Das Urteil im Volltext
—, Kläger –
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte DR. GHENDLER & RUVINSKIJ, Aachener Straße 1, 50674 Köln, Gz.: —
gegen
Volkswagen AG, vertreten durch den Vorstand, dieser vertreten durch Herbert Diess, Oliver Blume, Jochem Heizmann, Gunnar Kilian, Andreas Renschler, Stefan Sommer, Hiltrud D. Werner, Frank Witter, Berliner Ring 2, 38440 Wolfsburg – Beklagte –
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte KSP Kanzlei Dr. Seegers, Dr. Frankenheim, Rechtsanwaltsges.mbH, Kaiser-Wilhelm-Straße 40, 20355 Hamburg, Gz.: VT1925484
wegen Schadensersatz erlässt das Landgericht Bamberg – 1. Zivilkammer – durch den Richter am Landgericht Wittig als Einzelrichter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 03.04.2019 folgendes
Endurteil
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 19.123,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.01.2019 binnen sieben Tage des Pkws VW Touran 2.0 TDI mit der Fahrzeugindentifikationsnummer: — zu bezahlen. Es wird festgestellt, dass die Beklagte sich mit der Entgegennahme des Fahrzeugs VW
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Touran 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer: — in Annahmeverzug befindet.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 14 % und die Beklagte 86 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird bis 01.04.2019 auf 22.949,96 € und ab 02.04.2019 auf 22.197,97 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. „VW-Abgasskandal”.
Der Kläger erwarb am 05.12.2014 über das Autohaus Pillenstein GmbH in Fürth einen Gebrauchtwagen, VW Touran 2.0 TDI zum Preis von 28.950,00 €, ein Pkw, der von der Beklagten entwickelt, produziert und in Verkehr gebracht worden ist. Die Laufleistung betrug bei Erwerb durch den Kläger 17.450 km. Der aktuellen km-Stand bei Schluss der mündlichen Verhandlung betrug 113.354 km. Das Fahrzeug wurde bei Kauf finanziert. Die Finanzierung ist zwischenzeitlich vollständig getilgt.
Der in dem Fahrzeug verbaute Dieselmotor des Typs EA 189 verfügt über eine Software, die Stickoxidwerte (NOx) im Prüfstandlauf optimiert (sog. Umschaltlogik). Sie erkennt, wenn das Fahrzeug den „Neuen Europäischen Fahrzyklus“ (NEFZ) durchfährt und schaltet das regulär im
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Betriebsmodus 0 (Straßenbetrieb) betriebene Fahrzeug dann in den Betriebsmodus 1, in dem der Ausstoß von Stickoxiden dadurch verringert wird, dass mehr Abgas über die Abgasrückführung in den Ansaugtrakt des Motors zurückgeführt wird. Dadurch werden auf dem Prüfstand geringere Stickoxidwerte (NOx) erzielt und es konnten im Testzyklus die nach der Euro-5-Abgasnorm (Verordnung (EG) 715/2007 vom 20.06.2007) vorgegebenen Werte eingehalten werden.
Das Fahrzeug erhielt folglich auch die EG-Typengenehmigung und wird von der Beklagten seit dem massenhaft in den Verkehr gebracht.
Im Jahre 2015 erließ das Kraftfahrtbundesamt (im Folgenden: KBA) einen – inzwischen bestandskräftigen – Bescheid, wonach es feststellte, dass es sich bei der geschilderten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 i.V.m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/007 handele und in dem es den Rückruf der Fahrzeuge anordnete, die in einen Zustand zu bringen sind, der den öffentlich-rechtlichen Normen entspricht. Seitens der Beklagten wird – in Abstimmung mit dem KBA – eine technische Überarbeitung mittels Software-Update angeboten, dessen Funktionsweise, Kosten und Auswirkungen zwischen den Parteien streitig sind.
Das Fahrzeug durfte seit Anordnung des Rückrufs weiter im Straßenverkehr genutzt werden.
Der Kläger hat das Software-Update inzwischen aufspielen lassen.
Der Kläger stützt seine Klage auf Ansprüche nach §§ 826, 31 BGB; §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. § 263 StGB; §§ 823 Abs. 2, 31 BGB.
