Urteil im Abgasskandal am Oberlandesgericht Köln vom 29.09.2021, Aktenzeichen: 16 U 189/20
OBERLANDESGERICHT KÖLN
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
der Volkswagen AG, vertreten durch den Vorstand Herbert Diess u.a, Berliner Ring 2, 38440 Wolfsburg,
Beklagte und Berufungsklägerin,
gegen
Herrn xxxx,
Kläger und Berufungsbeklagten,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Kraus Ghendler Ruvinskij, Bachemstraße 8, 50676 Köln,
hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln
auf die mündliche Verhandlung vom 16.06.2021
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Küpper und die Richter am Oberlandesgericht Potthoff und Kremer
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird — unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels – das am 10.11.2020 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 7. Zivilkammer des Landgerichts Bonn (7 0 195/20) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12.363,94 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.08.2020 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des
Caddy 2.0 TDI mit der Fahrzeug-ldentifizierungsnummer xxx zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.08.2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger 30 % und die Beklagte 70 %. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 21 % und die Beklagte 79 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem „VW-Abgasskandal”
Am 28.05.2014 erwarb der Kläger bei einem Vertragshändler der Beklagten ein Neufahrzeug des Typs VW Caddy 2.0 TDI zu einem Kaufpreis von 25.900,01 €. In das streitgegenständliche Fahrzeug ist der von der Beklagten produzierte Motor des Typs EA 189 eingebaut.
Für den Fahrzeugtyp war die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt worden. Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid- (N0x)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war
der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5- Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.
Im September 2015 hatte die Beklagte öffentlich die Verwendung einer entsprechenden Software eingeräumt. Unter dem 15.10.2015 war gegen sie ein bestandskräftiger Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) mit nachträgli chen Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung ergangen, der auch das Fahrzeug des Klägers betrifft. Das KBA war vom Vorliegen einer unzulässigen Ab schalteinrichtung ausgegangen und hatte der Beklagten aufgegeben, diese zu beseitigen und die Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte anderweitig zu gewährleisten. Die Beklagte hatte mit Pressemitteilung vom 25.11.2015 bekanntgegeben, Software-Updates durchzuführen, mit denen diese Software aus allen Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 entfernt werden sollte. Nach der Installation sollen die betroffenen Fahrzeuge nur noch in einem adaptierten Modus 1 betrieben werden.
Der Kläger hat mit der vorliegenden, am 17.07.2020 bei Gericht eingegangenen Klage von der Beklagten die Rückabwicklung des Kaufvertrages unter Abzug von Gebrauchsvorteilen in Höhe von 8.362,01 E nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.08.2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzuges und Erstattung von vorgerichtlichen Kosten in Höhe von 1.100,51 E nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.08.2020 begehrt.
Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien in erster Instanz und der dort , gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung verwiesen.
Das Landgericht hat — unter Zurückweisung des von der Beklagten erhobenen Verjährungseinwands und Zugrundelegung einer zu erwartenden Gesamtfahrleistung von 300.000 km – der Klage in der Hauptsache in Höhe von 15.676,07 € nebst Zinsen und hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten in Höhe von 1.029,35 € nebst Zinsen stattgegeben. Die weitergehende Klage (weitergehende Zahlung, Zahlung von Deliktszinsen, Feststellung Annahmeverzug) hat es abgewiesen.
Gegen das Urteil hat die Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Ziel des Rechtsmittels ist die gänzliche Abweisung der Klage.
Die Beklagte hält die zuerkannte Klageforderung weiterhin für verjährt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Bonn vom 10.11.2020 (7 0 195/20) abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger ist dem Rechtsmittel nach Maßgabe der Berufungserwiderung entgegengetreten und beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
II
Die zulässige Berufung ist nur zu einem Teil begründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 12.363,94 € (25.900,01 € – 13.2536,07 €) aus §§ 826, 31, 852 BGB zu. Er kann von der Beklagten auf dieser Grundlage die Zahlung eines dem Kaufpreis ent sprechenden Betrages abzüglich der eine Händlermarge von 15 % übersteigenden, von ihm erzielten Nutzungsvorteile in Höhe von 13.536,07 € nebst Verzugszinsen seit dem 21.08.2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, verlangen.
Die Beklagte haftet dem Kläger aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB.
a)
Die Inverkehrgabe des von der Beklagten hergestellten Motors vom Typ EA 189 EU 5 ist als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB anzusehen.
aa)
Die im Fahrzeug des Klägers vorhandene Einrichtung, die bei erkanntem Prüfstandslauf eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert, stellt eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 über
die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge dar (ABI. L 171 vom 29. Juni 2007 S. 1 ff.; im Folgenden: VO 715/2007/EG) (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 — VI ZR252/19, NJW 2020, 1962, juris Rn. 17 im Folgenden BGH, a.a.O.; OLG München, Urt. vom 15.07.2020-20 U 3510/19).
