IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
Klägerin und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigte: Ghendler Ruvinskij Anwaltskanzlei PartG mbB, Köln,
g e g e n
die Volkswagen AG, vertreten durch den Vorstand Herrn Dr. Herbert Diess, Herrn Oliver Blume, Herrn Gunnar Kilian, Herrn Andreas Renschler, Herrn Abraham Schot, Herrn Dr. Stefan Sommer, Frau Hiltrud Dorothea Werner, Herrn Frank Witter, Berliner Ring 2, 38440 Wolfsburg,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte: KSP Rechtsanwalts GmbH, Hamburg,
hat der 21. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln
durch die Richterin am Oberlandesgericht Weber, die Richterin am Amtsgericht Helsper und den Richter am Oberlandesgericht Cremer
auf die mündliche Verhandlung vom 13. August 2020
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für Recht erkannt:
Unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung der Klägerin wird das Urteil der 32. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 09. Januar 2020 – 32 O 136/19 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 18.425,77 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Februar 2019 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Audi A 3 Sportback 1.6 TDI zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.055,95 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Februar 2019 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der obengenannten Zug-um-Zug Leistung in Annahmeverzug befindet.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
– Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 540 Absatz 2 ZPO aufgrund entsprechender Anwendung des § 313 a ZPO abgesehen. –
Gründe
Die in formeller Hinsicht unbedenkliche Berufung der Klägerin hat in der Sache im Rahmen des zuletzt verfolgten Klageantrages Erfolg.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB in Höhe des für den Erwerb des im Tenor näher bezeichneten Fahrzeuges durch Vertrag vom 23. April 2013 aufgewandten Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich des
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Ersatzes für den erlangten Nutzungswert Zug um Zug gegen Übereignung des von ihr erworbenen Fahrzeuges sowie der Finanzierungskosten nebst Zinsen zu.
Die Klägerin ist durch das gegen die guten Sitten verstoßende Verhalten der Beklagten von dieser vorsätzlich geschädigt worden. Der Senat verweist hinsichtlich der rechtlichen Ausführungen auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, WM 2020, 1078-1089, juris: Tz. 25 ff.), dem er sich insoweit anschließt.
Entgegen dem vom Landgericht verfochtenen Standpunkt haftet die Beklagte nach ständiger Rechtsprechung des Senates (vergleiche Urteil vom 02. April 2020 – 21 U 70/19, juris) als Hersteller des Motors, auch wenn dieser in einen Audi eingebaut wurde.
Aufgrund des durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten mitveranlassten Abschlusses des Kaufvertrages steht der Klägerin im Rahmen der Naturalrestitution gemäß § 249 Absatz 1 BGB ein Anspruch auf Rückgängigmachung der Folgen dieses Vertrags zu, so dass ein Ausgleich der für den Vertrag getätigten Aufwendungen durch den Schädiger gegen Herausgabe des aus dem Vertrag Erlangten zu erfolgen hat.
Die Kausalität wird nicht dadurch in Zweifel gezogen, dass die Klägerin von der Möglichkeit des ihr im Darlehnsvertrag vom 22. Mai 2013 verbrieften Rückgaberechts keinen Gebrauch gemacht hat. Da der Schadensersatzanspruch nach ständiger Rechtsprechung bereits mit Abschluss des nachteiligen Kaufvertrages entsteht, kann aus späterem Verhalten grundsätzlich nicht – wie die Beklagte meint – ein Rückschluss auf die Motivlage bei Vertragsschluss gezogen werden. Hierin kann auch keine Bestätigung des Kaufvertrages – entsprechend der Wertung von § 144 BGB – gesehen werden. Der Nichtausübung des verbrieften Rückgaberechtes kann – bei Auslegung entsprechend den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB – nicht der Erklärungsgehalt entnommen werden, der Käufer wolle – auch in Kenntnis der Betroffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeuges von dem Abgasskandal – an den wirtschaftlichen Auswirkungen des Kaufvertrages festhalten. Aus Sicht des Käufers kann es nämlich durchaus wirtschaftlich vorteilhaft sein, das vom Abgasskandal betroffene Fahrzeug nicht auf der Grundlage des verbrieften Rückgaberechtes zurückzugeben, sondern auf der Grundlage der §§ 826, 31 BGB einen Schadenersatz geltend zu machen. Dass die wirtschaftlichen Nachteile des Erwerbers eines vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeuges auch im Rahmen des verbrieften Rückgaberechtes vollumfänglich Berücksichtigung finden würden, ist weder von der
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Beklagten dargelegt worden noch aus der zur Akte gereichten Vertragsdokumentation ersichtlich (vergleiche OLG Köln, Urteil vom 17. Januar 2020 – 19 U 157/19, juris: Tz. 40).
