Urteil im Abgasskandal, Landgericht Siegen, Urteil vom 24.04.2019, Aktenzeichen: 1-O 591/18
In dem Rechtsstreit
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Kläger, Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Ghendler & Ruvinskij, Aachener Straße 1, 50674 Köln,
gegen
die Volkswagen AG, vertr. d. d. Vorstand, Berliner Ring 2, 38440 Wolfsburg,
Beklagte, Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte KSP Kanzlei Dr. Seegers, Dr. Frankenheim Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Kaiser-Wilhelm-Str. 40, 20355 Hamburg
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Siegen aufgrund mündlicher Verhandlung vom 24.04.2019 durch die Richterin Gürtler als Einzelrichterin
für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 15.690,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz, mindestens jedoch 4 % p.a., seit dem 23.01.2019 binnen sieben Tagen nach Übergabe des Fahrzeugs Audi
Audi Q 3, Fahrzeugidentifikationsnummer –, zu zahlen.
Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger Zinsen in Höhe von 4 % p.a. ab dem 31.01.2015 bis zum 22.01.2019 auf einen Betrag in Höhe von 22.300,00 Euro zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des obenstehenden Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
Es wird ferner festgestellt, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache in Höhe von 639,37 Euro erledigt hat.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Am 31.01.2015 schloss der Kläger einen Kaufvertrag mit der Jacobs Gruppe-Sirries Automobile GmbH über einen Audi Q 3 mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 zum Kaufpreis von 22.300,00 Euro. Der PKW wies zum Zeitpunkt des Erwerbs einen Kilometerstand von 21.500 km auf. Die Beklagte ist Herstellerin des im PKW eingebauten Motors.
In dem Motor ist eine Software verbaut, die anhand des Fahrverhaltens erkennt, wenn sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet und im realen Fahrbetrieb in einen Modus umschaltet, in dem die NOx-Emissionen höher sind als auf dem Prüfstand.
Der Kläger ließ am 04.11.2016 ein Softwareupdate durchführen.
Der Kläger behauptet, es sei den Organen der Beklagten klar gewesen, dass diese Dieselmotoren an Tochterunternehmen liefere und auch selbst in eigenen Fahrzeugen verkaufe, die hinsichtlich der Abgaswerte nicht den einschlägigen Vorschriften entsprächen. Die Schädigungshandlung der Beklagten sei aus dem Vorstand und dem engsten Umfeld heraus gesteuert worden.
Er behauptet ferner, er hätte den PKW nicht gekauft, hätte er vom Vorhandensein der Abschalteinrichtung gewusst.
Mit seiner Klage vom 29.12.2019 hat der Kläger ursprünglich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 16.927,18 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB, mindestens jedoch 4 % p.a. ab Rechtshängigkeit binnen sieben Tagen nach Übergabe des Fahrzeugs Audi Audi Q3, Fahrzeugidentifikationsnummer –, zu zahlen; ferner die Beklagte zu verurteilen, Zinsen in Höhe von 4 % p.a. ab dem 31.01.2015 bis Rechtshängigkeit auf einen Betrag in Höhe von 22.300,00 Euro zu zahlen, sowie festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des obenstehenden Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
Mit Schriftsatz vom 18.04.2019 hat der Kläger wegen zwischenzeitlicher Laufleistung ab Klageerhebung bis zur mündlichen Verhandlung von weiteren 7.985 km die Klage in Höhe von 639,37 Euro für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen.
Er beantragt nunmehr,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 16.287,81 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB, mindestens jedoch 4 % p.a. ab Rechtshängigkeit binnen sieben Tagen nach Übergabe des Fahrzeugs Audi Audi Q 3, Fahrzeugidentifikationsnummer –, zu zahlen,
- die Beklagte ferner zu verurteilen, Zinsen in Höhe von 4 % p.a. ab dem 31.01.2015 bis Rechtshängigkeit auf einen Betrag in Höhe von 22.300,00 Euro zu zahlen.
- festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des Fahrzeugs aus Antrag 1) in Annahmeverzug befindet.
- festzustellen, dass sich der Antrag zu 1) in Höhe von 639,37 Euro erledigt hat und die darauf gerichtete Klage ursprünglich zulässig und begründet war.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, nach derzeitigem Stand der Ermittlungen hätten die Vorstände der Beklagten im aktienrechtlichen Sinne im relevanten Zeitpunkt der Ausstellung der Übereinstimmungsbescheinigung und im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses von der Verwendung der Software in Fahrzeugen mit EG Typgenehmigung keine Kenntnis gehabt.
Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vom 24.04.2019 die Einräumung eines Schriftsatzes zu dem Schriftsatz des Klägers vom 15.04.2019 beantragt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 15.690,50 Euro Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des streitgegenständlichen Fahrzeuges gemäß $$ 826, 31 BGB. Die Beklagte hat dem Kläger in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt.
Die schädigende Handlung der Beklagten liegt darin, dass sie unter Verschweigen der gesetzeswidrigen Programmierung der Software Dieselmotoren zum Zwecke des Weiterverkaufs in Fahrzeugen in Verkehr gebracht hat (vergleiche Landgericht Siegen, Urteil vom 26.01.2018 – 20 300/17 [Beck RS 2018, 32404)). Die Beklagte war nämlich verpflichtet, jeden Endkunden ihrer Produkte darüber aufzuklären, dass in dem Motor eine Software verbaut war, die dafür sorgt, dass der Schadstoffausstoß allenfalls im Prüfstand Betrieb die angegebenen Grenzwerte einhält. Der durchschnittliche Kunde muss davon ausgehen, dass ein zu erwerbendes Fahrzeug die Grenzwerte nicht nur im Prüfstandbetrieb, sondern auch unter realen Bedingungen im Straßenverkehr einhält. Diese Umstände bedingen zugleich, dass die Beklagte sich nicht mit Erfolg darauf berufen kann, nicht Herstellerin des Fahrzeugs zu sein. Denn zum einen hat die Beklagte die Motoren mit der entsprechenden Software entwickelt und in Verkehr gebracht. Zum anderen musste die Beklagte auch wissen, dass die Audi AG die ihr gelieferten Motoren in ihre Fahrzeuge einbauen und auf den Markt bringen würde (vergleiche LG Krefeld, Urteil vom 19. Juli 2017 – 70 147/16 Rn. 37 [juris); s.dazu auch OLG Köln, Beschluss vom 03.01.2019 – 18 U 70/18, Rn. 20 [Beck RS 2019, 498]). Außerdem ist die Audi AG eine (fast) 100%ige Tochtergesellschaft der Beklagten. Die Gesetzeswidrigkeit der Software ergibt sich dabei aus einem Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 (s. dazu jetzt auch BGH, Beschluss vom 08.01.2019 – VIII ZR 225/17, Rn. 12 ff. [Beck RS 2019, 2206]). Nach diesen Vorschriften ist eine Abschaltvorrichtung, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert, unzulässig. Dass eine Abschaltvorrichtung nach dem Unionsrecht in der von der Beklagten eingesetzten Software zu sehen ist, ist anzunehmen, weil das Kraftfahrtbundesamt bestandskräftig hierüber entschieden hat (vergleiche LG Ellwangen, Urteil vom 10.06.2016 – 5 0 385/16; LG Hildesheim, Urteil vom 17.01.2017 – 3 0 139/16; LG Köln, Urteil vom 07.10.2016 – 7 0 138/16, LG Paderborn, Urteil vom 07.04.2017 -20 118/16 [BeckRS 2017, 108460]). Aufgrund der Software war zudem der Widerruf oder Rückruf der EG Typengenehmigung gemäß § 25 Abs. 3 EG-FGV durch das Kraftfahrtbundesamt zu befürchten. Dies hätte wiederum eine Betriebsuntersagung gemäß § 5 Abs. 1, 2 FZW zur Folge haben können (vergleiche LG Wuppertal, Urteil vom 15.01.2017 – 4 O 295/17 [BeckRS 2018, 1446]). Dabei ist unerheblich, dass das Kraftfahrtbundesamt die EG-Typengenehmigung tatsächlich nicht entzogen hat. Die Beklagte konnten nicht wissen, dass das Bundesamt sein Ermessen dergestalt ausüben wird. Es handelt sich also um einen Umstand, der sich erst im Nachhinein herausgestellt hat und auf den sich die Beklagte nicht verlassen konnte.
