Urteil im Abgasskandal, Landgericht Hanau, Urteil vom 21.06.2019, Aktenzeichen: 1-O 1536/18
In dem Rechtsstreit
– Kläger –
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen Ghendler u. Koll., Aachener Straße 1, 50674 Köln Geschäftszeichen: —
gegen
Volkswagen AG, vertreten durch den Vorstand, dieser vertreten durch Dr. Herbert Diess, Oliver Blume u. a., Berliner Ring 2, 38440 Wolfsburg
– Beklagte –
Prozessbevollmächtigte: KSP Rechtsanwälte, Kaiser-Wilhelm-Straße 40, 20355 Hamburg Geschäftszeichen: —
hat das Landgericht Hanau – 1. Zivilkammer – durch die Richterin Gudzik als Einzelrichterin auf die mündliche Verhandlung vom 21.06.2019 für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.912,47 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.02.2019 zu zahlen binnen sieben Tagen nach Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Passat CC 2,0 TDI mit der Fahrgestellnummer —
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit Entgegennahme des Fahrzeugs VW Passat CC 2,0 TDI mit der Fahrgestellnummer — in Annahmeverzug befindet.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 30% und die Beklagte 70% zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
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Tatbestand
Die Parteien streiten um die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über ein Fahrzeug im Zusammenhang mit dem sog. Diesel-Abgasskandal.
Am 19.12.2014 erwarb der Kläger von einer Privatperson einen VW Passat CC 2,0l TDI Fahrgestellnummer –, Kilometerstand: 87.233 km, zum Preis 14.000,00 € (Kaufvertrag, Bl. 111ff. d.A.). Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 EU 5 ausgestattet, der von der Beklagten entwickelt wurde. Für das Fahrzeug war die nach der VO (EG) Nr. 715/2007 erforderliche Typgenehmigung ausgestellt worden. Die Beklagte hatte die EG-Übereinstimmungsbescheinigung für das Fahrzeug des Klägers erteilt.
Das Fahrzeug war mit einer Motorsteuerungssoftware versehen, die erkennt, wenn das Fahrzeug den sog. Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchläuft, in dem die Emissionstests zur der Erlangung der Typgenehmigung durchgeführt werden. Die Software geht dann von dem für den normalen Straßenverkehr vorgesehenen Abgasrückführungs Modus 0 in den Abgasführungs-Modus 1 über, in dem der Ausstoß von NOx (Stickoxid) durch eine höhere Abgasrückführungsrate optimiert wird.
Mit Bescheid vom 15.10.2015 ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt unter Annahme, dass es sich bei der Motorsteuerungssoftware um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele, nachträglich mehrere Nebenbestimmungen zu der erteilten EG-Typgenehmigung an. Der Beklagten wurde auferlegt, die Software aus allen Fahrzeugen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen und dies durch entsprechende Nachweise zu belegen.
Zum Zwecke der Erfüllung der Auflagen entwickelte die Beklagte ein Software-Update, das am 03.06.2016 vom Kraftfahrtbundesamt freigegeben wurde.
Die Eigentümer betroffener Fahrzeuge haben seitdem die Möglichkeit, dass Software-Update kostenfrei aufspielen zu lassen.
Das Fahrzeug des Klägers hatte am 19.06.2019 eine Laufleistung von 186.055 km.
Der Kläger ist der der Ansicht, dass sie von der Beklagten aus verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten die Rückabwicklung des Kaufvertrags im Wege des Schadenersatzes verlangen können.
Der Kläger beantragt,
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 8.950,90 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB, mindestens jedoch 4% p.a. ab Rechtshängigkeit binnen sieben Tagen nach Übergabe des Fahrzeugs VW Passat CC 2,01 TDI mit der Fahrgestellnummer — zu zahlen.
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Zinsen in Höhe von 4 % p.a. seit dem 19.12.2014 bis Rechtshängigkeit auf einen Betrag in Höhe von 14.000,00 Euro zu zahlen.
- Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs
WW Passat CC 2,01 TDI mit der Fahrgestellnummer — in Annahmeverzug befindet.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte meint, dem Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zum Schadenersatz verpflichtet zu sein.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.
Das Gericht ist nach § 32 ZPO örtlich zuständig. Nach § 32 ZPO ist für Klagen aus Delikt das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen worden ist. Der Begehungsort liegt dabei überall dort, wo ein Teilakt der unerlaubten Handlung verwirklicht worden ist (vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 03.07.2017 – 13 SV 6/17, BeckRS 2017, 117585). Begehungsort ist daher (auch) der Belegenheitsort des Vermögens des Geschädigten, mithin in der Regel dessen Wohnsitz, denn geschütztes Rechtsgut von § 826 BGB ist das Vermögen
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als solches. Zum Zeitpunkt des Kaufvertrages war der Wohnsitz des Klägers in Nidderau, woraus sich die örtliche Zuständigkeit des Gerichts ergibt. Die sachliche Zuständigkeit des Gericht beruht auf $$ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG.
- Klageantrag Ziffer 1
Die Beklagte ist dem Kläger gemäß § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB zur Zahlung eines Schadenersatzes in Höhe von 7.912,47 € verpflichtet.
a)Täuschung
Schädigungshandlung ist das Inverkehrbringen des mit der streitgegenständlichen Umschaltlogik versehenen Fahrzeugs (vgl. OLG Karlsruhe (13. Zivilsenat), Hinweisbeschluss vom 05.03.2019 – 13 U 142/18, BeckRS 2019, 3395). Dies stellt eine konkludente Täuschung dar, denn mit dem Inverkehrbringen gibt ein Hersteller konkludent die Erklärung ab, dass der Einsatz des Fahrzeugs entsprechend seinem Verwendungszweck im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig ist (vgl. a.a.O.). Dies war jedoch gerade nicht der Fall, da die verwendete Umschaltlogik in der Motorsteuerungssoftware als verbotene Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist mit der Folge, dass der Widerruf der Typgenehmigung droht (vgl. a.a.O.).
Mit der Inverkehrgabe des Fahrzeugs bringt der Hersteller jedenfalls konkludent zum Ausdruck, dass das Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden darf, das heißt über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt, deren Fortbestand nicht aufgrund bereits bei Auslieferung des Fahrzeugs dem Hersteller bekannter konstruktiver Eigenschaften gefährdet ist. Das setzt voraus, das nicht nur die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren formal erfolgreich durchlaufen wurden, sondern auch, dass die für den Fahrzeugtyp erforderliche EG-Typgenehmigung nach § 6 Abs. 1, EG-FGV in Verbindung mit § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht durch eine Täuschung des zuständigen Kraftfahrt-Bundesamts erschlichen worden ist und das Fahrzeug den für deren Erhalt und Fortdauer einzuhaltenden Vorschriften tatsächlich entspricht (vgl. a.a.O.)
Nach § 27 Abs.1 EG-FGV dürfen neue Fahrzeuge, selbstständige technische Einheiten oder Bauteile, für die eine Übereinstimmungsbescheinigung nach Anhang IX der Richtlinie 2007/46/EG, nach Anhang IV der Richtlinie 2002/24/EG oder nach Anhang Ill der Richtlinie 2003/37/EG vorgeschrieben ist, im Inland zur Verwendung im Straßenverkehr nur feilgeboten, veräußert oder in den Verkehr gebracht werden, wenn sie mit einer gültigen
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Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind. Demnach dürfen Fahrzeuge nur mit der notwendigen EG-Typengenehmigung inklusive der Übereinstimmungsbescheinigung nach § 6 Abs. 1 EG- FGV in Verbindung mit Anhang IX der Richtlinie 2007/46/EG veräußert werden.
Werden hingegen bei einem Fahrzeug Defizite festgestellt, sodass die materiellen Voraussetzungen des § 25 Abs. 2 EG-FGV nicht vorliegen, ist das Bundeskraftfahrzeugamt berechtigt, auch bereits erteilte Genehmigungen zu widerrufen.
