Urteil im Volltext:
In dem Rechtsstreit
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Kläger, Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte KRAUS GHENDLER RUVINSKIJ, Aachener Str. 1, 50674 Köln,
gegen
die Volkswagen AG, vertreten durch den Vorstand, dieser vertreten durch Herbert Diess, Oliver Blume, Jochem Heizmann, Gunnar Kilian, Andreas Renschler, Stefan Sommer, Hiltrud D. Werner, Frank Witter, Berliner Ring 2, 38440 Wolfsburg,
Beklagte, Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte KSP Kanzlei Dr. Seegers, Dr. Frankenheim Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Kaiser-Wilhelm-Straße 40, 20355 Hamburg,
hat die 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen aufgrund mündlicher Verhandlung vom 01.07.2019 durch die Richterin Schulze als Einzelrichterin
für Recht erkannt:
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.870,57 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.01.2019 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Kraftfahrzeugs der Marke Volkswagen, Modell Tiguan, mit der Fahrzeugidentifikationsnummer —
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 21,7 % und die Beklagte zu 78,3 %.
- Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Der Kläger kann die gegen ihn gerichtete Vollstreckung abwenden gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte ihrerseits Sicherheit leistet in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um Ansprüche des Klägers gegen den Hersteller eines vom so genannten „Abgasskandal“ betroffenen Kraftfahrzeugs Volkswagen Tiguan.
Der Kläger erwarb gemäß Kaufvertrag vom 09.02.2015 ein Kraftfahrzeug der Marke VW, Tiguan. Freestyle mit der Fahrzeugidentifikationsnummer — zum Kaufpreis von 17.900,- €. Das Fahrzeug wurde ihm am 13.02.2015 mit einer Laufleistung von 39.229 km übergeben. . Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor EA 189 EU 5 ausgestattet. Die Motorsteuerungssoftware des Fahrzeugs sah hinsichtlich der Abgasrückführung zwei Betriebsmodi vor, und zwar einen hinsichtlich des Stickstoffausstoßes optimierten Betriebsmodus 1 mit einer verhältnismäßig hohen Abgasrückführungsrate sowie einen hinsichtlich des Partikelausstoßes optimierten Betriebsmodus 0 mit einer erheblich geringeren Abgasrückführungsrate. Dabei vermochte die Motorsteuerung zu erkennen, ob das Fahrzeug auf einem technischen Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte (NEFZ-Prüfzyklus) eingesetzt oder ob es im Straßenverkehr betrieben wird, und schaltete im NEFZ-Prüfzyklus in den Modus 1. Auf diese Art und Weise wurde sichergestellt, dass bei der Prüfung nach den gesetzlich vorgesehenen Maßgaben der Euro-5-Abgasnorm geringere Stickoxidemissionen gemessen und dementsprechend die Stickoxidgrenzwerte im Laborbetrieb eingehalten wurden. Dagegen schaltete die Motorsteuerung in den Modus 0, wenn das Fahrzeug im Straßenverkehr eingesetzt wurde. Das Kraftfahrtbundesamt ordnete gegenüber der Beklagten an, die von ihm als unzulässige Abschalteinrichtung angesehene Motorsteuerungssoftware zu entfernen. Das hierzu von der Beklagten entwickelte Softwareupdate ließ der Kläger am 03.11.2016 aufspielen. Seitdem wird das Fahrzeug nur noch in einem adaptierten Modus 1 betrieben.
Der Kläger behauptet, die Beklagte habe die Motorsteuerungssoftware manipuliert, um ihren Profit und ihre Marktanteile zu steigern. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Organe und leitenden Angestellten der Beklagten Kenntnis von der Manipulation der Motorsteuerungssoftware hatten. Vorstandsmitglieder der Beklagten hätten von dem Einsatz der Software gewusst und daran mitgewirkt. Der Kläger hätte das Fahrzeug nicht erworben, wenn er über die gesetzeswidrige Softwareversion und die tatsächlichen Schadstoffwerte aufgeklärt worden wäre.
Der Kläger beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 13.881,28 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB, mindestens jedoch in Höhe von 4 % p.a., ab Rechtshängigkeit binnen sieben Tagen nach Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Volkswagen Tiguan Freestyle, Fahrzeug-Ident-Nr.: –, zu zahlen,
- die Beklagte zu verurteilen, Zinsen in Höhe von 4 % p.a. ab dem 09.02.2015 bis Rechtshängigkeit auf einen Betrag in Höhe von 17.900,- € zu zahlen.