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Der Beklagte ist das Verhalten ihrer Organe gemäß § 31 BGB zuzurechnen. Ist der in Anspruch Genommene eine juristische Person, so hat sie gemäß § 31 BGB für den Schaden einzustehen, den ihr „verfassungsmäßig berufener Vertreter“ im Sinne des § 31 BGB durch eine unerlaubte Handlung einem Dritten zugefügt hat (BGH NJW 2017, 250). Von diesem Begriff der „verfassungsmäßig berufenen Vertreter“ im Sinne des § 31 BGB werden über die tatsächlich in der Satzung der AG benannten Vertreter hinaus alle Personen erfasst, die einen bestimmten Aufgabe- und Funktionsbereich selbstständig und eigenverantwortlich wahrnehmen (vergleiche LG Krefeld, Urteil vom 28.02.2018 -70 10/18 (BeckRS 2018, 3412]). Der Vortrag des Klägers, es sei den Organen der Beklagten klar gewesen, dass diese Dieselmotoren an Tochterunternehmen liefere und auch selbst in eigenen Fahrzeugen verkaufe, die hinsichtlich der Abgaswerte nicht den einschlägigen Vorschriften entsprächen und die Schädigungshandlung der Beklagten aus dem Vorstand und dem engsten Umfeld heraus gesteuert worden sei, reicht zur Darlegung der Zurechnung aus. Denn das Bestreiten der Beklagten ist unbeachtlich, weshalb der Vortrag gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt. Sie trifft nämlich eine sekundäre Darlegungslast, der sie nicht nachgekommen sind (vgl. dazu und im Folgenden auch OLG Köln, Beschluss vom 03.01.2019 – 18 U 70/18, Rn. 27 ff. [Beck RS 2019, 498]).
Eine sekundäre Darlegungslast besteht, wenn der beweisbelasteten Partei näherer Vortrag nicht möglich oder zumutbar ist, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn die beweisbelastete. Partei außerhalb des von ihr vorzutragenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen besitzt, während der Gegner zumutbar nähere Angaben machen kann (vergleiche BeckOK ZPO-Bacher, Stand 01.07.2018, § 284 Rn. 85 m.w.N.; LG Kleve VuR 2017, 232).
Dies ist hier der Fall. Dem Kläger stehen lediglich öffentliche Erklärungen der Beklagten sowie öffentlich abrufbare Informationen, beispielsweise aus Medien oder der Presse, zur Verfügung. Für die Beklagte handelt es sich hingegen um Betriebsinterna betreffend die Führungsebene. Das heißt, es handelt sich um einen relativ begrenzten Personenkreis, so dass eine Informationsbeschaffung zumutbar ist. Gerade vor dem Hintergrund, dass der Dieselskandal bereits im Jahr 2015 publik geworden ist und seitdem von verschiedenen Stellen umfassende Ermittlungen betrieben werden, ist anzunehmen, dass die Beklagte sich bis jetzt hätte Kenntnis über diese Umstände beschaffen können. Ansonsten könnte sie durch Bestreiten und besonders langsame Ermittlungen eine Klageabweisung erreichen, obwohl nach eigenem Vortrag möglich ist, dass sie zum Ergebnis gelangen wird, dass die klägerische Behauptung zutreffend ist. Mit ihrem Vortrag, nach derzeitigem Ermittlungsstand habe der Vorstand der Beklagten zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses der Verwendung der Software in Fahrzeugen mit EG-Typgenehmigung keine Kenntnis gehabt, ist die Beklagte dieser Darlegungslast nicht nachgekommen.