Die unzulässige Abschalteinrichtung konnte grundsätzlich dazu führen, dass die Zulassungsbehörde eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV vornahm, weil das Fahrzeug wegen’ der gegen Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG verstoßenden Abschalteinrichtung nicht dem genehmigten Typ (§ 3 Abs. 1 Satz 2 FZV) entsprach (vgl. BGH, Beschluss vom 08.01.2019 — VIII ZR 225/17, juris Rn. 20).
bb)
Wenn ein Motorhersteller, wie hier, im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typengenehmigungen der Fahrzeuge durch arglistige Täuschung des KBA zu erschleichen und die derart makelbehafteten Fahrzeuge alsdann in den Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen des Fahrzeugkäufers gezielt ausnutzt, steht dies wertungsmäßig einer unmittelbaren Täuschung der Fahrzeugkäufer gleich (vgl. BGH, a.a.O., juris Rn. 25). Die Beklagte trifft das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, daher gerade auch im Hinblick die Schädigung aller unwissenden Käufer der genannten Fahrzeuge. Diese Schädigung stellt die zwangsläufige Folge des lnverkehrbringens des betroffenen Motors durch des sen Einbau in eigene wie auch in zum Verkauf bestimmte, von der Tochtergesellschaft hergestellte Fahrzeuge dar und liegt damit unmittelbar in der Zielrichtung des sittenwidrigen Verhaltens (vgl. BGH, a.a.O., juris Rn. 25).
b)
Der vormalige Vorstand der Beklagten hat von der Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung gewusst. Dieses Wissen ist der Beklagten zuzurechnen (§ 31 BGB). Auch diese Umstände sind allgemein bekannt (§ 291 ZPO; vg. zum Ganzen BGH, a.a.O., Rn. 35-39).
c)
Dem Kläger ist durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten ein Schaden im Sinne von §§ 826, 249 Abs. 1 BGB entstanden, der in dem Abschluss des Kaufvertrags über das mit dem makelbehafteten Motor ausgestattete Fahrzeug liegt.
Der Kläger hätte den Kaufvertrag in Kenntnis der illegalen Abschalteinrichtung nicht abgeschlossen. Denn nach dem sich aus der allgemeinen Lebenserfahrung und der Art des zu beurteilenden Geschäfts ergebenden Erfahrungssatz ist auszuschließen, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann (vgl. BGH, a.a.O., Rn 51).
d)
Die für die Beklagte tätigen Personen – namentlich der für die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Beklagten verantwortliche vormalige Vorstand handelten mit Schädigungsvorsatz. Da dieser die grundlegende und mit der bewussten Täuschung des KBA verbundene strategische Entscheidung in Bezug auf die Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Software jedenfalls kannte und jahrelang umsetzte (vgl. hierzu unter 1.b.), ist schon nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass ihm als für die zentrale Aufgabe der Entwicklung und des lnverkehrbringens der Fahrzeuge zuständigem Organ bewusst war, in Kenntnis des Risikos einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung der betroffenen Fahrzeuge werde niemand – ohne einen erheblichen, dies berücksichtigenden Abschlag vom Kaufpreis – ein damit belastetes Fahrzeug erwerben (vgl. BGH, a.a.O., juris Rn. 63). •
e)
Der aus der sittenwidrigen Schädigung resultierende Schaden ist des Klägers nach § 249 BGB zu ersetzen.
Der Ersatzanspruch richtet sich bei § 826 BGB auf das negative Interesse. Wenn wie hier der Geschädigte durch Täuschung eines Dritten zum Abschluss eines Vertrags veranlasst wurde, steht ihm im Rahmen der Naturalrestitution ein Anspruch auf Rückgängigmachung der Folgen des Vertrags zu, das heißt Ausgleich der für den Vertrag getätigten Aufwendungen durch den Schädiger gegen Herausgabe des aus dem Vertrag Erlangten (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 44 ff., 64 ff.; OLG München, a.a.O.).
Der Kläger hat danach Anspruch auf Ersatz des von ihr aufgewendeten Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des erlangten Fahrzeugs an die Beklagte.
Er muss sich allerdings im Wege des Vorteilsausgleichs die von ihm gezogenen Nutzungen anrechnen lassen (vgl. BGH, a.a.O., juris Rn. 64-77).
Die zeitanteilige lineare Wertminderung ist im Vergleich zwischen tatsächlichem Gebrauch und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer, ausgehend vom Bruttokaufpreis im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO zu ermitteln (vgl. BGH, a.a.O., juris Rn. 80).