- festzustellen, dass die Beklagte sich mit der Entgegennahme des Fahrzeugs aus dem Antrag zu 1) in Annahmeverzug befindet.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, die Entscheidung, die Motorsteuerungssoftware zu verändern, sei von Mitarbeitern unterhalb der Vorstandsebene auf nachgeordneten Arbeitsebenen getroffen worden. Umfangreiche Ermittlungen zur Aufarbeitung des Sachverhalts um die Entwicklung der EA 189-Motoren dauerten noch an. Es lägen keine Erkenntnisse vor, dass einzelne Vorstandsmitglieder an der Entwicklung der Software beteiligt gewesen wären oder die Entwicklung oder Verwendung der Software des Dieselmotors EA189 EU5 seinerzeit in Auftrag gegeben oder gebilligt hätten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die – wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.
- Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß § 826 BGB unter Anrechnung eines Vorteilsausgleichs von 7.029,43 € einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 10.870,57 € Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des im Tenor näher bezeichneten Fahrzeugs W Tiguan.
- a) Die Beklagte hat den Kläger gemäß § 826 BGB in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich geschädigt.
- aa) Die Beklagte hat den Kläger durch das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Dieselmotors EA 189, dessen Motorsteuerungssoftware so programmiert war, dass sie den Betrieb des Fahrzeugs. auf einem Prüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) erkannte und die Abgasbehandlung in den sogenannten Modus 1 versetzte, im Übrigen aber im Modus 0 lief, geschädigt. Der Schaden besteht darin, dass der Kläger in Unkenntnis der nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware das streitgegenständliche Kraftfahrzeug mit dem von der Beklagten entwickelten Motor erworben und damit einen für ihn wirtschaftlich nachteiligen Vertrag abgeschlossen hat. Dies ergibt sich bereits daraus, dass das streitgegenständliche Fahrzeug wegen der Installation der Software betreffend den Motor EA 189 mangelhaft war und gerade nicht dem vertraglich geschuldeten Zweck entsprach. Der Kauf eines mangelhaften Fahrzeugs zum ungeminderten Gebrauchtwagenpreis ist grundsätzlich als wirtschaftlich nachteilig anzusehen. Einen solchen Vertrag hätte der Kläger in Kenntnis des Mangels wie jeder verständige Käufer unzweifelhaft nicht geschlossen.
Ein Fahrzeug entspricht nicht schon dann der üblichen und berechtigterweise von einem Käufer zu erwartenden Beschaffenheit, wenn es technisch sicher und fahrbereit ist und über alle Genehmigungen verfügt. Durch die Installation der Manipulationssoftware, die die korrekte Messung der Stickoxidwerte verhindert und im Prüfbetrieb niedrigere Ausstoßmengen vorspiegelt, weicht ein Fahrzeug vielmehr von der bei vergleichbaren Fahrzeugen üblichen Beschaffenheit ab. Ein vernünftiger Durchschnittskäufer kann davon ausgehen, dass ein von ihm erworbenes Fahrzeug entweder zu Recht zugelassen oder zulassungsfähig ist. Dazu gehört, dass der Hersteller die für den Fahrzeugtyp erforderlichen Erlaubnisse und Genehmigungen nicht durch Täuschung erwirkt hat. Das gilt auch, wenn der Käufer sich bis zum Bekanntwerden der Manipulationen keine konkreten Vorstellungen von den technischen Einrichtungen, den rechtlichen Voraussetzungen und den Zulassungs bzw. Genehmigungsverfahren macht. Bei Abschluss des Kaufvertrages hat der Kläger noch davon ausgehen dürfen, dass die Beklagte als Hersteller des Motors sich rechtmäßig verhalten hat. Die abweichende Argumentation der Beklagten, die Motorsteuerungssoftware habe letztlich keinen Einfluss auf das EG Typengenehmigungsverfahren und die Schadstoffklasseneinstufung und damit auf die Zulassungsfähigkeit/Betriebserlaubnis des Fahrzeugs, vermag nicht zu überzeugen. Wäre dem so, ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Beklagte eine solche Motorsteuerungssoftware mit vermutlich nicht unerheblichen Kosten überhaupt entwickelt und letztendlich verwendet hat. Es drohte zudem die Betriebsuntersagung gemäß § 5 FVZ durch das Kraftfahrtbundesamt, sofern das von der Beklagten zur Verfügung gestellt Softwareupdate nicht zur Adaptierung des Betriebsmodus des Fahrzeugs aufgespielt wird. Schließlich hätten die zuständigen Behörden das Fahrzeug bei Kenntnis von: der manipulierenden Motorsteuerungssoftware nicht zugelassen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 20.12.2017, 18 U 112/17 – zitiert nach juris).
