Urteil im Abgasskandal, Landgericht Berlin, Urteil vom 16.06.2021, Aktenzeichen: 36 O 65/20
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
– Kläger –
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Ghendler Ruvinskij Rechtsanwälte PartG mbB, Aachener Straße 1, 50674 Köln,
gegen
Audi AG, vertreten durch d: Vorstand, d. vertr. d. d. Vorstandsvorsitzenden Abraham Schot, Auto-Union-Straße 1, 85045 Ingolstadt – Beklagte –
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Noerr PartGmbB, Jungfernstieg 51, 20354 Hamburg,
hat das Landgericht Berlin – Zivilkammer 36 – durch die Richterin am Landgericht Kröger als Einzelrichterin am 16.06.2021 mit Zustimmung der Parteien gemäß § 128 Abs. 2 ZPO im schriftlichen Verfahren aufgrund des Sachstands vom 09.06.2021 für Recht erkannt:
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von
20.979,24 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.07.2020 zu zahlen.
- Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache in Höhe von 1.413,99 € erledigt ist.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 1.355,78 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.07.2020 zu zahlen.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 2.002,41 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.07.2020 zu zahlen.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu 14 % und die Beklagte zu 86 % zu tragen.
- Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Der Kläger macht mit am 10.03.2020 bei Gericht eingegangener, der Beklagten am 08.07.2020 zugestellter Klage Ansprüche gegen die Beklagte nach dem Kauf eines Pkws geltend.
Der Kläger erwarb am 17.03.2017 bei der Audi Zentrum Leverkusen GS-RP GmbH & Co. KG ein Fahrzeug der Marke Audi A5 Cabriolet mit der FIN . mit einem Kilometerstand von 7.919 km zu einem Kaufpreis von 50.980,00 €, das als der Schadstoffklasse EU6 zugehörig verkauft wurde. Das Fahrzeug wurde zum Kaufzeitpunkt bei der Audi Bank zu einem Zinssatz von 0,99 % p.a. finanziert. Der Darlehensvertrag sah ein verbrieftes Rückgaberecht des Klägers vor. Im Zeitpunkt der Klageerstellung betrug der Tachostand 31.300 km.
Die Beklagte ist Entwicklerin und Herstellerin des in dem Fahrzeug eingebauten Dieselmotors 3.0l TDI. Bei diesem Motor setzte die Beklagte eine Software ein, die unterschiedliche technische Einrichtungen zur NOx-Schadstoffminderung kennt.
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnete Nebenbestimmungen zu den Typgenehmigungen für Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs Audi A5 Cabriolet 3.0l TDI (EU6) an. So teilte das KBA mit, dass nach seinen Feststellungen in dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp eine unzulässige Abschalteinrichtung nachgewiesen worden sei. So springe „die schadstoffmindernde, so genannte schnelle Motoraufwärmfunktion […] bei diesen Fahrzeugen nahezu nur im Prüfzyklus
NEFZ an. Im realen Verkehr unterbleibt diese NOx-Schadstoffminderung.“ Demgemäß ordnete das KBA hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps einen verpflichtenden Rückruf an.
Der Kläger hat das streitgegenständliche Fahrzeug am 19.04.2021 im Rahmen des verbrieften
Rückgaberechts für einen Betrag in Höhe von 24.263,78 € veräußert. Zu diesem Zeitpunkt betrug der Kilometerstand von 40.788 km.
Der Kläger macht geltend, dass er den Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug nicht geschlossen hätte, wenn er Kenntnis bzgl. der unzulässigen Abschalteinrichtungen gehabt hätte; so sei es ihm auch entscheidend auf Umweltaspekte und die Langlebigkeit des Fahrzeugs angekommen. Es sei davon auszugehen, dass der damalige Vorstand der Beklagten. über den Einbau der streitgegenständlichen Software informiert gewesen sei. Die gewöhnliche Laufleistung von Fahrzeugen dieser Art betrage 350.000 km. Ihm sei ein Finanzierungsschaden in Höhe von 1.355,78 € entstanden.