Dabei ist Anknüpfungspunkt der gezahlte Bruttokaufpreis, der den Nutzungswert des Fahrzeugs verkörpert. Dieser betrug 25.900,01 €. Die im Einzelfall unter gewöhnlichen Umständen zu erzielende Gesamtfahrlaufleistung stellt den Gesamtgebrauchswert dar.
Der Senat schätzt die Gesamtlaufleistung eines VW Caddy 2.0 TDI mit 250.000 Kilometer (§ 287 Abs. 1 ZPO).
Die ab dem Kauf (28.05.2014) bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht (20.10.2020) zurückgelegte Laufleistung des Neufahrzeugs hat sich auf 118.424 km belaufen (GA 317). Den aktuellen Kilometerstand in der Berufungsverhandlung hat der Kläger nicht mitgeteilt. Bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat — am 16.06.2021 – dürften. weitere 12.253 km hinzugekommen und die Laufleistung sodann 130.657 km betragen haben. Dies ergibt eine lineare Hochrechnung der bis zur Verhandlung erster Instanz festgestellten Laufleistung (§ 287 Abs 1 ZPO).
Danach ergäbe sich eine zu berücksichtigte Nutzungsentschädigung von 13.536,07 € (= 25.900,01 x 130.657 km : 250.000 km), so dass von dem gezahlten Kaufpreis von 25.900,01 E noch ein zu erstattender Restbetrag von 12 363,94 € (25.900,01 € – 13.536 07 €) verbliebe.
f)
Dem Kläger stehen im Hinblick auf den am 28.05.20 14 erfolgten Kauf des streitgegenständlichen VW Caddy, in dem der von der Beklagten produzierte und mit einer Software zur Manipulation der Abgaswerte auf dem Prüfstand ausgestattete Dieselmotor EA 189 verbaut war, allerdings keine Schadensersatzansprüche nach § 826 BGB gegen die Beklagte zu, denn solche Ansprüche des Klägers sind — wie das Landgericht zu Recht entschieden hat – mit Ablauf des. 31.12.2018 verjährt.
Nach § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist, die auch für Ansprüche aus § 826 BGB einschlägig ist (vgl. nur BGH, Urteil vom 15.11.2011 XI ZR 54/09, ZEuP 2013, 659 ff.), drei Jahre. Sie beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB mit Ablauf des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und ‘der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.
aa)
Die erforderliche Kenntnis liegt hierbei vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist (BGH, Urteil vom 15.11.2011 — XI ZR 54/09, a.a.O., Urteil vom 04.07.2015 — XI ZR 562/15, BGHZ 215, 172 ff.). Dabei ist es weder notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Auch kommt es, abgesehen von Ausnahmefällen, nicht auf eine zutreffende rechtliche Würdigung an (vgl. BGH, Urteil vom 15.11.2011 — XI ZR 54/09, a.a.O., Urteil vom 04.07.2015 — XI ZR 562/15, a.a.O.).
Grob fahrlässige Unkenntnis liegt vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen (BGH, Urteil vom 15.11.2011 — XI ZR 54/09, a.a.O.).
bb)
Bei Anlegung dieser Maßstäbe hat die Verjährung des streitgegenständlichen Anspruchs bereits mit Ablauf des 31.12.2015 begonnen und war dementsprechend mit Ablauf des 31.12.2018 vollendet.
(1)
Es ist davon auszugehen, dass der Kläger als Gläubiger des streitgegenständlichen Anspruchs bereits im Jahr 2015 positive Kenntnis von den seinen Anspruch begründenden Umständen und der Beklagten als Schuldnerin dieses Anspruchs hatte. Jedenfalls wäre hinsichtlich einer etwaigen Unkenntnis vom Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen grobe Fahrlässigkeit des Klägers anzunehmen.
Schon nach dem unstreitigen Vorbringen der Parteien steht fest, dass der Kläger bei Anstellung der sich sowohl einem juristischen als auch einem technischen Laien aufdrängenden Überlegungen hiervon jedenfalls vor Ablauf des Jahres 2015 hätte Kenntnis erlangen können und müssen. Dabei kann offen bleiben, ab welchem genauen Zeitpunkt die gegen die Beklagte im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal erhobenen Vorwürfe sich soweit verdichtet hatten, dass dem Kläger das Bestehen eines hieraus resultierenden Anspruchs gegen die Beklagte nur grob fahrlässig unbekannt geblieben sein kann.