Er ist der Meinung, bei der sog. Umschaltlogik handele es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 i.V.m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007. Die Beklagte habe – auch auf Vorstandsebene – Kenntnisse über die Manipulationssoftware gehabt.
Der Kläger ist der Meinung, dass die erteilte Typengenehmigung von Anfang an und auch nach Aufspielen des Updates unwirksam sei – das Fahrzeug befinde sich weiterhin in einem nicht zulassungsfähigen Zustand, so dass das Risiko bestehe, dass das Fahrzeug mangels Genehmigung stillgelegt werde.
Insbesondere über das Bestehen der Typengenehmigung, aber auch über andere Punkte, wie die Schadstoffwerte sei von der Beklagten getäuscht worden.
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In Kenntnis der gesamten Thematik hätte er das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben. Soweit er sich Nutzungen anrechnen lassen müsse, sei von einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs in Höhe von 350.000 km auszugehen. Der Kläger behauptet, er habe bis zum Zeitpunkt der Klage auf die Finanzierung Zinsen in Höhe von 1.586,77 € geleistet. Mit Schriftsatz vom 01.04.2019 ( BI. 183 ff. d.A.) erklärte der Kläger die Klage bezüglich Antrag Ziffer 1 in Höhe von 751,99 Euro für erledigt. Die Beklagte schloss sich der Teilerledigterklärung in der mündlichen Verhandlung an.
Der Kläger beantragt nunmehr,
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 20.611,39 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB, mindestens jedoch 4 % p.a. ab Rechtshängigkeit binnen sieben Tagen nach Übergabe des Fahrzeugs VW Touran 2,0 TDI, Fahrzeug-Ident.-Nr. –, zu zahlen.
- Die Beklagte wird verurteilt, Zinsen in Höhe von 4 % p.a. ab dem 05.12.2014 bis Rechtshängigkeit auf einen Betrag in Höhe von 28.9500,00 Euro zu zahlen.
- Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 1.586,77 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
- Es wird festgestellt, dass die Beklagte sich mit der Entgegennahme des Fahrzeugs aus dem Antrag zu 1) in Annahmeverzug befindet.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Meinung, die Umschaltlogik stelle bereits keine unzulässige Abschalteinrichtung dar, da die Software nicht Bestandteil des Emissionskontrollsystems sei und auch nicht im realen Fahrbetrieb auf dieses einwirke – vielmehr handele es sich um eine bloße innermotorische Maßnahme (Abgasrückführung in den Ansaugtrakt des Motors), die von den nachgelagerten Maßnahmen der Abgasreinigung zu unterscheiden sei.
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Die Beklagte meint weiter, der Sachvortrag des Klägers zur Kenntnis der Beklagten sei unsubstantiiert. Jedenfalls sei die Behauptung des Klägers unzutreffend, die Entwicklungsabteilung der Beklagten habe nicht ohne Kenntnis des Vorstandes entschieden, die betreffende Software zu
verwenden.
Die erteilte Typengenehmigung sei wirksam und das Fahrzeug weiterhin technisch sicher und uneingeschränkt gebrauchstauglich.
Sowohl mangels Einbindung der Beklagten in den Verkaufsvorgang als auch ansonsten seien keinerlei Täuschungen durch die Beklagte erfolgt, insbesondere nicht bzgl. der Typengenehmigung, der Nutzbarkeit des Fahrzeugs oder der Schadstoffwerte.
Angesichts der fortbestehenden Nutzbarkeit und des geringen Update-Aufwands sei auch mit Nichtwissen zu bestreiten, dass der Kläger den Kaufvertrag überhaupt nicht geschlossen hätte, wenn er von der Existenz der Software gewusst hätte.
Bezüglich der Anrechnung von Nutzungen sei von einer deutlich geringeren Gesamtlaufleistung – nach ständiger Rechtsprechung seien dies 200.000 bis 250.000 km – auszugehen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 03.04.2019 (BI. 186 ff. d.A.) und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat im wesentlichen Erfolg.
Die Klage ist zulässig.
Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Bamberg folgt aus § 32 ZPO.
Der Kläger begehrt Schadensersatz gestützt auf deliktische Normen, wobei zum zuständigkeits
begründenden Begehungsort im Sinne von § 32 ZPO auch der Ort gehört, wo der schädigende Erfolg eingetreten ist, wenn der Schaden Tatbestandsmerkmal der Anspruchsnorm ist (vgl.
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Zöller/Schultzky, 32. Aufl. 2018, § 32 Rn. 19). Dies ist jedenfalls bei § 826 BGB – auf den sich der Kläger berufen hat – der Fall.
Der schädigende Erfolg ist dabei hier am Wohnsitz des Klägers eingetreten (vgl. BeckOK – ZPO I Touissant, 24. Edition, $ 32 Rn. 12.1) – mithin im Bezirk des Landgerichts Bamberg.
Die Klage ist weitgehend begründet.
Dem Kläger stehen gegen die Beklagte Ansprüche auf Schadensersatz in Höhe von 19.123,70 € sowie auf Zahlung von Zinsen binnen sieben Tagen nach Übergabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu.
Die Voraussetzungen dieser Norm – wonach derjenige, der durch ein als sittenwidrig zu qualifizierendes, vorsätzliches Verhalten eines anderen einen Schaden erlitten hat, Anspruch auf Ersatz dieses Schadens hat – liegen vor (so im Ergebnis – mit in Einzelheiten divergierenden Begründungen – auch eine Vielzahl anderer aktueller landgerichtlicher Entscheidungen, etwa: LG Heilbronn, Urteil vom 22.05.2018 – 6 0 35/18; LG Kiel, Urteil vom 18.05.2018 – 12 0 371/17; LG Hamburg, Urteil vom 18.05.2018 – 308 O 308/17; LG Bonn, Urteil vom 07.03.2018 – 19 O 327/17; LG Krefeld, Urteil vom 28.02.2018 – 70 10/17; LG Köln, Urteil vom 26.02.2018 – 19 O 109/17; LG Duisburg, Urteil vom 19.02.2018 – 10 178/17; LG Düsseldorf, Urteil vom 09.02.2018 -7 0 212/16; LG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2018 – 19 O 68/17; LG Wuppertal, Urteil vom 16.01.2018 – 40 295/17; LG Arnsberg, Urteil vom 12.01.2018 – 2 0 134/17; LG Bochum, Urteil vom 29.12.2017 – 6 0 96/17; LG Essen, Urteil vom 19.10.2017 – 90 33/17; LG Bielefeld, Urteil vom 16.10.2017 -6 0 149/16; LG Mainz, Urteil vom 27.07.2017 -4 0 196/16; LG Mönchengladbach, Urteil vom 11.07.2017 – 10 320/16; LG Lüneburg, Urteil vom 29.06.2017 – 30 204/16, die in der Folge vielfach in Bezug ge nommen und zum Teil wörtlich zitiert werden).
Im Einzelnen:
Dem Kläger ist durch den Erwerb des streitgegenständlichen Pkws VW Touran ein Schaden im Sinne von § 826 BGB entstanden.
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Ein Schaden im Sinne von § 826 BGB ist nicht nur jede nachteilige Einwirkung auf die Vemögenslage, in dem Sinne, dass sich bei dem vorzunehmenden Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre, ein rechnerisches Minus ergibt. Der Schadensbegriff des § 826 BGB ist viel mehr subjektbezogen, so dass bei wertender Betrachtung Vermögensminderungen oder nachteilige Einwirkungen auf die Vermögenslage umfasst sind, wie – bei Eingriff in die Dispositionsfreiheit – die Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung oder die Vermögensgefährdung durch Eingehung eines nachteiligen Geschäfts (BGH, Urteil vom 19.07.2004 – || ZR 402/02 = zitiert nach juris; BGH, Urteil vom 21. Dezember 2004 – VI ZR 306/03 = BGHZ 161, 361 BGH, Urteil vom 28. Oktober 2014 – VI ZR 15/14 = zitiert nach juris; Münchener Kommentar zum BGB / Wagner, 7. Aufl., § 826 Rn. 41ff.). Dabei ist bei dem Abschluss von Verträgen unter Eingriff in die Dispositionsfreiheit maßgeblich auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen, nicht auf die tatsächliche Realisierung eines Schadens zu einem späteren Zeitpunkt (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2011 – XI ZR 51/10 = BGHZ 192, 90).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze – denen das Gericht folgt – stellt bereits die Tatsache, dass der Kläger aufgrund des Verschweigens der Beklagten über den Einsatz der Umschaltlogik bzw. der Motorsteuerungssoftware einen für ihn ungewollten wirtschaftlich nachteiligen Vertrag (Anlage K 1) mit dem Autohaus Pillenstein geschlossen hat, einen derartigen Schaden dar, da sein Vermögen bereits dadurch – unabhängig von einem messbaren Vermögensnachteil durch einen entstehenden Wertverlust – mit einer ungewollten Verbindlichkeit negativ belastet ist.