Das Verhalten der Beklagten war sittenwidrig. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn es nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH NJW 2014, 1380 m.w.N.).
Das Inverkehrbringen von Fahrzeugen beziehungsweise von Motoren, die mit einer gesetzeswidrigen Motorsteuerungssoftware ausgestattet sind, ist nach diesem Maßstab als sittenwidrig zu werten. Denn bei Abschluss des Kaufvertrages sollte ein Käufer davon ausgehen dürften, dass sich der Hersteller rechtmäßig verhalten hat und die für den Betrieb seines PKWs notwendigen Zulassungen, Genehmigungen und Erlaubnisse nicht durch Täuschungen und nicht unter Anwendung einer Manipulations-Software erwirkt hatte (OLG Köln, Beschluss vom 28.05.2018 – 27 U 13/17, Rn. 46 [juris]). Dabei hat die Beklagte nicht lediglich Informationen über gewöhnliche Schwachstellen oder Ineffizienzen zurückgehalten oder für den Käufer unbedeutende Tricks angewandt. Sie hat bewusst gesetzeswidrige, manipulierende Software eingesetzt und deren Verwendung verschwiegen.
Das bewusst manipulative Verhalten hinsichtlich für den Käufer elementarer Umstände ist dabei besonders verwerflich, weil es offenkundig einzig und allein dazu gedient hat, sich auf rechtswidrigem Wege einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.
Hinzu tritt, dass die Beklagte durch die Manipulation der Motorsteuerungssoftware einen Teil des Motors beeinflusst hat, den ein technischer Laie keinesfalls und selbst ein Fachmann nur mit Mühe durchschaut, so dass die Entdeckung der Manipulation mehr oder weniger vom Zufall abhing. Ein solches die Verbraucher täuschendes Verhalten ist ohne weiteres als sittenwidrig und verwerflich anzusehen (vergleiche LG Aachen, Urteil vom 19.1.2018 – 70 233/17 [BeckRS 2018, 25997]).
Der Kläger hat durch den Erwerb des Fahrzeugs einen Schaden erlitten. Bereits der Abschluss des Kaufvertrages hat zu einem Schaden geführt.
Das ergibt sich bei Anwendung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Danach ist ein Schaden nicht nur dann gegeben, wenn sich bei dem vorzunehmenden Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre, ein rechnerisches Minus ergibt (dazu und zum Folgenden BGH, NJW-RR 2015, 275 Rn. 18 ff.). Die Differenzhypothese muss stets einer normativen Kontrolle unterzogen werden, weil sie eine wertneutrale Rechenoperation darstellt. Dabei ist einerseits das konkrete haftungsbegründende Ereignis als Haftungsgrundlage zu berücksichtigen. Andererseits ist die darauf beruhende Vermögensminderung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände sowie der Verkehrsauffassung in die Betrachtung einzubeziehen. Erforderlich ist also eine wertende Überprüfung des anhand der Differenzhypothese gewonnenen Ergebnisses gemessen am Schutzzweck der Haftung und an der Ausgleichsleistung des Schadensersatzes. Da der Schadensersatz dazu dient, den konkreten Nachteil des Geschädigten auszugleichen, ist der Schadensbegriff im Ansatz subjektbezogen. Deshalb kann jemand auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass er durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte und dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Im Fall einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung dient der Schadensersatzanspruch nicht nur dem Ausgleich jeder nachteiligen Einwirkung durch das sittenwidrige Verhalten auf die objektive Vermögenslage des Geschädigten. Vielmehr muss sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer solchen ungewollten Verpflichtung wieder befreien können. Schon eine solche stellt unter den dargestellten Voraussetzungen einen gemäß § 826 BGB zu ersetzendem Schaden dar. Danach fällt im Rahmen der wertenden Betrachtung bereits im Ausgangspunkt ins Gewicht, dass – wie oben schon erörtert – der Beklagten ein sittenwidriges Verhalten zur Last zu legen ist (vergleiche im Unterschied dazu das Urteil des Bundesgerichtshofs NJW 1998, 302, dem eine Haftung unter dem Gesichtspunkts des Verschuldens zugrunde lag).