Jedenfalls vor Ablauf des Jahres 2015 hätte sich nämlich auch dem Kläger, dem grundsätzlich die Berichterstattung über den Dieselskandal bekannt ge wesen ist, als Erwerber eines von der Beklagten produzierten und mit einem von ihr hergestellten Dieselmotor ausgestatteten Kraftfahrzeuges aufdrängen müssen, dass auch sein Fahrzeug vom Dieselskandal betroffen sein könnte. Ebenso wäre es dem Kläger sodann im wohlverstandenen Eigeninteresse be
reits im Jahr 2015 ohne große Mühe möglich gewesen, dies für eine Rechtsverfolgung gegen die Beklagte ausreichend sicher aufzuklären.
(2)
Die Beklagte hat am 22.09.2015 eine sogenannte Ad-hoc-Mitteilung und eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der jedenfalls Unregelmäßigkeiten in Bezug auf die Abgaswerte bei Motoren des Typs EA 189 im realen Fahrbetrieb eingeräumt wurden.
Allgemein bekannt folgte spätestens hierauf eine nahezu omnipräsente Bericht erstattung in sämtlichen Medien über den Einsatz manipulierter Dieselmotoren durch die Beklagte, über die Betroffenheit deutscher Verbraucher und über die Verantwortung maßgeblicher Vertreter der Beklagten.
Am 02.10.2015 informierte die Beklagte im Rahmen einer Pressemitteilung über die Einrichtung einer Internetseite, die eine Suche nach von der Manipulation betroffenen Fahrzeugen der Beklagten unter Eingabe der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ermöglichte. Auch über die Freischaltung der Webseite in den Medien wurde im Folgenden ausführlich berichtet.
Durch Pressemitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 16.10.2015 wurde zudem öffentlichkeitswirksam mitgeteilt, dass das Kraftfahrt-Bundesamt der Beklagten mit Schreiben vom 15.10.2015 den Rückruf von 2.400.000 Kraftfahrzeugen mit dort aufgeführten Motoren aufgegeben hatte, weil es sich bei der in
den betroffenen Fahrzeugen verwendeten Software um eine nach Auffassung des Kraftfahrt-Bundesamt unzulässige Abschalteinrichtung handelte. Auch hierüber wurde in allen Medien im Folgenden umfangreich und ausführlich berichtet.
Im Herbst des Jahres 2015 wurde in allen Medien auch darauf hingewiesen, dass nicht nur von der Beklagten selbst produzierte unter der Marke „Volkswagen” vertriebene Kraftfahrzeuge betroffen sind, sondern auch in Kraftfahrzeugen der Konzernmarken der von der Beklagten mit der Motorsteuerungssoftware ausgestattete Motor verbaut wurde.
Nach dieser sehr breiten medialen Berichterstattung über die von der Beklagten als „Umschaltlogik”, von den Medien deutlicher als „Schummelsoftware” bezeichnete Abschalteinrichtung in 11 Millionen Fahrzeugen weltweit und der individuellen Abfragemöglichkeit spricht vieles dafür, dass der Kläger — wie das Oberlandesgericht Stuttgart in dem der Entscheidung des BGH vom 17.12.2020 (VI ZR 739/20, NJVV 2021, 918) zugrundeliegenden, mit vorliegen der Sache vergleichbaren Sachverhalt festgestellt hat – Kenntnis von allen anspruchsbegründenden Tatsachen gehabt haben muss und auch tatsächlich hatte.
(3)
Nichts anderes ergibt sich daraus, dass die Frage der Haftung der Beklagten in Literatur und Rechtsprechung nicht abschließend geklärt war und unter schiedlich beurteilt wurde. Rechtsunkenntnis kann zwar ausnahmsweise den Verjährungsbeginn hinausschieben, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage besteht, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag (BGH, Urteil vom 26.09.2012 — VIII ZR 249/11, MDR 2012, 1330 f., Urteil vom 07.03.2019 — III ZR 117/18, BGHZ 221, 253 ff.).
Für eine fehlende Rechtskenntnis in diesem Sinne genügt es nicht, dass zu einer bestimmten• Rechtsfrage noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt (BGH, Urteil vom 07.12.2010 — XI ZR 348/09, NJW 2011, 1278 f. Urteil vom 04.07.2017 XI ZR 562/15, BGHZ 215, 172 ff )
Vorliegend besteht im Übrigen auch keine Unsicherheit über eine bestimmte, bisher nicht höchstrichterlich entschiedene Rechtsfrage, sondern die Haftung der Beklagten wird durch Gerichte und Literatur allein infolge einer unterschiedlichen Anwendung längst geklärter Rechtsgrundsätze nicht immer einheitlich beurteilt.