- bb)
Die streitgegenständliche Programmierung der Motorsteuerungssoftware ist gesetzeswidrig. In der Verwendung von Vorrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, liegt ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge. Bei verständiger Auslegung muss die von der Beklagten installierte Programmierung als Abschalteinrichtung angesehen werden. Denn sie setzt die zu einem geringeren Stickoxidausstoß führende, ausschließlich für den Prüfstand bestimmte Programmierung der Motorsteuerung im Modus 1 für den Fahrbetrieb auf der Straße außer Kraft mit der Folge, dass der Stickoxidausstoß im Fahrbetrieb auf der Straße höher ist als auf dem Prüfstand. Umgekehrt wird die im normalen Fahrbetrieb wirksame Programmierung etwa für die Abgasrückführung auf dem Prüfstand außer Kraft gesetzt, indem die Motorsteuerung den sogenannten Modus 0, nämlich den Betriebszustand für den normalen Fahrbetrieb auf der Straße, zu Gunsten eines ausschließlich für den Prüfstandbetrieb bestimmten Modus abschaltet: Dies gilt unabhängig davon, ob tatsächlich eine Einwirkung auf das Emissionskontrollsystem vorhanden ist oder aber lediglich eine Einwirkung auf einen innermotorischen Vorgang erfolgt. Schon die Testzykluserkennung in Verbindung mit einer ausschließlich im Testzyklus erfolgenden Einwirkung auf die Abgasrückführung ist ein Verstoß gegen das Verbot von Abschalteinrichtungen. Eine Schadstoffmessung auf dem Prüfstand ist zudem nur sinnvoll und ermöglicht einen Vergleich von Fahrzeugen verschiedener Hersteller, wenn das zu testende. Fahrzeug gerade hinsichtlich der Abgasbehandlung dem Zustand entspricht, der auch auf der Straße gegeben ist, da ansonsten Manipulationen ermöglicht würden, die eine Vergleichbarkeit selbst unter den dem realen Fahrbetrieb fernen, genormten Prüfstandbedingungen nicht mehr herstellen könnten. Eine ausschließlich auf den Testzyklus zugeschnittene Programmierung der Abgasbehandlung kann deshalb nur als unzulässige Umgehung der einschlägigen Vorschriften angesehen werden. Diese Wertung entspricht auch der Einschätzung des Kraftfahrtbundesamtes, welches von der Beklagten die Entfernung einer „unzulässigen Abschalteinrichtung“ verlangt hat.
- cc)
Die schädigende Handlung ist der Beklagten gemäß § 31 BGB zuzurechnen.
Einer juristischen Person wird das Verhalten und Wissen ihrer Organe gemäß § 31 BGB zugerechnet. Darüber hinaus haftet eine juristische Person für das Verhalten sonstiger verfassungsmäßig berufener Vertreter sowie für alle sonstigen Personen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, sodass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren. Es ist nicht notwendig, dass die betreffende Person . in der geschäftsführenden Verwaltung tätig ist. Entscheidend ist vielmehr, dass es sich um einen leitenden Angestellten handelt, der aufgrund der Organisation der juristischen Person eine gewisse Selbständigkeit der Entschließung und dementsprechend ein gewisses Maß von Eigenverantwortung für einen größeren Verwaltungsbereich hat (vgl. BGH NJW 1998, 1854, BGH NJW-RR 1986, 281).
Darüber hinaus gilt, dass sich die Partei eines zivilprozessualen Rechtsstreits im Rahmen ihrer sekundäre Darlegungslast über wesentliche Tatsachen dann zu erklären hat, wenn der (primär) darlegungspflichtige Anspruchsteller außerhalb des für seinen Anspruch erheblichen Geschehensablaufs steht, der Anspruchsgegner aber alle wesentlichen Tatsachen kennt. In diesem Fall genügt ein einfaches Bestreiten der Behauptung der anderen Partei nicht, sofern dem Anspruchsgegner nähere Angaben zuzumuten sind (OLG Köln, Beschluss vom 03.01.2019, 18 U 70/18 – zitiert nach juris).