Ein verständiger Autokäufer wird im Allgemeinen kein Fahrzeug erwerben, das zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses entscheidenden gesetzlichen Anforderungen nicht genügt, so dass er eine Betriebsuntersagung unter dem Gesichtspunkt befürchten muss, dass das Kraftfahrtbundesamt die Typengenehmigung ganz oder teilweise widerruft (vergleiche Landgericht Wuppertal, Urteil vom 16.01.2018 – 4 0 295/17 Rn. 26 [BeckRS 2018, 1691]). Anhaltspunkte für die Annahme, dass insoweit im vorliegenden Fall eine Ausnahmesituation gegeben sein könnte, sind nicht ersichtlich Das von dem Kläger erworbene Fahrzeug ist auch für seine Zwecke nicht voll brauchbar im Sinne der oben zitierten Umschreibung. Zwar mag es geeignet sein, im öffentlichen Straßenverkehr bewegt zu werden. Auf diese Eigenschaft beschränkt sich aber der Begriff der Brauchbarkeit nicht. So ergibt sich schon aus der Sachverhaltskonstellation, über die der Bundesgerichtshof in der genannten Entscheidung zu entscheiden hatte, dass dieser Begriff von der körperlichen Beschaffenheit des Vertragsgegenstandes abgelöst betrachtet werden kann. Andernfalls könnte in der Eingehung einer Darlehensverpflichtung mit einem nicht förderungswürdigen Bauherren kein Schaden liegen (vergleiche zu der Konstellation BGH, am angegebenen Ort, Rn. 20). Danach ist ein Fahrzeug für die Zwecke eines durchschnittlichen Erwerbers nicht voll brauchbar, wenn er mit einer Betriebsuntersagung rechnen muss (vergleiche LG Wuppertal, a.a.O., siehe zu dem Gesichtspunkt der Wiederverkaufsmöglichkeit unter diesem Gesichtspunkt auch LG Kiel, Urteil vom 26.01.2018 – 23 O 131/17 Rn. 24 [BeckRS 2018, 10991]). Im Übrigen lässt sich die Argumentation des nicht förderungswürdigen Bauherren insofern einen Schaden erlitt, als die vergebenen Mittel nicht mehr für andere förderungswürdige Antragsteller zur Verfügung standen, auf den vorliegenden Fall übertragen: Dadurch dass der Kläger ein Fahrzeug mit einer nicht gesetzmäßigen Motorsteuerungssoftware erwarb, standen ihm die Mittel nicht mehr zur Verfügung, mit denen er ein gesetzmäßiges Auto hätte kaufen können.
Unabhängig von alledem liegt nach Auffassung der Kammer ohnehin keine dem Äquivalenzprinzip entsprechende objektive Werthaltigkeit der Gegenleistung der Beklagten vor. Der Kläger kann weder im Rahmen der eigenen Nutzung noch im Falle eines Verkaufs an Dritte sicher sein, dass Langzeitschäden aus dem Abgasskandal schlechthin nicht eintreten werden (vergleiche dazu und zum Folgenden LG Hagen, Urteil vom 16.06.2017 – 8 0 218/16, Rn. 161 [BeckRS 2017, 127625]). Es besteht stets die Möglichkeit, dass potenzielle Käufer bei der Offenbarung, dass es sich um ein Fahrzeug handelt, das vom Abgasskandal betroffen ist, von einem Kauf Abstand nehmen. Der Makel, dass das Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen ist, stellt einen Umstand dar, der dem Fahrzeug stets anhaften wird und er auch mittels einer Nacherfüllungsmaßahme nicht mehr behoben werden kann,
Für das Vorliegen eines Schadens ist auch unerheblich, ob ein Software-Update durchgeführt wurde. Der Schaden liegt – wie soeben dargestellt – bereits in der Eingehung der Verbindlichkeit. Das kann durch das nachträgliche Aufspielen eines Updates nicht mehr beseitigt werden (vergleiche Landgericht Stuttgart, Urteil vom 14.08.2018 – 23 O 80/18 Rn. 47 [Beck RS 2018, 26967; Landgericht Bielefeld, Urteil vom 14.08.2018 – 9 0 226/17 Rn. 40 [Beck RS 2018, 26073]).
