ihr Vortrag erschöpft sich im Wesentlichen darin vorzutragen, dass nach dem derzeitigen Stand der internen Ermittlungen, die noch nicht abgeschlossen seien, keine Erkenntnisse für eine Beteiligung oder Kenntnis einzelner Vorstandsmitglieder oder eines Repräsentanten der Beklagten vorhandenen seien, aufgrund derer man davon ausgehen müsste, dass diese von der Entwicklung der Software Kenntnis gehabt hätten. Konkreter Vortrag zu den Ergebnissen der internen Ermittlungen fehlt vollständig.
Die Kenntnis einer entweder der Unternehmensleitung angehörenden Person oder eines sonstigen Repräsentanten von der serienmäßigen rechtswidrigen Verwendung der Software schließt zwangsläufig die Billigung der Schädigung sämtlicher Erst- und Folgeerwerber der damit ausgestatteten Fahrzeuge ein. Auch die maßgeblichen Umstände für die Bewertung dieses Vorgehens als sittenwidrig sind bei dieser Sachlage der entscheidenden Person bekannt gewesen.
f.) Der Schadensersatzanspruch scheitert – entgegen den Ausführungen des Oberlandesgerichts Braunschweig (Urteil vom 19. Februar 2019, 7 U 134/17; Juris Rz. 186 ff) – nicht aufgrund des Schutzzwecks des § 826 BGB (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18 Juris Rz. 39 f., OLG Köln, Beschluss vom 3. Januar 2019, 18 U 70/19, Juris Rz. 39 ff).
Um das Haftungsrisiko in angemessenen und zumutbaren Grenzen zu halten, ist auch im Bereich des § 826 BGB der Haftungsumfang nach Maßgabe des Schutzzwecks der Norm zu beschränken (BGH, Urteil vom 11. November 1985, II ZR 109/84, Juris Rz. 15; siehe auch BGH, Urteil vom 3. März 2008, II ZR 310/06, Juris Rz. 15 mwN). Ein Verhalten kann hinsichtlich der Herbeiführung bestimmter Schäden, insbesondere auch hinsichtlich der Schädigung bestimmter Personen, als sittlich anstößig zu werten sein, während ihm diese Qualifikation hinsichtlich anderer, wenn auch ebenfalls adäquat verursachter Schadensfolgen nicht zukommt. Die Ersatzpflicht beschränkt sich in diesem Fall auf diejenigen Schäden, die dem in sittlich anstößiger Weise geschaffenen Gefahrenbereich entstammen (BGH, Urteil vom 11. November 1985, II ZR 109/84, Juris Rz. 15, vgl.
MünchKommBGB-Wagner, 7. Aufl., § 826 Rz. 46 mwN). Durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs mit der manipulierten Software ist aber – wie der Senat bereits ausgeführt hat – gerade der jeweilige Käufer durch den ungewollten Vertragsschluss in sittenwidriger Weise geschädigt.
h.) Der Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 249 ff. BGB richtet sich auf Ersatz des negativen Interesses (Palandt-Sprau, BGB, 78. Aufl., § 826 Rz. 15).
Auf der Rechtsfolgenseite kann der Kläger also verlangen, so gestellt zu werden, wie er stehen würde, wenn er das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben nicht abgeschlossen hätte. Der Kläger kann mithin die Rückzahlung des Kaufpreises verlangen, muss sich auf seinen Anspruch allerdings – wie er selbst einräumt – die von ihm gezogenen Nutzungen anrechnen lassen.
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung dem Geschädigten neben einem Ersatzanspruch nicht die Vorteile verbleiben dürfen, die durch das schädigende Ereignis zugeflossen sind. Gleichartige Gegenansprüche sind automatisch zu saldieren (BGH, Urteil vom 12. März 2009, VII ZR 26/06, Juris Rz. 16; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, Juris Rz. 112; Palandt-Grüneberg, BGB, 78. Aufl., Vorb v § 249 Rz. 71). Der Schadensersatzanspruch des Geschädigten ist nur mit dieser Einschränkung begründet. Darauf, ob der Schädiger die Herausgabe des Vorteils verlangt, kommt es nicht an.
Danach kann der Kläger im vorliegenden Fall die Erstattung des von ihm für den Erwerb des Fahrzeugs gezahlten Kaufpreis in Höhe von 39.508,- EUR abzüglich einer Entschädigung für die gezogenen Nutzungen in Höhe von 4.508,87 EUR, also Zahlung von 34.991,13 EUR, Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs an die Beklagte verlangen.
Den Wert der durch den Gebrauch des Kraftfahrzeugs gezogenen Nutzungen schätzt das Gericht nach der anwendbaren Methode des linearen Wertschwundes (vgl. zum Gebrauchtwagenkauf BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2014, VIII ZR 196/14, Juris Rz. 3 mwN; Urteil vom 9. April 2014, VIII ZR 215/13, Juris Rz. 11 ff. mwN) entsprechend § 287 ZPO auf insgesamt 4.508,87 EUR.
Dabei geht das Gericht davon aus, dass ein Fahrzeug der
streitgegenständlichen Art regelmäßig eine durchschnittliche Gesamtlaufleistung von 350.000 km erreicht.
Da der Kläger mit dem Fahrzeug 39.952 km gefahren ist, belaufen sich die von ihm gezogenen Nutzungsvorteile nach der Berechnungsformel:
(Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer) : (Gesamtlaufleistung – km-Stand bei Kauf).
2. Die Zinsentscheidung beruht im Übrigen auf §§ 291, 288 BGB.
3. Die Beklagte befindet sich im Annahmeverzug, §§ 293, 295 BGB. Der Kläger hat der Beklagten unter Fristsetzung das Fahrzeug zur Abholung zum Zwecke der Übergabe angeboten.
4. Die Erstattung beziehungsweise Freistellung von vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten kann der Kläger gemäß §§ 826, 249 BGB verlangen.
5. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 91, § 708 Ziffer 11, § 709, § 711 ZPO.
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