Mit Schriftsatz vom 16.11.2020 hat der Kläger hinsichtlich zunächst geltend gemachter Deliktzinsen in Höhe von 4 % ab dem 17.03.2017 bis zum 08.07.2020 die Klage teilweise zurückgenommen. Nach Verkauf seines Fahrzeugs hat der Kläger seine ursprünglichen Klageanträge zu 1) und 4) auf Schadensersatz Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs und Feststellung des Annahmeverzugs umgestellt, die Berechnung der Nutzungsentschädigung angepasst, den Klageantrag zu 1) im Wege der Aufrechnung um einen Betrag in Höhe von 1.413,99 € reduziert und den Rechtsstreit in dieser Höhe teilweise für erledigt erklärt.
Der Kläger beantragt zuletzt,
- die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von
21.817,78 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen,
festzustellen, dass der Antrag zu 1) sich in Höhe von 1.413,99 € erledigt hat und die darauf gerichtete Klage ursprünglich zulässig und begründet war,
- die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 1.355,78 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen,
- die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 2.514,05 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basis zinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit seit dem 09.07.2020 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt ihrer Inanspruchnahme entgegen. Der Kläger sei nicht aktivlegitimiert; auch sei ihm kein kausaler Schaden entstanden. Jedenfalls wäre ein Schaden durch das durchgeführte Software update entfallen. Eine Vielzahl unzulässiger Abschalteinrichtungen habe das KBA bei dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp nicht festgestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 17.03.2021 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Die Beklagte hat sich gegen die ursprünglichen Klageanträge gewendet; eines neuerlichen ausdrücklichen Abweisungsantrages nach Umstellung der Klageanträge ohne Änderung des Klagegrundes bedurfte es vor diesem Hintergrund nicht (vgl. Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 297 ZPO). Die Klageumstellung stellt gemäß § 264 Nr. 3 ZPO keine Klageänderung dar.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung des seinerseits geleisteten Kaufpreises nebst Finanzierungskosten abzüglich des errechneten Nutzungsersatzes aus § 826 BGB. Der Kläger ist
als Vertragspartner des Schuldverhältnisses aktivlegitimiert. Die Beklagte hat dem Kläger vorsätzlich in sittenwidriger Weise einen Schaden zugefügt.
Im Urteil vom 07. August 2020 -30 25/20 -, zitiert nach juris, hat das Landgericht Paderborn
ausgeführt:
„… Der Kläger hat mit dem von der Beklagten hergestellten und in Verkehr gebrachten Pkw ein Fahrzeug erworben, welches in einem bedeutsamen Gesichtspunkt anders beschaffen war, als er dies erwarten durfte. Ein vernünftiger Durchschnittskäufer darf nämlich davon ausgehen,
dass ein von ihm erworbener Pkw entweder zu Recht zugelassen oder zulassungsfähig ist. Hier
zu gehört, dass die für das Fahrzeug erforderliche Typgenehmigung nicht durch Täuschung erwirkt wurde. Das gilt auch dann, wenn der Käufer sich bis zum Bekanntwerden einer solchen Täuschung keine konkreten Vorstellungen von den technischen Einrichtungen und den rechtlichen Voraussetzungen für die Typgenehmigung gemacht hat (so auch OLG Köln, Beschluss v. 20.12.2017, Az. 18 U 112/17, juris Rz. 36, 38). Bei der in das streitgegenständliche Fahrzeug implementierten Motorsteuerungssoftware handelt es sich nach der zutreffenden und von der Kammer geteilten Beurteilung des KBA um eine gemäß Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung.