Die sittenwidrige Schädigung ist auch vorsätzlich erfolgt.
$ 826 BGB setzt kein absichtliches oder arglistiges Verhalten in dem Sinne voraus, dass es dem Täter gerade auf die Schädigung des Dritten ankommen müsste. Es ist auch nicht erforderlich, dass der Täter den Erfolgseintritt für sicher gehalten hat, sondern es reicht das Bewusstsein, dass die Schädigung im Bereich des Möglichen liegt und dass das Schädigungsrisiko billigend in Kauf genommen wird (Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 826 Rn. 27). Gemäß diesen Grundsätzen ist ein vorsätzliches Handeln seitens der verantwortlichen Mitarbeiter der Beklagten zu bejahen (vergleiche dazu und zum Folgenden LG Kiel, Urteil vom 18.05.2018 – 12 O 381/17 Rn. 47 ff. [BeckRS 2018, 89039). Der Einsatz der Software setzt denknotwendig eine aktive, im Hinblick auf das oben dargestellte Ergebnis gewollte präzise Programmierung voraus und schließt die Annahme einer fahrlässigen Herbeiführung dieses Zustandes aus (siehe auch LG Flensburg, Urteil vom 19.01.2018 – 4 O 181/17 Rn. 30 [BeckRS 2018, 9902]). Dabei nahmen die Verantwortlichen der Beklagten billigend in Kauf, dass der Einsatz der Software unredlich im Verhältnis zu den potentiellen Kunden und gesetzeswidrig sein konnte. Dass Endkunden wie der Kläger sittenwidrig geschädigt würden, haben die Verantwortlichen als mögliche Folge in Kauf genommen, auch wenn sich ihre unmittelbare Absicht auf die Manipulation des Schadstoffausstoßes im Prüfstand bezog. Sie haben auch billigend in Kauf genommen, dass die Software zur Manipulation des Schadstoffausstoßes im Prüfstand bei Bekanntwerden von den zuständigen Behörden als unzulässig eingestuft und deren Beseitigung gefordert werden würde. Für all das spricht schon die strikte Geheimhaltung der Funktion der Software.
Der Schädiger braucht auch nicht im Einzelnen zu wissen, wer der durch sein Verhalten Geschädigte sein wird. Er muss nur die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schädiger anderer auswirken könnte und die Art des möglichen Schadens vorausgesehen und mindestens billigend in Kauf genommen haben (BGH, NJW 2004, 2971, 73). Daran kann hier angesichts der Gesamtumstände kein Zweifel bestehen, denn es lag auf der Hand, dass die betreffenden Motoren beziehungsweise PKW an die Verbraucher gelangen würden.
Das Täuschen über den Einsatz der manipulierenden Software war für die Kaufentscheidung kausal.
Bei täuschendem oder manipulativem Verhalten genügt es für die Darlegung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Täuschung und Abgabe der Willenserklärung bereits, wenn der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten und nach Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung gehabt haben können (LG Kleve VuR 2017, 323). Dies ist hier der Fall. Denn es ist anzunehmen, dass die Gesetzesmäßigkeit eines Fahrzeugs für die Kaufentscheidung – von ganz untypischen Fällen abgesehen – immer von Bedeutung ist. Dies gilt auch deshalb, weil von der Manipulation der Motor und damit ein elementarer Bestandteil des Fahrzeugs betroffen ist (vergleiche LG Kleve, VuR 2017, 323).