Der Käufer eines Fahrzeugs darf daher zum Zeitpunkt des Erwerbs darauf vertrauen, dass das Fahrzeug über die notwendige EG-Typengenehmigung nach § 27 Abs. 1 EG-FGV verfügt und diese nicht im Nachhinein widerrufen oder abgeändert würde (vgl. a.a.O.). Dies stellt keine Verletzung der Aufklärungspflicht im Sinne des Unterlassens dar, sondern stellt vielmehr einen positiven Erklärungswert desjenigen dar, der das Fahrzeug nach § 27 Abs. 1 EG-FGV in Verkehr bringt gegenüber dem Käufer.
Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügte entgegen diesem konkludenten Erklärungswert gerade über keine richtige Übereinstimmungsbescheinigung, weil die installierte Motorsteuerungssoftware eine Umschaltlogik enthielt, die als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn des Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) 715/2007 zu qualifizieren ist (vgl. BGH, Hinweisbeschluss vom 8.1.2019 – VII ZR 225/17, NJW 2019, 1133).
Nach Artikel 5 Absatz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 hat der Hersteller von ihm gefertigte Neufahrzeuge dergestalt auszurüsten, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen den Vorgaben der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Damit soll sichergestellt werden, dass sich die vorgegebenen Emissionsgrenzwerte auf das tatsächliche Verhalten der Fahrzeuge bei ihrer Verwendung beziehen und dass die zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte erforderliche erhebliche Minderung der Stickoxidemissionen bei erreicht wird (vgl. a.a.O.). Folgerichtig sieht die Verordnung die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, strikt als unzulässig an (vgl. a.a.O.).
- b) Schaden
Durch die Täuschung ist der Klagepartei auch ein Schaden entstanden, der bereits im Abschluss des Kaufvertrags zu sehen ist. Allein maßgebend ist, dass der abgeschlossene Vertrag, nämlich die Eigenschaften des Kaufgegenstands, nicht den berechtigten Erwartungen des Getäuschten entsprach und überdies die Leistung für seine Zwecke nicht
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voll brauchbar war (vgl. BGH, Urteil vom 28.10.2014 – VI ZR 15/14, juris Rn. 16 ff.). Wie bereits ausgeführt, entsprach der streitgegenständliche WW Passat nicht den Erwartungen des Klägers, da er über eine Abschaltvorrichtung verfügte, aufgrund dessen der Widerruf der EG- Genehmigung drohte.
Die Täuschung war auch kausal für den Kaufvertrag.
Es ist davon auszugehen, dass der Kläger den Kaufvertrag über das Fahrzeug in Kenntnis des Einsatzes der Motorsteuerungssoftware und der daraus folgenden Risiken nicht geschlossen hätte. Für den vergleichbaren Fall des Eingehungsbetrugs durch konkludente Täuschung gemäß § 263 StGB ist anerkannt, dass für den Kausalzusammenhang ausreicht, wenn der Verfügende durch das Erklärungsverhalten des Schädigers zur Verfügung veranlasst wird, weil er das Vorliegen der konkludent miterklärten, tatsächlich aber nicht bestehenden Tatsachen als selbstverständlich voraussetzt, ohne darüber zu reflektieren (vgl. OLG Karlsruhe (13. Zivilsenat), Hinweisbeschluss vom 05.03.2019 – 13 U 142/18, BeckRS 2019, 3395). Erforderlich ist insoweit nur, dass der Getäuschte keine Kenntnis von dem Nichtvorliegen der betreffenden Tatsachen hat und die Verfügung auf der Unkenntnis beruht (vgl. a.a.O.).