Unter Anwendung dieser Grundsätze hat der Kläger hinreichend substantiiert dargetan, dass leitende und eigenverantwortlich handelnde Mitarbeiter der Beklagten neben dem Vorstand Kenntnis von der manipulierten Motorsteuerungssoftware gehabt haben, ohne dass die Beklagte dem unter Berücksichtigung ihrer sekundären Darlegungslast hinreichend entgegengetreten ist.
Der Vorstand hat das Unternehmen den gesetzlichen Bestimmungen gemäß zu organisieren und zu führen. Dazu gehören Berichtspflichten gegenüber dem Vorstand im Hinblick auf alle wesentlichen Entscheidungen und die Gewährleistung ihrer Einhaltung durch Kontrollmaßnahmen. Es liegt daher nahe, dass dem Vorstand oder Teilen des Vorstandes der Beklagten die manipulierende Funktion der Motorsteuerung zur Verwendung auf dem NEFZ-Prüfstand zur Erreichung der EG Typengenehmigung sowie das Inverkehrbringen eines gesetzeswidrigen Fahrzeuges bekannt gewesen sind. Dies gilt umso mehr, als die Beeinflussung der Motorsteuersoftware einer ganzen Motorenreihe für eine bedeutende Anzahl von Fahrzeugen hinsichtlich ihres Entwicklungsaufwandes in technischer und finanzieller Hinsicht eine strategisch wesentliche, vom Vorstand zu treffende Entscheidung darstellt. Zudem betrifft die Verwendung einer solchen Software eine äußerst große Menge an Motoren und den damit ausgestatteten Fahrzeugen. Es ist bereits kaum vorstellbar, dass dies eine Entscheidung eines in der Hierarchie untenstehenden einzelnen Entwicklers war. Es erschließt sich insofern auch keine nachvollziehbare Motivation einzelner Mitarbeiter, die – im Gegensatz zu der des auf Gewinnmaximierung interessierten Konzernvorstands – eine derartige Entscheidung plausibel machen könnte. Vor diesem Hintergrund wäre die Beklagte angesichts des konkreten Vortrags des Klägers zu der Beteiligung verantwortlicher Mitarbeiter der Beklagten auszahlreichen Abteilungen und Bereichen, insbesondere der Entwicklungsabteilung sowie der Einbindung der Vorstandsebene in den Entscheidungsprozess, die Motorsteuerungssoftware in allen einschlägigen Fabrikaten des Konzerns zu installieren und zu nutzen, gehalten gewesen, zu den internen Vorgängen, die dem Kläger als Käufer eines manipulierten Fahrzeugs naturgemäß nicht näher bekannt sein können, im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast vorzutragen. Der Kläger kann namentlich nicht näher dazu vortragen, in welcher konkreten Weise die Entscheidung zum Einsatz der Motorsteuerungssoftware getroffen wurde und wie diese intern weiter kommuniziert wurde. Dagegen ist die Beklagte bereits aus Compliance-Gesichtspunkten dazu verpflichtet, entsprechende Berichtswege vorzuhalten und Ermittlungsmaßnahmen zu ergreifen. Dementsprechend trägt sie auch vor, dass sie die Entstehung der zum Einsatz kommenden Software umfassend aufklären lässt. Der pauschale Verweis darauf, dass nach dem bisherigen Ermittlungsstand weiterhin keine Erkenntnisse vorlägen, dass einzelne Vorstandsmitglieder an der Entwicklung der Software beteiligt gewesen seien oder die Entwicklung oder Verwendung der Software des Dieselmotors EA 189 seinerzeit in Auftrag gegeben oder gebilligt hätten, genügt einem ordnungsgemäßen Sachvortrag indes nicht. Mit Blick darauf, dass diese interne Ermittlungsmaßnahme bereits seit mehreren Jahren andauert, ist es der Beklagten ohne Weiteres zumutbar, jedenfalls ihre bisherigen Ermittlungsergebnisse mitzuteilen. Denn ihre Einlassung, dass (noch) keine Erkenntnisse vorlägen, ist Ergebnis einer Wertung. Die Richtigkeit dieser Wertung lässt sich jedoch nur durch eine vollständige Offenlegung des bisherigen Ermittlungsergebnisses verifizieren. Indem sie ihre bisherigen Ermittlungsergebnisse jedoch vollständig unter Verschluss hält, verstößt die Beklagte gegen ihre sekundäre Darlegungslast, so dass ihr Bestreiten unbeachtlich ist.