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Der Kläger kann in der Folge Schadensersatz verlangen. Im Rahmen des § 826 BGB richtet sich der Schadensersatzanspruch auf den Ersatz des negativen Interesses. Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er ohne Eintritt des schädigenden Ereignisses stünde.
Demnach kann er einen Betrag von 15.690,50 Euro verlangen.
Hätte er das Fahrzeug nicht erworben, so hätte er den Geldbetrag in Höhe von 22.300,00 Euro nicht aufgewandt. Von diesem Betrag sind die von ihm gezogenen Nutzungen im Wege des Vorteilsausgleichs abzuziehen.
Der Schaden ist nach der Differenzmethode durch einen rechnerischen Vergleich zwischen dem zum Zeitpunkt der Schadensberechnung vorhandenen Vermögen des Geschädigten und dem Vermögen, das der Geschädigte ohne das schädigende Verhalten gehabt hätte, zu berechnen. Dabei kommen die allgemeinen Grundsätze der Schadenszurechnung und der Vorteilsausgleichung zur Anwendung. Zu solchen in die Berechnung einzustellenden Vorteilen gehört auch der Wert der von dem Geschädigten vor Rückgabe der mangelhaften Gegenleistung aus dieser gezogenen Nutzungen (LG Heilbronn, Urteil vom 14.03.2018, Az.60 320/18-, Rn. 34). Nach den Grundsätzen der kilometeranteiligen linearen Wertminderung hat der Kläger Nutzungsersatz für die von ihm zurückgelegten Kilometer zu zahlen. Dies ist nach der Formel
Kaufpreis x gefahrene Kilometer ab Übergabe des Fahrzeugs : erwartbare Restlaufleistung = Nutzungswert
zu berechnen.
Danach liegt der Nutzungswert bei 6.609,50 Euro. Der Pkw wies bei Übergabe einen Kilometerstand von 21.500 km auf. Der Kilometerstand am 17.04.2019 betrug 96.585 km. Das Gericht schätzt den Kilometerstand zum Schluss der mündlichen Verhandlung am 24.04.2019 auf 96.635 km. Die zu erwartende Gesamtlaufleistung schätzt die Kammer gemäß § 287 ZPO auf 275.000 km (22.300,00 Euro x 75.135 km : 253.500 km = 6.609,50 Euro).
Der Kläger kann auch die Zahlung binnen 7 Tagen nach Übergabe des Fahrzeugs verlangen.
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Insoweit war der Antrag des Klägers dahingehend auszulegen, dass mit der Übergabe auch die Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs bewirkt werden soll. Darüber hinaus stellt die Zahlung binnen 7 Tagen ein Minus zum Anspruch des Klägers auf Zahlung des Betrages in Höhe von 15.690,50 Euro Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs dar.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 849, 246 BGB sowie aus §§ 291, 288 BGB.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von Zinsen in Höhe von 4 % aus 22.300 Euro für die Zeit vom 31.01.2015 bis zum 22.01.2019 aus § 849 BGB, weil die Beklagte dem Kläger durch eine unerlaubte Handlung nach § 826 BGB eine Sache entzogen hat. Geld, auch wenn dies in Form einer Darlehensauszahlung übermittelt wird, ist eine Sache im Sinne des § 849 BGB. Die Norm umfasst nicht nur Bargeld, es genügt, dass eine Zahlung auf andere Weise geleistet wurde, beispielsweise durch Übergabe eines Schecks oder Überweisung auf ein Konto (vgl. LG Essen, Urteil vom 04.09.2017 – 16 O 245/16 -, – juris).