Die Bewertung des Senats entspricht der Einschätzung des Bundesgerichtshofs in seiner aktuellen, zur Verjährungsfrage ergangenen Entscheidung vom 17.12.2020 (VI ZR 739/20 — NJVV 2021, 918 sowie juris Rn. 18 ff.; Urt. vom 29.7.2021 – VI ZR 1118/20, BeckRS 2021, 22216).
cc)
Vor dem 31.12.2018 wurde die Verjährung nicht durch Rechtsverfolgung rechtzeitig gehemmt.
Eine Hemmung durch Klageerhebung (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) ist nicht erfolgt, denn die vorliegende Klage wurde der Beklagten erst am 20.08.2020 zugestellt (GA 136 R) und damit erst zu diesem Zeitpunkt im Sinne von § 253 Abs. 1 ZPO erhoben.
Auch eine Hemmung infolge einer Rückwirkung der Zustellung nach § 167 ZPO scheidet aus. Die Klage ist durch Eingang der Klageschrift bei Gericht am 17.07.2020 (GA 1, 2) erst in 2020 anhängig geworden.
Anderweitige Hemmungstatbestände (Beitritt zur Musterfeststellunsklage in Braunschweig und dessen Rücknahme) werden nicht behauptet.
g)
Dem Kläger kommt jedoch § 852 BGB zugute (vgl. BGH VI ZR 739/20 — NJVV 2021, 918 Rn. 25)
Nach Satz 1 dieser Vorschrift ist der nach Deliktsrecht Ersatzpflichtige auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften des Bereicherungsrechts (§§ 812 ff. BGB) verpflichtet, wenn er durch die Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt hat. Dieser Herausgabeanspruch verjährt in 10 Jahren von seiner Entstehung an, spätestens in 30 Jahren von der Begehung der Verletzungshandlung an (§ 852 Satz 2 BGB).
Vorliegend muss die Beklagte nach § 852 BGB den Kaufpreis in Höhe des verjährten Schadensersatzanspruchs nach § 826 BGB an den Kläger zahlen, und zwar Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
aa)
Dem Anspruch steht nicht entgegen, dass der Kläger das Neufahrzeug nicht unmittelbar von der Beklagten, sondern von einem Händler erworben hat, d.h. dass ihr der Kaufpreis rein tatsächlich vom Händler zugeflossen ist. Bei einem Neuwagen liegt auf der Hand, dass dieser vom Händler bei der Beklagten käuflich erworben worden ist.
Gleichwohl hat die Beklagte den von der Klägerin gezahlten Kaufpreis (regelmäßig abzüglich einer Händlermarge) im Sinne des § 852 BGB „auf Kosten” der Klägerin erlangt. Die bereicherungsrechtliche Definition der Formulierung „auf Kosten” ist den für das Bestehen eines Anspruchs nach § 852 BGB erforderlichen Voraussetzungen nicht zugrunde zu legen.
§ 852 BGB hat den Charakter einer Rechtsverteidigung gegenüber der Einrede der Verjährung. Der verjährte Deliktsanspruch bleibt als solcher bestehen. Er wird nur in seinem Umfang auf das durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Geschädigten Erlangte beschränkt (BGH, Urteil vom 14. Februar 1978 X ZR 19/76 —, BGHZ 71, 86-101, Rn. 61 bei juris; BGH, Urteil vom 26. März 2019
X ZR 109/16 —, BGHZ 221, 342-352, Rn. 19 bei juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 09. März 2021 — 10 U 339/20 NJW-RR 2021, 68, Rn. 41 bei juris). Auch die Rechtsliteratur geht ganz überwiegend davon aus, dass es sich um einen einzigen Anspruch handelt, der durch § 852 BGB nur hinsichtlich der Verjährung und des Umfangs modifiziert wird, seine Natur als Schadensersatzanspruch jedoch behalte (vgl. zum Ganzen: Bruns, NJVV 2021, 1121, 1122).
Da es sich bei der Verweisung in § 852 BGB auf das Bereicherungsrecht nicht um eine Rechtsgrund-, sondern Rechtsfolgenverweisung handelt, ist die Formulierung „auf Kosten” in § 852 BGB im Hinblick auf den Anspruchsgrund nicht so zu verstehen wie in § 812 Abs. 1 a 1 BGB; der sogenannte “Restschadensersatzanspruch” nach § 852 BGB erfordert vielmehr dieselben Voraussetzungen wie der verjährte Schadensersatzanspruch (BGH, Urteil vom 14. Februar 1978 — X ZR 19/76 —, BGHZ 71, 86-101, Rn. 61 bei juris; BGH, Urteil vom 26. März 2019 — X ZR 109/16 —, BGHZ 221, 342-352, Rn. 15 bei juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 09. März 2021 — 10 U 339/20 -, NJW-RR 2021, 681, Rn. 41 bei juris).