Die wirtschaftliche Nachteiligkeit des Vertrages für den Kläger ergibt sich dabei schon daraus, dass der Kläger nicht das erhalten hat, was ihm nach dem Kaufvertrag zustand, nämlich ein technisch einwandfreies, den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes Fahrzeug.
Stattdessen hat der Kläger einen Vertrag über einen Pkw geschlossen, der zwar formal über eine erteilte EG-Typgenehmigung verfügte, in den aber gleichzeitig eine unzulässige Abschaltvorrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 i.V.m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 eingebaut war, die einer Zulassung objektiv entgegenstand.
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Die objektiven Zulassungsvoraussetzungen in Bezug auf Abschaltvorrichtungen ergeben sich aus folgenden Normen:
Gemäß Art. 10 Abs. 1 EG-VO 715/2007 erteilt die nationale Zulassungsbehörde die Typgenehmigung, wenn das betreffende Fahrzeug den Vorschriften der Verordnung und ihrer Durchführungs bestimmungen entspricht. Gemäß § 4 Abs. 4 der Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge (EG-FGV) darf eine EG-Typgenehmigung nur erteilt werden, wenn die erforderlichen Prüfverfahren ordnungsgemäß und mit zufriedenstellenden Ergebnis durchgeführt wurden.
Nach Art. 5 Abs. 1 EG-VO 715/2007 hat der Hersteller das Fahrzeug so auszurüsten, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Gemäß Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Nach Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007 ist eine „Abschalteinrichtung“ ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
(2)
Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügte nach Auffassung des Gerichts über eine unzulässige Abschalteinrichtung im derartigen Sinne, so dass die Voraussetzungen für die Erteilung der EG-Typgenehmigung nicht vorliegen.
Die von der Beklagten geschilderte Umschaltlogik – d.h. der Betrieb in zwei verschiedenen Betriebsmodi, bei Rückführung von Emissionen aus dem Verbrennungsprozess durch eine Abgasrückführung teilweise wieder in den Verbrennungsprozess hinein – ist Teil eines Emissionskontrollsystems im Sinne von Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007. Die Emissionen werden ersichtlich kon trolliert und gesteuert: Die Motorsteuerung, die den Prüfzyklus erkennt, schaltet im Modus 0 (regulärer Straßenbetrieb) die Abgasrückführung, die der Kontrolle der Emissionen und der Reduzierung des Schadstoffausstoßes dient, ab.