Das Verhalten der Klägerin verstößt auch nicht gegen die Schadensminderungspflicht (§ 254 BGB) oder gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB, vergleiche OLG Köln, Urteil vom 19. Februar 2020 – 5 U 47/19, juris: 54). Die Klägerin hat zur Finanzierung des Fahrzeugkaufs einen Kredit bei der Audibank aufgenommen. Der Darlehensvertrag lässt dem Darlehensnehmer die Optionen, wonach er bei Zahlung der Schlussrate Eigentümer des Fahrzeugs wird oder von einem verbrieften Rückgaberecht Gebrauch machen kann. Indem die Klägerin im Mai 2018 die Schlussrate gezahlt und nicht von ihrem verbrieften Rückgaberecht Gebrauch gemacht hat, hat sie nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen. Dies wäre allenfalls dann der Fall gewesen, wenn die Klägerin im Fall der Rückgabe des Fahrzeuges keine wirtschaftlichen Nachteile im Vergleich zu der Lage bei gerichtlicher Geltendmachung erlitten hätte und dies für sie auch eindeutig erkennbar gewesen wäre. Dass dies der Fall gewesen wäre, hat die Beklagte nicht dargetan.
Von dem gezahlten Kaufpreis ist im Wege des Vorteilsausgleichs der Ersatz für den erlangten Nutzungswert in Abzug zu bringen, was die Klägerin sowohl erst- als auch zweitinstanzlich bei ihren Anträgen dem Grunde nach berücksichtigt hat. Eine Vorteilsausgleichung in Höhe des Abzugs des Nutzungswertersatzes ist erforderlich und der Höhe nach angemessen. Dies ist ein Ausfluss des Grundsatzes der Vorteilsausgleichung. Der Geschädigte soll durch das schädigende Ereignis, wenn ihm Schadenersatz zu leisten ist, keinen Vorteil gegenüber dem vorher vorliegenden Zustand erhalten. Dabei ist erforderlich, dass zwischen dem schädigenden Ereignis und dem erlangten Vorteil ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen muss. Diese Anrechnung des Vorteils muss dem Zwecke des Schadensersatzes entsprechen, dem Geschädigten zumutbar sein und darf den Schädiger nicht unbillig begünstigen. Die Nutzung des Fahrzeuges hat zu einer messbaren Vermögensmehrung bei dem Geschädigten geführt.
Das Fahrzeug wies bei Kauf eine Laufleistung von 2.920 km und zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eine Laufleistung von 50.703 km auf. Der Senat schätzt die Gesamtlaufleistung des Fahrzeuges gemäß § 287 ZPO auf mindestens 300.000 km. Für den Gebrauchsvorteil (Bruttokaufpreis x gefahrene KM ÷
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Gesamtlaufleistung) muss die Klägerin daher einen Nutzungswertersatz von 3.538,52 € leisten. Mithin besteht mindestens ein Anspruch auf Zahlung in Höhe der zuletzt geltend gemachten Klageforderung von 18.425,77 € (§ 308 Absatz 1 ZPO) Zug um Zug gegen Übereignung des Klägerfahrzeuges. Der Einholung eines Gutachtens hierfür bedarf es angesichts der Schätzung nicht.
Ferner hat die Herausgabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs zu erfolgen, so dass die Verurteilung nur Zug um Zug gegen Übereignung des Klägerfahrzeuges auszusprechen war.
Der Schadensersatzanspruch umfasst die von der Klägerin zur Finanzierung des Kaufpreises aufgewendeten Kreditzinsen.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Absatz 1, 291 Satz 1 BGB.