Diese Grundsätze können auf § 826 BGB übertragen werden. Für die Annahme des darüber hinaus zufordernden Kausalzusammenhangs zwischen Irrtum und Abgabe der Willenserklärung genügt es nach der höchstrichterlichen Zivilgerichtlichen Rechtsprechung für den Fall der sittenwidrigen Vertragserschleichung, dass der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten, und dass die arglistige Täuschung nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung hat (vgl. BGH, Urteil vom 12.05.1995 – V ZR 34/94 -, juris Rn. 17). Der Kläger erklärte, er hätte das Fahrzeug ohne die EG-Typengenehmigung nicht erworben. Es sind keine nachvollziehbaren Gründe dafür ersichtlich, weshalb der sich in Kenntnis der Umstände anders entschieden hätten als der vernünftige Durchschnittskäufer.
Für die Frage, ob ein Schaden eingetreten ist, kommt es allein auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses an. Das später von der Beklagten zur Erfüllung der vom Kraftfahrt Bundesamt angeordneten Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung entwickelte Software-Update ist insoweit nicht zu berücksichtigen und rechtlich lediglich als Angebot der Schadenswiedergutmachung zu bewerten (vgl. a.a.O.).
- c) Sittenwidrigkeit
Die Täuschung ist auch als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB anzusehen.
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Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Ein Unterlassen verletzt die guten Sitten nur dann, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Hierfür reicht die Nichterfüllung einer allgemeinen Rechtspflicht oder einer vertraglichen Pflicht nicht aus. Auch hier müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ Geltenden verwerflich machen. Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (vgl. BGH, Teilversäumnis- und Endurteil vom 28.6.2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250). Die einzig erkennbare Motivation für das Anbringen einer solchen Abschalteinrichtung ist allein in angestrebter Kostensenkung und rücksichtsloser Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen zu sehen. Zwar ist allein ein Handeln mit Gewinnstreben nicht als verwerflich zu beurteilen, im Hinblick auf das eingesetzte Mittel erscheint das Handeln hier aber als verwerflich: Bereits das Ausmaß der Täuschung, nämlich der Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Motortyp, der in einer außergewöhnlich hohen Zahl von Fahrzeugen verschiedener Marken des Konzerns verbaut wurde, mit der Folge einer entsprechend hohen Zahl getäuschter Käufer rechtfertigt das besondere Unwerturteil (vgl. OLG Karlsruhe (13. Zivilsenat), Hinweisbeschluss vom 05.03.2019 – 13 U 142/18, BeckRS 2019, 3395).
Bei der Beklagten haben auch die subjektiven Voraussetzungen einer Haftung gemäß $$ 826, 31 BGB vorgelegen.
Der Vorsatz i.S. des § 826 BGB, bestehend aus einem Wissens- und einem Wollenselement, setzt keine Schädigungsabsicht im Sinne eines Beweggrundes oder Ziels voraus, es genügt bedingter Vorsatz hinsichtlich der für möglich gehaltenen Schadensfolgen, wobei jener nicht den konkreten Kausalverlauf und den genauen Umfang des Schadens, sondern nur Art und Richtung des Schadens umfassen muss (vgl. BGH, Urteil vom 13.09.2004 – || ZR 276/02, NJW 2004, 3706). Der erforderliche Schädigungsvorsatz bezieht sich darauf, dass durch die Handlung einem anderen Schaden zugefügt wird. Ein Schaden i.S. des § 826 BGB liegt nicht nur in der Verletzung bestimmter Rechte oder Rechtsgüter; es genügt vielmehr unter anderem jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage (vgl. a.a.O.).
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Zudem erfordert § 826 BGB auf subjektiver Tatbestandsseite die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die das Sittenwidrigkeitsurteil begründen (BGH, Urteil vom 13.09.2004 – || ZR 276/02, juris Rn. 36).
Die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB setzt voraus, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht hat (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250). Dabei ist der Begriff des „verfassungsmäßig berufenen Vertreter“ als weit auszulegen (vgl. BGH, Urteil vom 5. 3. 1998 – III ZR 183-96, NJW 1998, 1854). „Verfassungsmäßig berufenen Vertreter” können demnach auch Personen darstellen, die durch allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen
Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren (vgl. a.a.O.). Da es der juristischen Person nicht freisteht, selbst darüber zu entscheiden, für wen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften will, kommt es nicht entscheidend auf die Frage an, ob die Stellung des Vertreters” in der Satzung der Körperschaft vorgesehen ist oder ob er über eine entsprechende rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht verfügt (vgl. a.a.O.).