Die von der Beklagten in das streitgegenständliche Fahrzeug implementierte Motorsteuerungs
software beinhaltete nämlich eine Aufheizstrategie, die im Wesentlichen nur beim Durchlaufen
des Prüfstandsverfahrens des NEFZ anspringt, im realen Verkehr hingegen nicht aktiviert wird,
und die das Stickoxidemissionsverhalten des Fahrzeugs auf dem Prüfstand gegenüber dem Emissionsverhalten im normalen Fahrbetrieb verbessert. Darauf, wie diese Verbesserung des
Emissionsverhaltens im Einzelnen technisch erreicht wird, kommt es für die Beurteilung nicht
an; entscheiden für die Einstufung als unzulässige Abschalteinrichtung ist nur der Umstand,
dass die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems im normalen Fahrbetrieb im Vergleich
zum Prüfstandsverhalten verringert wird ohne dass eine der in Art. 5 Abs. 2 der EG-Verordnung
Nr. 715/2007 enumerativ aufgezählten Ausnahmen vorliegt. Die Kammer legt ihrer Entscheidungsfindung die Beurteilung dieser – als solchen unstreitigen – Aufheizstrategie durch das KBA als unzulässige Abschalteinrichtung als zutreffend zugrunde, ohne sich insoweit zur Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens gehalten zu sehen.
Das Vorhandensein der nach alledem vom KBA zu Recht als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuften Aufheizstrategie in dem streitgegenständlichen Pkw begründet eine technische Mangelhaftigkeit des von der Klägerin erworbenen Fahrzeugs mit potentieller Gefahr seiner Stilllegung, was als Schaden im Sinne des § 826 BGB vollkommen ausreicht….
Auch die Durchführung des von der Beklagten entwickelten Software-Updates ändert nichts an
der im Rahmen des § 826 BGB allein maßgeblichen rechtlichen Bewertung, dass dem Kläger zu nächst durch das Verhalten der Beklagten ein Schaden entstanden ist. Der Gedanke einer nachträglichen Nachbesserung zur Abwendung von Schadensersatzansprüchen des Geschädigten. ist dem Deliktsrecht fremd (so auch OLG Koblenz, Urteil v. 12.06.2019, Az. 5 U 1318/18, juris Rz. 100).2). […]
Diese Schadenszufügung geschah auch in sittenwidriger Weise. Unter einer gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltensweise versteht man eine Handlung, die nach Inhalt oder Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl., Rz. 4 zu § 826 BGB). Das setzt eine besondere “Verwerflichkeit des Verhaltens”
voraus, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann.
Die Sittenwidrigkeit folgt im vorliegenden Fall daraus, dass die Beklagte unter Nutzung einer –
wie ausgeführt – gesetzeswidrigen Optimierung der Motorsteuerungssoftware die Unkenntnis der Käufer hierüber zur Gewinnerzielung ausnutzte und dem Käufer diesen Softwareeinsatz
nicht offenbarte.
Bei Würdigung der Gesamtumstände war das Verschweigen des Einsatzes der gesetzwidrigen, auf Entdeckung des NEFZ abgestellten Software auch unter Berücksichtigung eines durchschnittlichen Anstandsmaßstabs als sittenwidrig zu bewerten, da ein derartiges Verhalten mit den Grundbedürfnissen loyaler Rechtsgesinnung unvereinbar ist und von einem redlichen und rechtstreuen Verbraucher auch nicht erwartet werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 09.07.1953, Az.: IV ZR 242/52). Gerade das heimliche Vorgehen der Beklagten unter Ausnutzung eines eigenen Informations- und Wissensvorsprungs gegenüber dem nichtsahnenden Verbraucher […] lässt
das Verhalten der Beklagten als rechtlich sittenwidrig erscheinen. Die Manipulation konnte von einem Verbraucher als technischen Laien nicht erkannt werden, sodass die Beklagte von vornherein einkalkulierte, dass die Manipulation nicht entdeckt wird. Dieses erscheint insbesondere vor dem Hintergrund besonders verwerflich, da die Entscheidung zum Kauf eines Kraftfahrzeugs, zumindest für den durchschnittlichen Verbraucher, mit einem erheblichen finanziellen Aufwand
verbunden ist, der bei lebensnaher Betrachtung auf einer wohl überlegten und abwägenden Entscheidung fußt. Es verstößt auch gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, wenn ein Hersteller eine Software einsetzt, die die Einhaltung der gesetzlichen Umweltstandards “vorspielt”, um damit ein dem gesellschaftlichen Zeitgeist der Umweltfreundlichkeit und Umweltverträglichkeit entsprechendes Fahrzeug zu vermarkten. …”.
Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich das Gericht für den vorliegenden Fall nach eigener Prüfung an. Sie sind auf den vorliegenden Fall vollumfänglich übertragbar; die Fälle sind gleichgelagert.
Die schädigende Handlung ist der Beklagten auch zuzurechnen. Die Beklagte kann sich insbesondere nicht darauf berufen, dass der Kläger eine Kenntnis relevanter Vertreter nicht dargetan habe. Denn dann müsste sich die Beklagte die Verstöße analog § 31 BGB zurechnen lassen.
Im Urteil vom 12.04.2018 – 24 0 287/17 -, zitiert nach juris, hat das Landgericht Köln ausgeführt:
,, … Auch wenn die Beklagte selbst nicht Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist,
so hat sie als Herstellerin des Motors die Softwaremanipulation und den damit eingetretenen
Schaden zu verantworten. […] Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat die Vorschrift über ei
ne Zurechnung des Handelns bestellter Vertreter zu einer Repräsentantenhaftung für Personen
erweitert, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung
zugewiesen sind (BGH, Urteil v. 05.03.1998 – III ZR 183/96). Auch den Personen, die nach dem
Vortrag der Beklagten nicht zu deren Vorstand gezählt und über die Entwicklung und Verwen
dung der illegalen Abschalteinrichtung entschieden haben, kam eine entsprechende Stellung zu. […] Im Übrigen ist, ohne dass es hierauf letztlich ankäme, von einer sekundären Darlegungslast der Beklagten hinsichtlich der verantwortlichen Stellen und dem Informationsfluss in ihrem Kon zern ausgehen, der sie nicht ausreichend nachgekommen ist. Der Kläger hat ausreichend und unter Ausschöpfung der ihm zugänglichen Quellen hierzu vorgetragen. Ein näherer Vortrag ist ihm hinsichtlich dieser Tatsachen jedoch nicht möglich, da es sich um interne Betriebsabläufe der Beklagten handelt. Der Beklagten ist demgegenüber ein konkreter Vortrag hierzu insbesondere hinsichtlich der erfolgten Aufarbeitung durch ihre interne Revision und externe Rechtsanwalts kanzleien zumutbar; ein solcher Vortrag ist indes nicht erfolgt. Inwieweit daneben eine Haftungszurechnung nach den Grundsätzen des § 831 BGB erfolgen könnte – was naheliegend ist -, kann vorliegend dahinstehen..
c)
Die sittenwidrige Schädigung ist auch kausal für die Kaufentscheidung des Klägers gewesen. Bei täuschendem oder manipulativem Verhalten ist es für die Darlegung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Täuschung und Abgabe der Willenserklärung ausreichend, dass der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten und nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung gehabt haben können (vgl. etwa BGH Urteil v. 12.05.1995 – V ZR 34/94 -, zitiert nach juris). Es wäre lebensfremd anzunehmen, dass der Kläger den Wagen gekauft hätte, wenn er gewusst hätte, dass dieser die beworbenen Abgaswerte angesichts deren allgemein bekannten Bedeutung in mehrfacher Hinsicht (Betriebserlaubnis, Kfz-Steuer, etwaige Fahrverbote bei Nichteinhaltung der Grenzwerte, Umweltfragen) in Wirklichkeit nicht hat. Dass es sich um einen Gebrauchtwagen gehandelt hat, ist in diesem Zusammenhang unerheblich, weil dieselben Überlegungen auch der Käufer eines Gebrauchtwagens anstellt und die Beklagte andererseits wusste, dass ihr täuschendes Verhalten sich nicht nur bei Käufern von Neuwagen auswirkt. …”.
Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich das Gericht für den vorliegenden Fall nach eigener Prüfung an (vgl. auch BGH, Urteil vom 25.5.2020, VI ZR 252/19). Sie sind auf den vorliegen
den Fall, in dem die Beklagte Herstellerin von Fahrzeug und Motor ist, vollumfänglich übertrag
bar; die Fälle sind gleichgelagert.