- dd)
Durch das bewusste Inverkehrbringen der gesetzwidrig ausgestatteten Motoren ist auch von einem entsprechenden Schädigungsvorsatz auszugehen. Die Motorsteuerungssoftware kann nicht versehentlich eingebaut worden sein, sondern muss willentlich entwickelt und installiert worden sein. Ihre Wirkungsweise lässt allein den Rückschluss zu, dass die Manipulation des Messbetriebes im NEFZ-Prüfzyklus beabsichtigt war. Daraus folgt aber auch, dass den verantwortlichen Mitarbeitern der Beklagten bewusst war, dass der von ihr entwickelte Motortyp ohne die Softwarefunktion die gesetzlich geforderten Grenzwerte nicht einhält. Indem die Verantwortlichen die Motoren trotzdem produziert und in den Verkehr gebracht haben, haben sie die sich daraus ergebenden Schäden zumindest billigend in Kauf genommen, namentlich ihren Kunden über das Vertriebsnetz von Vertragshändlern infolge der Ausstattung mit den nichtgesetzeskonformen Motoren mangelhafte Fahrzeuge zu verkaufen und auf diese Weise ihren Kunden wirtschaftlichen Schaden zuzufügen.
- ee)
Das Verhalten der Beklagten verstößt gegen die guten Sitten.
Ein Verhalten ist sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl. aller billig und gerecht Denkenden verstößt. In diese rechtliche Beurteilung ist einzubeziehen, ob es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten, wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ Geltenden verwerflich machen (vgl. BGH, Urteil vom 03.12.2013, XI ZR 295/12 – zitiert nach juris). Sittenwidrig handelt insbesondere, wer eine Sache, von deren Mangelhaftigkeit er weiß, in der Vorstellung in den Verkehr bringt, dass die betreffende Sache von dem Erwerber in unverändert mangelhaftem Zustand an einen ahnungslosen Dritte, die in Kenntnis der Umstände von dem Geschäft Abstand nähmen, veräußert werden wird (OLG Köln, Beschluss vom 03.01.2019, 18 U 70/18 – zitiert nach juris).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Verhalten der Beklagten als sittenwidrig anzusehen. Die Täuschung durch die Beklagte diente dem Zweck, zur Kostensenkung (und möglicherweise zur Umgehung technischer Probleme) rechtlich und technisch einwandfreie, aber teurere – unter Umständen auch auf die Haltbarkeit der Motoren wegen einer dauerhaften Abgasrückführung nachteilige – Lösungen der Abgasreinigung zu vermeiden und mit Hilfe der scheinbar umweltfreundlichen Prüfstandwerte Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Andere Motive sind weder von der Beklagten dargelegt noch sonst ersichtlich. Dieses Gewinnstreben erfolgte unter Manipulation gesetzlich vorgeschriebener Prüfvorkehrungen und um den Preis der bewussten Täuschung und Benachteiligung sowie der Gefährdung der Umwelt und indirekt damit auch der Gesundheit von Menschen und anderen Lebewesen. Hinzu tritt, dass die Beklagte durch die Manipulation der Motorsteuerungssoftware einen Teil des Motors beeinflusst hat, den ein technischer Laie keinesfalls und selbst ein Fachmann nur mit Mühe durchschaut, so dass die Entdeckung der Manipulation mehr oder weniger vom Zufall abhing. Ein solches, von rücksichtslosem 10 Gewinnstreben gekennzeichnetes, die Genehmigungsbehörden und Käufer täuschendes Verhalten ist als sittenwidrig und verwerflich anzusehen. Diesem Ergebnis steht auch nicht die Erwägung entgegen, es sei allgemein bekannt und gehe auf eine gesetzgeberische Entscheidung zurück, dass die für den Erhalt der Typengenehmigung gemessenen Emissionswerte von den Werten im Realbetrieb abweichen. Denn der konkrete Vorwurf liegt darin, dass dieses – mit Werten im Realbetrieb nicht vergleichbare – Verfahren zusätzlich so manipuliert wurde, dass auch die Prüfergebnisse als solche nicht mit dem normalen Prüfverfahren übereinstimmen. Wenn auch ordnungsgemäße Prüfergebnisse nicht die reale Abgasbelastung widerspiegeln, so bieten sie doch eine Vergleichsmöglichkeit zwischen verschiedenen Herstellern. Diese Vergleichsmöglichkeit entfällt, wenn einzelne Teilnehmer Testbedingungen manipulieren. Insofern ist der Käufer des Fahrzeugs auch nicht abstrakt über eine Prüfverordnung sondern unmittelbar in der weiteren Nutzung seines Wirtschaftsguts betroffen. Der Käufer erhält mit Wissen und Wollen des Herstellers ein mangelhaftes Produkt. Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang weiterhin, dass die Motorsteuerungssoftware gegebenenfalls mit wenig Aufwand neu konfiguriert werden konnte. Denn der Schaden des Käufers besteht – wie noch im · Einzelnen auszuführen ist – bereits in dem Erwerb des mit der manipulativ wirkenden Software zur Motorsteuerung ausgerüsteten Fahrzeugs. Diese Beeinflussung des freien Willensentschlusses konnte auch durch das nachträgliche Softwareupdate nicht ungeschehen gemacht werden.