Die Beklagte handelte mit Schädigungsvorsatz und kannte die Sittenwidrigkeit ihres Tuns.
Aufgrund des maßgeblichen Sach- und Streitstands ist davon auszugehen, dass die Installation der Abschalteinrichtung in der Motorsteuerungssoftware mit Wissen und Wollen eines oder mehrerer Mitglieder des Vorstands der Beklagten erfolgt und somit der Beklagten gemäß § 31 BGB zuzurechnen ist. Ebenfalls ist davon auszugehen, dass dieses oder diese Mitglieder des Vorstands auch in der Vorstellung handelten, dass die so ausgestatteten Motoren in Fahrzeugen der Beklagten oder der Tochterunternehmen eingebaut und für diese unter Täuschung der zuständigen Behörde die EG-Typgenehmigung beantragt würde, obwohl die materiellen Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen, und die Fahrzeuge sodann veräußert werden würden (vgl. OLG Karlsruhe (13. Zivilsenat), Hinweisbeschluss vom 05.03.2019 – 13 U 142/18, BeckRS 2019, 3395).
Dies hatte die Beklagte bestritten. Hier trifft die Beklagte allerdings nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen hinsichtlich der unternehmensinternen Entscheidungsprozesse eine sekundäre Darlegungslast (vgl. a.a.O.).
Grundsätzlich trifft denjenigen die Darlegungs- und Beweislast jener Tatsachen, die zur Erfüllung der Tatbestandvoraussetzungen, auf dessen Rechtsfolge er sich beruft, notwendig sind, sodass auch in diesem Fall der Kläger grundsätzlich darlegungs- und beweisbelastet für den Vorsatz der Beklagten nach § 31 BGB wäre. Anders ist dies jedoch zu beurteilen, wenn die nicht beweisbelastete Partei ausnahmsweise eine Substanziierungslast treffen kann, wenn der darlegungspflichtige Gegner außerhalb des darzulegenden Geschehensablaufs steht und die maßgebenden Tatsachen nicht kennt, während sie der anderen Partei bekannt sind und ihr nähere Angaben zuzumuten sind (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 24.10.2014 – V ZR 45/13, NJW 2015 619). Aufgrund der äußeren Umstände spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Vorstand Kenntnis von der Abschalteinrichtung hatte und die Beklagte daher eine sekundäre Darlegungspflicht trifft (vgl. auch OLG Karlsruhe (13. Zivilsenat), Hinweisbeschluss vom 05.03.2019 – 13 U 142/18; BeckRS 2019, 3395, OLG Köln, Beschluss vom 03.01.2019 – 18 U 70/18, BeckRS 2019, 498; OLG Oldenburg, Beschluss vom 05.12.2018 – 14 U 60/18, juris Rn. 12 ff). Angesichts der Tragweite der Entscheidung über die riskante Gestaltung der Motorsteuerungssoftware, die für eine Diesel-Motorengeneration konzipiert war, welche flächendeckend konzernweit in vielen Millionen Fahrzeugen eingesetzt werden sollte, erscheint es mehr als fernliegend, dass die Entscheidung für eine greifbar rechtswidrige Software ohne Einbindung des Vorstands erfolgt und lediglich einem Verhaltensexzess untergeordneter Konstrukteure zuzuschreiben sein könnte (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 16.07.2018 – 27 U 10/18, juris Rn. 26). Wer die Zustimmung zur Entwicklung und zum Einsatz einer Software in der Motorsteuerung für Millionen von Neufahrzeugen erteilt, muss eine wichtige Funktion in einem Unternehmen haben und mit erheblichen Kompetenzen ausgestattet sein (vgl. auch OLG Karlsruhe (13. Zivilsenat), Hinweisbeschluss vom 05.03.2019 – 13 U 142/18; BeckRS 2019, 3395). Es ist daher zu vermuten, dass es sich bei dieser Person um einen „verfassungsmäßig berufenen Vertreter” handelt, der die Haftung der Beklagten nach § 31 BGB begründet.