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Soweit die Beklagte dies durch eine Unterscheidung zwischen „so genannten innermotorischen Maßnahmen” und denjenigen der „Abgasreinigung im Emissionskontrollsystem“ in Zweifel zieht, „lässt sich eine derartige Unterscheidung der Verordnung nicht entnehmen und widerspricht offensichtlich deren Zweck. Die Emissionskontrolle im Sinne der Verordnung ist nicht auf die Abgasreinigung beschränkt. Durch die Rückführung eines Teils der Abgase (Emissionen) in den Verbrennungsprozess im Motor werden die Emissionen kontrolliert. Durch die Fahrzykluserkennung wird dieser Teil des Kontrollsystems abgeschaltet. Die Auslegung der Beklagten widerspricht auch offensichtlich dem Zweck der Verordnung, wonach das Testverfahren möglichst das Verhalten des Fahrzeugs unter normalen Betriebsbedingungen widerspiegeln soll. So schreibt Art. 5 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausdrücklich vor, dass der Hersteller das Fahrzeug so auszurüsten hat, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Erwägungsgrund 15 der Verordnung weist auf das Ziel hin, dass die bei den Typgenehmigungsprüfungen gemessenen Emissionen denen im praktischen Fahrbetrieb entsprechen sollen. Die Motorsteuerung der Beklagten
knüpft demgegenüber nicht an bestimmte Betriebszustände oder Umweltbedingungen an, sondern ausschließlich an die Feststellung des NEFZ, zielt also bewusst auf eine Steue rung der Emissionen für den Ausnahmefall der Genehmigungsprüfung.“ (so zutreffend LG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2018 – 19 O 68/17 = zitiert nach juris; inhaltlich ebenso beispielhaft: LG Krefeld, Urteil vom 19.07.2071 – 7 0 147/16 = zitiert nach juris, LG Hildesheim, Urteil vom 17.01.2017 – 3 0 193/16 = zitiert nach juris; LG Offenburg, Urteil vom 12.05.2017 – 6 O 199/16 = zitiert nach juris; LG Düsseldorf – Urteil vom 09.02.2018 – 70 212/16 = zitiert nach juris).
Die durch den wirtschaftlich nachteiligen Vertrag begründete Verbindlichkeit war für den Kläger ersichtlich auch ungewollt: Dies folgt schon daraus, dass bei verständiger Würdigung und unter lebensnaher Betrachtung kein durchschnittlich informierter und wirtschaftlich vernünftig denkender Kunde ein Fahrzeug mit dieser Motorsteuerungssoftware erwerben würde, wenn die Beklagte (oder der Verkäufer) ihn vor
dem Kauf darauf hinweisen würde, dass die Software nicht gesetzeskonform ist und er deshalb jedenfalls für den Fall der Entdeckung der Manipulation durch das KBA (wenn auch erst in einigen Jahren) mit Problemen bis hin zum Entzug der Zulassung rechnen muss.
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Ein Durchschnittskäufer kann und muss nicht davon ausgehen, dass die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte nur deshalb eingehalten und entsprechend attestiert werden, weil eine Software installiert worden ist, die dafür sorgt, dass der Prüfstandslauf erkannt wird und über eine entsprechende Programmierung der Motorsteuerung in gesetzlich unzulässiger Weise insbesondere der Stickoxidausstoß reduziert wird.
Insoweit kann auch zwanglos davon ausgegangen werden, dass die Gesetzmäßigkeit des Fahrzeugs schon allein wegen des Einflusses der Manipulation auf die Schadstoffklasseneingruppierung – mit den damit verbundenen steuerlichen und sonstigen Folgen – und die Zulassung des Fahrzeugs für die Kaufentscheidung immer von Bedeutung ist, ohne dass es auf konkrete Äußerungen im Verkaufsgespräch ankäme (so auch LG Arnsberg, Urteil vom 14.06.2017 – 10 227/16 = zitiert nach juris; LG Kleve, Urteil vom 31.03.2017 – 30 252/16 = zitiert nach juris).
Bei gehöriger Aufklärung hätte er vielmehr erkannt, dass sich aus der geschilderten Problematik die Gefahr der Stilllegung des Fahrzeugs sowie die Gefahr eines massiven Wertverlustes der Kaufsache ergeben und vom Kauf abgesehen (wofür nach Auffassung des LG Duisburg, Urteil vom 19.02.2018 -1 0 178/17= zitiert nach juris bereits ein Anscheinsbeweis spricht), zumal zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses nicht absehbar gewesen wäre, dass die Beklagte kurzfristig in der Lage ist, ein Software-Update zu entwickeln, dass tatsächlich die Zulassungsfähigkeit herstellt ohne negative Auswirkungen für das Fahrzeug mit sich zu bringen. Selbst das jetzt vorliegende Update berücksichtigt nach dem Vortrag der Beklagten die Erkenntnisse aus der Weiter entwicklung des Diesel-Brennverfahrens der letzten zehn Jahre, die damals noch gar nicht vorlagen. Auch der Käufer eines Gebrauchtfahrzeuges erwartet regelmäßig, dass er sein Fahrzeug
dauerhaft und uneingeschränkt nutzen kann und er sich nicht zu einem ungewissen Zeitpunkt in der Zukunft damit konfrontiert sieht, dass ein Entzug der Zulassung und bei Weiterveräußerung des Fahrzeugs ein massiver Wertverlust droht.