- b)
Als Rechtsfolge des Schadensersatzanspruchs ist der Kläger so zu stellen, wie er ohne die Täuschung gestanden hätte. Der Kläger hätte – wie jeder verständige, Risiken vermeidende Kunde – bei Kenntnis des Sachverhalts und der damit verbundenen Risiken für den Fortbestand der Betriebserlaubnis den Vertrag nicht, jedenfalls nicht zu dem vereinbarten Kaufpreis geschlossen. Die Beklagte muss danach die wirtschaftlichen Folgen des Kaufs ungeschehen machen. Dies erfordert die Erstattung des vom Kläger in Erfüllung seiner kaufvertraglichen Verpflichtungen gezahlten Kaufpreises von: 17.900,- € abzüglich des nachfolgend dargestellten Vorteilsausgleichs von 7.029,43 € und somit von 10.870,57 €. Die Rückzahlung hat Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu erfolgen.
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Der Kläger muss sich nämlich nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung die von ihm gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. Diese sind aus der in der mündlichen Verhandlung unstreitig gestellten Laufleistung des Fahrzeugs von 122.000 km am 01.07.2019 gemäß § 287 ZPO zu schätzen. Am Tag der mündlichen Verhandlung legt das Gericht der Schätzung der Nutzungsentschädigung einen maximalen Kilometerstand von 122.000 zugrunde. Unter Annahme einer seitens der Kammer geschätzten Gesamtlaufleistung des Gebrauchtfahrzeugs von 250.000 km und den vom Kläger gefahrenen 82.771 km ergibt sich nach der Formel Bruttokaufpreis multipliziert mit gefahrenen Kilometern, dividiert durch die zu erwartende Restlaufleistung ein Nutzungsersatz von 7.029,43 €.
Der Anspruch auf Zahlung von Zinsen beruht auf §§ 288, 291 BGB.
Ein darüber hinaus gehender Zinsanspruch gemäß § 849 BGB besteht nicht. Denn § 849 BGB enthält keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass ein Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung vom Zeitpunkt seiner Entstehung an mit dem gesetzlichen Zinssatz zu verzinsen ist. Die Verzinsung ist vielmehr die Ausnahme und auf die dort geregelten Fälle der Entziehung oder Beschädigung einer Sache beschränkt.
- Es ist allerdings nicht festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des streitgegenständlichen VW Tiguan gemäß §§ 293, 294, 295 BGB in Annahmeverzug befindet. Ein Vortrag des Klägers, wann und in welcher Form der der Beklagten ein den Annahmeverzug begründendes Angebot unterbreitet hat, fehlt.
- Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf $$ 92 Absatz 1 Satz 1, 708 Nummer 11, 709, 711 ZPO.
III. Der Streitwert wird auf 13.881,28 € festgesetzt.
12 Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
- wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder 2. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Landgericht zugelassen worden ist. Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Oberlandesgericht Köln, Reichenspergerplatz 1, 50670 Köln, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils (Datum des Urteils, Geschäftsnummer und Parteien) gegen das die Berufung. gerichtet wird; sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Oberlandesgericht Köln zu begründen.
Die Parteien müssen sich vor dem Oberlandesgericht Köln durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr: Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere. elektronische Behördenpostfach (BGBI. 2017 1, S. 3803) eingereicht werden. Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.
Schulze
Beglaubigt Urkundsbeamter/in der Geschäftsstelle Landgericht Aachen
ANDGERIA
ittit
NORDRE
ALEN
N-WES
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