Nach dem Willen des Gesetzgebers wird durch § 852 BGB „zugleich der Kondiktionsanspruch inhaltlich geregelt”. Wer ein Delikt begangen hat, soll so gestellt werden wie der Empfänger einer Nichtschuld von der Zeit an, wo dieser in bösen Glauben versetzt worden ist. Allerdings ist das nach Bereicherungsrecht notwendige tatsächliche Vorliegen eines bösen Glaubens nach dem Willen des Gesetzgebers keine Tatbestandsvoraussetzung für den Anspruch nach § 852 BGB; dieser gilt vielmehr auch für denjenigen Deliktsschuldner, der lediglich fahrlässig gehandelt hat. Auch dieser ist eben weil er deliktisch gehandelt hat – zur Herausgabe des durch dieses Handeln Erlangten verpflichtet
(Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, II. Band, Motive: Unerlaubte Handlungen, §§ 719, 720 – Seite 415).
Dieser ursprüngliche Wille des Gesetzgebers ist nach wie vor beachtlich (Foerster VuR 2021, 180). Im Rahmen der Schuldrechtsreform ist die bisherige Vorschrift des § 852 Abs. 3 BGB als § 852 S. 1 BGB aufrechterhalten worden.
Aus der Begründung zum „Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts” (BT-Drucksache 14/6040 vom 14.05.2001, dort S 270) ergibt sich kein Abweichen des Willens des Reformgesetzgebers von demjenigen des ursprünglichen Gesetzgebers. Vielmehr wird sowohl in der Begründung als auch in dem den Entwurf vorbereitenden Gutachten (König in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.): Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuld rechts, Band 11, 1981, S. 1557) auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. Februar 1978 — X ZR 19/76 —, BGHZ 71, 86-101, Bezug genommen, wonach es sich bei dem Anspruch nach § 852 BGB nicht um eine Eingriffskondiktion handelt, so dass eine unmittelbare Vermögensverschiebung zwischen dem Ge schädigten und dem Schädiger nicht erforderlich ist. Zweck der Regelung ist die Verpflichtung des Schuldners einer durch unerlaubte Handlung verursachten Schädigung, den durch die Handlung erlangten Vermögenszuwachs auch nach Ablauf der Regelverjährung an den Geschädigten herauszugeben (Mugdan, Motive, a.a.O.; Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl.
. 2020, § 852 Rn. 2; Bruns, NJW 2021, 1121 m.w.N. in FN 5), weil der Schädiger auch noch nach Eintritt der Regelverjährung nicht im Genuss eines durch das Delikt zum Nachteil des Geschädigten erlangten Vermögensvorteils bleiben soll (BGH Urt. vom 10.6.1965 — VII ZR 198/63, NJW 1965, 1914, 1915, Rn. 66 bei juris; weitere Nachw. bei Bruns, a.a.O., FN 7).
Dass der Schädiger etwas „auf Kosten” des Geschädigten erlangt haben muss, bedeutet dabei aber nicht, dass ein unmittelbarer Vermögenszufluss zu erfolgen hätte; entscheidend ist vielmehr, ob der Erwerb des Schädigers im Verhältnis zum Geschädigten unrechtmäßig war und die dadurch entstandene Vermögensmehrung auf dessen Kosten geht (BGH, Urt. vom 10.6.1965 — VII ZR 198/63, NJW 1965, 1914, 1915; Wagner, a.a.O., Rn. 7). Hierbei ist eine wirtschaftliche Betrachtung vorzunehmen (BGH, Urteil vom 14. Februar 1978 X ZR 19/76 BGHZ 71, 86-101, Rn. 63 bei juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 09. März 2021 — 10 U 339/20 -, NJW-RR 2021, 681, Rn. 45 bei jure)
Vorliegend ist bei wirtschaftlicher Betrachtung der Beklagten der Kaufpreis nicht auf Kosten des Händlers, sondern auf Kosten des Klägers zugeflossen.
Aufwendungen im Zusammenhang mit Herstellung und Vertrieb des Fahrzeugs kann der Deliktsschuldner im Rahmen des § 852 BGB nicht in Abzug bringen wegen §§ 819, 818 Abs. 4 BGB (OLG Stuttgart, Urteil vom 09. März 2021 10 U 339/20 -, NJW-RR 2021, 681, Rn. 76 bei juris). Ausweislich der oben angeführten Motive zum BGB wird selbst der fahrlässig handelnde Deliktsschuldner im Rahmen des § 852 BGB dem bösgläubigen gleichgestellt.