Folge der sekundären Darlegungslast ist zum einen, dass der Anspruchsgegner sich nicht mit einem einfachen Bestreiten begnügen kann, sondern die tatsächlichen Vermutungen in zumutbarem Umfang durch substantiierten Gegenvortrag erschüttern muss. Genügt er dem nicht, gilt der Vortrag der Klagepartei als zugestanden, § 138 Abs. 3 ZPO (vgl. a.a.O.).
Zum anderen reduzieren sich bereits die Anforderungen an die Substantiierung der primären Darlegungen des Anspruchstellers auf die allgemeine Behauptung der maßgebenden Tatbestandsmerkmale (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 03.01.2019 – 18 U 70/18, BeckRS 2019, 498 Rn. 30; ähnlich OLG Oldenburg, Beschluss vom 05.12.2018 – 14 U 60/18, juris Rn.
17).
Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger ausreichend substantiiert vorgetragen und die Beklagte nicht genügend bestritten.
Die Kenntnis einer der Unternehmensleitung angehörenden Person von der serienmäßigen rechtswidrigen Verwendung der Software schließt zwangsläufig die zumindest Billigung der Schädigung sämtlicher Erst- und Folgeerwerber der damit ausgestatteten Fahrzeuge ein. Auch die maßgeblichen Umstände, die die Sittenwidrigkeit begründen, sind dieser Person bekannt.
d). Rechtsfolge
Der Kläger kann von der Beklagten daher gemäß § 249 Abs. 1 BGB verlangen, so gestellt zu werden, als ob er den Kaufvertrag über das Fahrzeug nie geschlossen hätte. Sie hat ihm daher den Kaufpreis von 14.000,00 € zu erstatten.
Der Kläger muss sich nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung die von ihm gezogenen Nutzungen anrechnen lassen.
Dabei macht das Gericht von der ihm durch § 287 ZPO eröffneten Möglichkeit Gebrauch, für die Berechnung des Gebrauchsvorteils die prognostizierte Gesamtfahrleistung auf 250.000 km zu schätzen.
Die Laufleistung des Fahrzeugs des Klägers zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung ist mit 186.055 km unstreitig. Gekauft hatte der Kläger das Fahrzeug mit einer Laufleistung von 87.233 km, so dass das Fahrzeug von ihm 98.822 km gefahren wurde.
Der Gebrauchsvorteil berechnet sich nach folgender Formel: Gebrauchsvorteil = Bruttokaufpreis x zurückgelegte Fahrstrecke / voraussichtliche Gesamtlaufleistung. Das bedeutet hier: 14.000,00 € x 98.822 km / 250.000 km = 5.534,03 €. Diese Formel bildet aber nicht ab, dass der Kläger 4,5 Jahre und fast die Hälfte der Gesamtfahrleistung- ein fast neues Fahrzeug zu Verfügung hatte, während es sich bei der verbleibenden Zeit um ein in die Jahre gekommenes Fahrzeug handelt. Von daher erscheint es im Rahmen der Schadensschätzung nach § 287 ZPO gerechtfertigt, den eingangs ermittelten Entschädigungsbetrag um 10 % zu erhöhen. Damit ergibt sich gerundet ein Abzugsbetrag von 6.087,43 €.
Soweit der Kläger seit Schluss der mündlichen Verhandlung mit dem Fahrzeug weitere Kilometer zurückgelegt hat, sind diese mit einem Betrag von 0,147 € pro Kilometer noch in Abzug zu bringen.
Die geltend gemachten Zinsen stehen dem Kläger gemäß §§ 280, 286, 288 BGB zu.
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- Klageantrag Ziffer 2
Ein Anspruch auf Verzinsung des Kaufpreises seit Überweisung nach § 849 BGB besteht nicht.