Das Gericht ist auch in vorliegendem Fall aus den obigen Gründen davon überzeugt, dass der Kläger das Fahrzeug in Kenntnis der manipulativ wirkenden Software nicht erworben hätte.
Auch das verbriefte Rückgaberecht des Klägers steht einem Schadensersatzanspruch nicht ent
gegen. Denn schon der Abschluss des Kaufvertrages begründete im Hinblick auf die mit der Erforderlichkeit der Geltendmachung von Mängelrechten verbundene Vermögensgefährdung den Schaden des Klägers, der durch die spätere Rückgabe des Fahrzeugs nicht mehr entfallen konnte.
Der Kläger hat vor dem Hintergrund des Vorstehenden gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises abzüglich des im Rahmen der Rückgabe zu berücksichtigenden Betrages in Höhe von 24.263,78 € sowie abzüglich der von ihm gezogenen Nutzungsvorteile nach §8 826 BGB, 249 ff. BGB.
Zutreffenderweise beliefen sich die anzurechnenden Nutzungen im Zeitpunkt der Klageerstellung und somit zu einem Zeitpunkt vor Klageerhebung jedenfalls auf 4.080,93 €. Zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung beläuft sich die Nutzungsentschädigung auf 5.736,98 €. Damit hat sich der Rechtsstreit wegen der zwischenzeitlich gefahrenen weiteren Kilometer jeden
falls in der geltend gemachten Höhe erledigt.
Die Laufleistung der streitgegenständlichen Fahrzeugs betrug zum Zeitpunkt des Verkaufs 40.788 Kilometer. Der Kläger hat das Fahrzeug mit einem Kilometerstand von 7.919 Kilometern erworben. Das Gericht schätzt die zu erwartende Laufleistung des Klägerischen Fahrzeugs gemäß § 287 ZPO auf 300.000 km.
Der Nutzungsersatz errechnet sich nach dem Bruttokaufpreis multipliziert mit den tatsächlich gefahrenen Kilometern, geteilt durch die erwartete Gesamtlaufleistung, mithin also wie folgt: Kauf preis 50.980,00 € multipliziert mit den in der Besitzzeit des Klägers gefahrenen Kilometern (32.869 km) geteilt durch die erwartete Gesamtlaufleistung im Erwerbszeitpunkt (300.000 – 7.919 = 292.081 km): 5.736,98 €. Soweit der Kläger den Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzuges nicht mehr geltend macht, wertet das Gericht dies als teilweise Klagerücknahme durch schlüssiges Verhalten.
Die Verpflichtung der Beklagten, den Kläger gem. §§ 826, 249 Abs. 1 BGB so zu stellen, als wäre es nicht zu dem Fahrzeugerwerb gekommen, umfasst neben dem gezahlten Kaufpreis auch die mit dem Erwerb verbundenen – der Höhe nach hier unstreitigen – Finanzierungskosten (vgl. BGH, Urteil vom 13.04.2021, VI ZR 274/20).
Die geltend gemachten Rechtsanwaltskosten sind Teil des nach 8.826 BGB ersatzfähigen Schadens, jedoch nur in Höhe einer 1,3-fachen Gebühr bei einem anzusetzenden Gegenstandswert von 48.851,33 €, da die Sache, entgegen des Anscheins, den die umfangreichen, überwiegend aus Textbausteinen bestehenden Schriftsätze vermitteln wollen, weder umfangreich noch schwierig ist, mithin in Höhe von 2.002,41 €.
Der Zinsanspruch folgt aus 98 286, 288, 291 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf 88 91a, 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Im Hinblick auf die Klagerücknahme hinsichtlich der zunächst geltend gemachten Deliktszinsen beträgt der Betrag des Unterliegens bei der Nebenforderung 6.757,19 € und somit mehr als 10 % des fiktiven Streit werts aus geltend gemachter Hauptforderung plus Nebenforderungen (58.123,47 €), sodass auch das Teilunterliegen mit der Nebenforderung bei der Bildung der Kostenquote zu berücksich tigen ist (vgl. BeckOK/Jaspersen, 39. Ed. 1.12.2020, ZPO, § 92 Rn. 26, 26.1).
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