Ob § 852 Abs. 1 BGB nicht nur im Falle eines Neuwagenkaufs, sondern auch beim Erwerb eines Gebrauchtfahrzeugs zur Anwendung kommt, ist umstritten (dafür: OLG Stuttgart, Urteil vom 09. März 2021 — 10 U 339/20 -, NJW RR 2021, 681, Rn. 44; OLG Karlsruhe, Urteil vom 31. März 2021 — 13 U 678/20 -; NJW-RR 2021, 687, Rn. 36; dagegen: LG Trier, Urteil vom 28.04.2021 — 5 0 545/20, BeckRS 2021, 9908, Rn. 74 ff.; LG Hildesheim, Urteil vom 05. März 2021 — 5 0 217/20 juris, Rn. 71 ff.; LG Hildesheim, Hinweisbeschluss vom 29.11.2020 — 5 0 183/20 — BeckRS 2020, 35828; LG Landshut, Urteil vom 04. März 2021 — 75 0 2668/20 –, juris, Rn. 31). Da der Anspruch aus § 852 BGB als Schadensersatzanspruch und gerade nicht als solcher aus Eingriffskondiktion einzuordnen ist, könnte viel dafür sprechen, eine Anwendbarkeit in den Fällen des Gebrauchtwagenkaufs zu bejahen. Da ein Neuwagenkauf streitgegenständlich ist, braucht der Senat dies vorliegend nicht zu entscheiden.
bb)
Die Vorschrift des § 852 BGB ist — entgegen der Auffassung der Beklagten – nicht teleologisch dahin zu reduzieren, dass Geschädigte, die sich der Musterfeststellungsklage hätten anschließen können, sich auf die Vorschrift nicht berufen könnten (so: OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.01.2021 – 19 U 170/20 BeckRS 2021, 4284 unter Hinweis auf Martinek in: jM 2021, 56).
Weder aus dem Wortlaut noch aus der Begründung des Gesetzes ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Norm zugunsten des durch eine unerlaubte Handlung Geschädigten nur dann eingreifen solle, wenn eine Klage innerhalb der Verjährungsfrist für ihn mit Risiken verbunden wäre. Da nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Wortlaut zu weit gefasst ist, besteht kein Raum
für eine einschränkende Auslegung der Norm, andernfalls durch eine solche Reduktion des Anwendungsbereichs der Vorschrift – deren Gesetzeszweck verfehlt würde, dem Täter einer unerlaubten Handlung auch nach Eintritt der Regelverjährung die Vorteile seiner Tat zu entziehen. Eine solche Reduktion wäre mit dem oben dargestellten Zweck der Norm schlechterdings unvereinbar (vgl OLG Oldenburg, Urt. vom 2.3.2021 12 U 161/20, BeckRS 2021, 326; OLG Stuttgart, Urt. vom 9.3.2021 — 10 U 339/20, BeckRS 2021, 5075 Rn. 52; LG Trier, Urt. vom 28.4.2021 — 5 0 545/20, BeckRS 2021, 9908 unter Hinweis auf BT-Drucks. 14/6040, 5. 270).
cc)
Der Anspruch nach § 852 S. 1 BGB ist seiner Höhe nach in doppelter Weise• begrenzt. Da es sich bei ihm um den bestehen gebliebenen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB handelt, kann der Anspruch nach § 852 S. 1 BGB allenfalls so hoch sein, wie der Schadensersatzanspruch des Geschädigten aus § 826 BGB gewesen wäre. Andererseits ist der Anspruch nach § 852 S. 1 BGB auf dasjenige beschränkt, was der Deliktsschuldner durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Geschädigten erlangt hat. Ist dieser Betrag geringer als der Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB, so bildet ‘dieser geringere Betrag die Obergrenze des Anspruchs nach § 852 S. 1 BGB. Es ist daher jeweils zunächst die Höhe des verjährten Anspruchs aus § 826 BGB festzustellen und danach, was der Deliktsschuldner durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Geschädigten erlangt. Der niedrigere der beiden Beträge entspricht der Höhe des Anspruchs nach § 852 S. 1 BGB (OLG Stuttgart, Urteil vom 09. März 2021 — 10 U 339/20 -, NJW-RR 2021, 681, Rn. 58 f., 71 bei juris, Martinek, jM 2021, 9, 10).
Bei Anwendung dieser Grundsätze stellt vorliegend der Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 826 BGB die Obergrenze des Anspruchs nach § 852 S. 1 BGB dar.
Die Höhe des Schadensersatzanspruchs beläuft sich auf 12.363,94 €.