Das Geld wurde dem Kläger auch entzogen. Ein „Entziehen“ beinhaltet nämlich auch den Fall, dass der Schädiger den Geschädigten durch eine unerlaubte Handlung zur Weggabe einer Sache oder Verfügung über eine Sache veranlasst. So liegt es hier, weil die Beklagte den Kläger durch die vorsätzliche sittenwidrige Täuschung zur Kaufpreiszahlung veranlasst hat. Im Rahmen des § 849 BGB kommt es nicht darauf an, dass die Sache ohne oder gegen den Willen des Geschädigten entzogen wird (LG Essen, a.a.O.). Der Kläger muss sich hinsichtlich des Zinsanspruchs aus § 849 BGB nicht die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. Vorteilsausgleich ist regelmäßig bei Schadensersatzansprüchen zu berücksichtigen (Palandt/Grüneberg, 76. Aufl. 2017, § 249 Rn. 67). § 849 BGB gewährt allerdings keinen Schadensersatz, sondern eine pauschale Nutzungsausfallentschädigung, die dem Betroffenen dienen soll, weil die durch den Entzug der Nutzungsmöglichkeit eingetretenen Nachteile häufig nur schwer bezifferbar sind (Wagner in Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2017, § 849 Rn. 2).
Der Anspruch besteht auch für den Zeitraum vom 31.01.2015 bis zum 22.01.2019. Die Zinspflicht beginnt mit dem Zeitpunkt des Schadensereignisses, dies war der Erwerb des PKW am 31.01.2015. Die Zinspflicht endet, wenn die Ersatzsache aus Mitteln des Schädigers beschafft wird oder die Zahlung des Ersatzbetrags durch den Schädiger erfolgt (vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 1983 – VI ZR 191/81 -, BGHZ 87, 38-42, Rn. 12; Staudinger/Klaus Vieweg (2015) BGB § 849, Rn. 10).
Da noch keine Entschädigung des Klägers durch Beschaffung einer Ersatzsache oder Zahlung eines Ersatzbetrages erfolgt ist, ist der Zinsanspruch des Klägers in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus $$ 291, 288 BGB für den Zeitraum ab dem 23.01.2019 auch auf mindestens 4 Prozent p.a. zuzusprechen.
III. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzuges ist zulässig und begründet. Das gemäß § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, weil die Feststellung der erleichterten Vollstreckung des geltend gemachten Leistungsanspruchs dient und hierzu erforderlich ist (vgl. BGH NJW 2002, 1262, beck-online) Die Beklagte befindet sich spätestens seit ihrem Klageabweisungsantrag in Annahmeverzug.
- Der Kläger kann auch die Feststellung dahingehend verlangen, dass sich der Rechtsstreit in Höhe von 639,37 Euro erledigt hat. Das nach § 256 ZPO geforderte Feststellungsinteresse folgt aus der Kostentragungspflicht. Durch die Zurücklegung von weiteren 7.985 km zwischen der Klageeinreichung und dem 17.04.2019 war der Anspruch des Klägers in dieser Höhe ursprünglich zulässig und begründet. Das Zurücklegen der weiteren Kilometer stellt in diesem Zusammenhang ein erledigendes Ereignis dar.
- Soweit die Beklagte im Rahmen der mündlichen Verhandlung einen Schriftsatznachlass zu dem Schriftsatz des Klägers vom 15.04.2019 beantragt hat, war diesem nicht stattzugeben. Der Schriftsatz des Klägers enthielt keinen neuen Tatsachenvortrag, sondern lediglich Wiederholungen des bisherigen Vortrages und Vortrag zu rechtlichen Ausführungen. Diesen kann die Beklagte jeder Zeit entgegentreten, ohne dass es diesbezüglich eines Schriftsatznachlasses bedarf.
15 Einer Vorlage an den EuGH bedurfte es nicht. Unabhängig von den übrigen Voraussetzungen besteht gemäß Art. 267 AEUV grundsätzlich keine Pflicht der Instanzgerichte zu einer solchen Vorlage.
VII.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus $$ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
VIII.
Der Streitwert wird auf 22.300,00 Euro festgesetzt.
Gürtler
Beglaubigt Urkundsbeamter/in der Geschäftsstelle Landgericht Siegen
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