Der Anspruch ist nicht verjährt. Der Einwand greift mangels nachgewiesener Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis der Klägerin von der Motormanipulation bis Ende 2015 bereits nicht durch; zudem wäre die Verjährung rechtzeitig gehemmt worden.
Die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) beginnt gemäß § 199 Absatz 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den seinen Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste. Es genügt, dass der Anspruchsberechtigte den Sachverhalt in seinen Grundzügen kennt und weiß, dass dieser erhebliche Anhaltspunkte für die Entstehung eines Anspruchs bietet, sowie dass dem Anspruchsberechtigten die Erhebung einer Feststellungsklage Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos möglich ist (BGH, Urteil vom 13. Januar 2015 – XI ZR 182/13, GWR 2015, 210, juris: Tz 19).
Als derjenigen, der die Einrede der Verjährung zugutekommt, ist die Beklagte für die dafür maßgeblichen Tatsachen darlegungs- und beweispflichtig. Ihr obliegt es, die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis ihres Gläubigers von den in § 199 Absatz 1 Nummer 2 BGB genannten Voraussetzungen darzutun (BGH, Versäumnisurteil vom 30. April 2015 –
IX ZR 1/13, DB 2015, 1521-1524, juris: Tz. 17). Sie muss also Umstände dartun und gegebenenfalls beweisen, aus denen folgt, dass die Klägerin um das Bestehen eines Schadensersatzanspruches wusste oder sich dieser ihr hätte aufdrängen müssen.
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Insofern gilt, dass die ad hoc Mitteilung der Beklagten vom 22. September 2015 keinen Aufschluss darüber gab, dass ein entsprechender Motor auch im Fahrzeug der Klägerin verbaut war. Der wesentliche Teil der öffentlichen Berichterstattung beschäftigte sich in der Folge mit den VW-Fahrzeugen, ohne dass in der breiten Diskussion die konkrete Betroffenheit des von der Klägerin erworbenen Fahrzeuges angesprochen worden ist. Eine Benachrichtigung der Klägerin über die Betroffenheit ihres Fahrzeugs im Jahr 2015 ist nicht vorgetragen und von der Klägerin erst für das Jahr 2016 eingeräumt worden (GA Bl. 166). Das Update erfolgte erst im Jahre 2017.
Umstände, wonach sich das Bestehen eines Schadensersatzanspruches der Klägerin hätte aufdrängen müssen, stehen schon im konkreten Gegensatz zur der viele Jahre aufrecht erhaltenen Behauptung der Beklagten, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung vorgelegen habe.
Gemäß § 204 Absatz 1 Nummer 1 ZPO ist zudem durch Zustellung der Klageschrift der Ablauf der Verjährung gehemmt. Zwar erfolgte die Zustellung erst im 31. Januar 2019, dies geschah jedoch „demnächst“ im Sinne des § 167 ZPO, so dass die Hemmung bereits mit Eingang der Klageschrift am 28. Dezember 2018 (GA Bl. 1) und damit vor Ablauf des 31. Dezember 2018 eingetreten ist, weil die Gerichtskosten am 11. Januar 2019 angefordert und am 24. Januar 2019 eingezahlt worden sind, so dass die insoweit in Ansatz zu bringende Frist von zwei Wochen gewahrt worden ist.
Die Beklagte befindet sich hinsichtlich der Annahme des streitgegenständlichen Fahrzeuges in Verzug. Die Klägerin hat der Beklagten die Übergabe und Übereignung ordnungsgemäß angeboten. Aus dem in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellten Klageantrag, mit dem die Klägerin die Beklagte zur Zahlung aufforderte, ergibt sich dies deshalb, weil die Klägerin dort die Erfüllung seines Anspruchs eingefordert und
zuvor klargestellt hat, dieser bestehe Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs unter Abzug der Nutzungsentschädigung. Darin ist zumindest ein konkludentes Angebot im Sinne des § 295 BGB zu sehen. Ein solches reicht aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Absatz 2, 97 Absatz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nummer 10, 711, 713 ZPO. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat
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und es einer Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht bedarf (§ 543 Absatz 2 ZPO).
Streitwert für das Berufungsverfahren:
bis zum 13. August 2020 maximal 20.705,60 € gemäß § 47 Absatz 2 GKG, danach 19.481,72 €.
Weber Helsper Cremer
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