Dabei ist zunächst von dem vom Kläger gezahlten Kaufpreis auszugehen, der sich auf 25.900,01 € belaufen hat. Hiervon abzuziehen ist der Wert der erzielten Gebrauchsvorteile (Nutzungsentschädigung), der bei einer zugrunde zu legen den Fahrleistung im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat 130.657 km und einer zu erwartenden Gesamtfahrleistung von 250.000 km ins
gesamt (25.900,01 E x 130.657 km: 250.000 km =) 13 536,07 € beträgt. Hiernach verbleibt ein der Klägerin zu erstattender Restschadensbetrag in Höhe von (25.900,01 € – 13.536,07 € =) 2.363 94 €.
Angesichts des Kaufpreises für das streitgegenständliche Fahrzeug (25.900,01 € brutto =) 20.882,35 € netto kann dahinstehen, in welcher Höhe vorliegend eine hiervon in Abzug zu bringende Händlermarge zu schätzen wäre. Um einen niedrigen Wert als denjenigen des Schadensersatzanspruchs zu erreichen, müsste sich die Marge was ausgeschlossen ist — auf mehr als 50 % belaufen. Eine derart hohe Händlermarge ist nach den Erfahrungen des Senats in vergleichbaren Rechtsstreitigkeiten auszuschließen.
dd)
Da der verjährte Deliktsanspruch im Rahmen des § 852 S. 1 BGB als solcher bestehen bleibt und nur in seinem durchsetzbaren Umfang auf das durch die unerlaubte Handlung Erlangte beschränkt wird, besteht auch der Anspruch aus § 852 S. 1 BGB nur Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs (OLG Stuttgart, Urteil vom 09. März 2021 — 10 U 339/20 -, NJW-RR 2021, 681, Rn. 77 bei juris, Bruns, MW 2021, 1121, Rn. 8 bei beck-online; Martinek, jiV1 2021, 9, 13 f., a.A.: Riehm, NJW 2021, 1625, 1628, Rn. 16 bei beck-online).
Die Klägerin hat ferner Anspruch auf Zahlung (Erstattung) der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in zuerkannter Höhe von 1.029,35 €. Insoweit ist die Berufung in vollem Umfang unbegründet.
a)
Der Senat teilt nicht die Auffassung der Beklagten, wonach die Klägerin bzw. der von ihr beauftragte Rechtsanwalt ein außergerichtliches Tätigkeitwerden als von vornherein sinnlos und zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht geeignet ansehen musste. Auch wenn die – unzutreffende – Rechtsansicht der Beklagten hinsichtlich ihrer Schadensersatzpflicht aus der Presseberichterstattung bekannt sein mochte, schloss das nicht aus, dass auch ohne Einschaltung der Gerichte eine vergleichsweise Einigung möglich war.
b)
Für den Gegenstandswert bzgl der vorgerichlichen Tätigkeit ist der Wert des verfolgten Anspruchs zum Zeitpunkt des Tätigwerdens des Klägervertreters maßgeblich. Das Forderungschreiben des Klägervertreters an die Beklagte (GA 119 ff.) datiert vom 26.06.2020; die darin gesetzte Frist endete 14 Tage ab Zugang des Schreibens — mutmaßlich am 12.07.2020.
Ausgehend von der in der mündlichen Verhandlung vom 20.10.2020 mitgeteilten – unstreitigen – tatsächlichen Fahrleistung des Klägers von 118.424 km ist bei linearer Rückrechnung zum Zeitpunkt 27.06.2020 (mutmaßlicher Zugang) von einer Laufleistung von etwa 112.700 km auszugehen.
Danach beträgt die bis dahin im Wege des Vorteilsausgleichs anzurechnende Nutzungsentschädigung 11.675,72 € (= 112.700 km : 250.000 km x 25.900,01 € Kaufpreis). Dies führt zu einer berechtigten Rückgewährforderung in Höhe von (25.900,01 € – 11.675,72 € =) 14.224,29 €.
Der Kläger begehrt eine 1,3-Gebühr nach W Nr. 2300 zum RVG. Eine solche Gebühr ist angemessen, weil sie dem durchschnittlichen Charakter der Sache entspricht.
Danach ergibt sich unter Zugrundelegung eines Gegenstandswertes von bis zu 16.000,00 E eine Anwaltsgebühr in berechtigter Höhe von (1,3 x 650 € = 845,00 + 20,00 € = 865,00 € + 164,35 € MWST =) 1.029,35 €.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Der Gegenstandswert für den Berufungsrechtszug beträgt 15.676,07 €.
Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind. Soweit die Beklagte sich auf abweichende obergerichtliche Rechtsprechung bezieht, vermag diese nicht zu überzeugen, weil sie sich mit der Gesetzesgeschichte entweder gar nicht oder nur unzureichend auseinandersetzt und damit dem Sinn und Zweck der maßgeblichen Vorschrift nicht gerecht wird.
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