Nach dem Wortlaut umfasst § 849 BGB den Sachverlust durch ein Delikt. Der Zinsanspruch soll mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer Sache ausgleichen, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 28.09.1993 – III ZR 91/92, NJW 1994, 1403). Aus § 849 BGB folgt dagegen kein allgemeines Prinzip, wonach Ansprüche aus unerlaubter Handlung unabhängig vom Vorliegen des Verzugs zu verzinsen seien. § 849 BGB ist daher bereits hier nicht anwendbar, da dem Kläger für den Verlust der Nutzbarkeit des Kapitals hier ein Gegenwert in Form der Nutzung des Fahrzeugs entgegengebracht wurde. Die Fälle, in denen die Rechtsprechung einen Zin 849 BGB wegen deliktisch „verlorenen“ Kapitals annahm, waren ausschließlich Fälle, in denen das Kapital ohne Gegenwert verfügt wurde, sodass die Nutzung durch Einbringung von Zinserträgen entfiel. Ein solcher Fall liegt nicht vor.
- Klageantrag Ziffer 4
Der Kläger kann gemäß § 256 ZPO Feststellung verlangen, dass die Beklagte sich in Annahmeverzug befindet. Das erforderliche Feststellungsinteresse folgt aus den Vollstreckungsvoraussetzungen des § 756 ZPO (vgl. BGH, NJW 2002, 1262, 1263). Die Kläger ist mit Ablauf der ihr im anwaltlichen Schreiben vom 06.12.2018 gesetzten Frist gemäß §§ 293, 295 BGB hinsichtlich der Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs in Annahmeverzug geraten.
Annahmeverzug
Ein berechtigtes Interesse für die Feststellung des Datums, zu dem eingetreten ist, ist hingegen nicht dargelegt.
- Kosten
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Der Kläger unterlag bezüglich seines Antrages auf Zahlung von Zinsen in Höhe von 4 % aus dem Kaufpreis, welche das Gericht mit 2.327,45 Euro beziffert.
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Auch wenn sich ein Zinsanspruch als Nebenforderung nach § 4 ZPO nicht streitwerterhöhend auswirkt, ist die (teilweise) Abweisung des Zinsanspruchs nach § 92 ZPO bei der Kostenentscheidung zu Lasten des Kl. zu berücksichtigen, wenn der Zinsforderung im Verhältnis zur Hauptforderung erhebliches Gewicht zukommt (vgl. OLG Koblenz: Urteil vom 13.07.2006 – 7 U 1801/05, BeckRS 2006, 10309). Daher ist ein fiktiver Streitwert zu bilden, der auch die Nebenforderungen umfasst. Der fiktive Streitwert ist mit 11.278,00 Euro zu beziffern.
Den Feststellungsantrag bezüglich des Annahmeverzugs bemisst das Gericht keinen gesonderten Streitwert (vgl. OLG Naumburg, Beschl. v. 7. 3. 2012 – 10 W 17/12, NJW-RR 2012, 1213). Auch hinsichtlich der Nutzungsentschädigung ist eine Streitwerterhöhung nicht vorzunehmen, da diese unstreitig war.
Das Unterliegen des Klägers führt zu einer Kostentragungspflicht von 30 % und der Beklagten von 70%.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 709 S.2,711 ZPO.
Rechtsbehelfsbelehrung
Diese Entscheidung kann mit der Berufung angefochten werden. Sie ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Zeil 42, 60313 Frankfurt am Main einzulegen. Die Frist beginnt mit der Zustellung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung. Die Berufung ist nur zulässig, wenn der Beschwerdegegenstand 600,00 € übersteigt oder das Gericht die Berufung in diesem Urteil zugelassen hat. Zur Einlegung der Berufung ist berechtigt, wer durch diese Entscheidung in seinen Rechten beeinträchtigt ist.
Die Berufung wird durch Einreichung einer Berufungsschrift eingelegt. Die Berufung kann nur durch einen Rechtsanwalt eingelegt werden.
Gudzik Richterin
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Beglaubigt Hanau, 01.07.2019
Schmitt Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
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