Objektive Anhaltspunkte dafür, dass dies im konkreten Fall ausnahmsweise anders war- der Kläger das Fahrzeug mithin auch in Kenntnis der Umschaltlogik zu den vereinbarten Konditionen erworben hätte – sind weder vorgetragen, noch ersichtlich.
Soweit von Beklagtenseite und teilweise auch in der Rechtsprechung (vgl. LG Köln, Urteil vom 07.10.2016 – 70 138/16 LG Ellwangen, Urteil vom 10.06.2016 – 5 0 385/15 LG Braunschweig, Urteil vom 19. Mai 2017 – 11 O 4153/16 – jeweils zitiert nach juris) die Auffassung vertreten wird, eine Haftung nach § 826 BGB scheide schon deshalb aus, weil die Verordnung (EG) Nr.
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715/2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen, gegen die die Beklagte durch den Einsatz der Software und die Manipulation des Prüfungsverfahrens verstoßen hat, nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen, sondern gesamtgesellschaftlichen Zielen diene, und deshalb Vermögensschäden im Zusammenhang mit dem Verstoß der Beklagten nicht unter den Schutzbereich des § 826 BGB fielen, folgt das Gericht dieser Auffassung nicht.
„Die Haftung aus § 826 BGB hängt nicht davon ab, auf welchem Weg und unter Verstoß gegen welche gesetzlichen Vorschriften der Schädiger gehandelt hat (vgl. LG Hildesheim, Urteil vom 17.01.2017 – 3 0 139/16; LG Frankfurt (Oder), Urteil vom 17.07.2017 –
13 O 174/16 – jeweils zitiert nach juris). Es steht auch nicht zu befürchten, dass es andernfalls zu einer Ausuferung der Haftung kommen würde: Der Schädiger haftet allein für die durch seine sittenwidrige Schädigung verursachten Vermögensschäden, der Kreis der Ersatzberechtigten wird dadurch eingegrenzt, dass der Schädiger hinsichtlich der Schädigung mit Vorsatz handeln muss (s.u.) und dadurch diejenigen Personen, deren
Vermögensschäden zu ersetzen sind, von vornherein ausreichend genau bestimmt werden; erfasst werden im vorliegenden Fall nämlich nur die Erwerber der von der Manipulation betroffenen Fahrzeuge. Im Übrigen übersieht die vorzitierte Rechtsauffassung, dass der Beklagten nicht allein ein Verstoß gegen das Genehmigungsverfahren anzulasten ist, sondern insbesondere, dass sie der Allgemeinheit und den betroffenen Fahrzeugkäufern durch ihre öffentlichen Angaben und die – von ihr zu verantwortenden Übereinstimmungsbescheinigungen – suggeriert, dass die Fahrzeuge bestimmte technische Eigenarten aufweisen, die tatsächlich nicht gegeben sind. Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB hängt schließlich auch nicht davon ab, ob der Käufer seinen Vermögensschaden von einer anderen Person ersetzt verlangen kann. Das Bestehen von kaufrechtlichen Ansprüchen gegen den Verkäufer schließt deliktische Ansprüche gegen einen Dritten nämlich keinesfalls aus.“ (so zutreffend LG Duisburg, Urteil vom 19.02.208 -10 178/17 = zitiert nach juris; sowie inhaltlich ebenso LG Hildesheim, Urteil vom 17.01.2017 – 3 0 139/16 LG Frankfurt (Oder), Urteil vom 17.07.2017 – 13 O 174/16 – jeweils zitiert nach juris).
Der Schaden des Klägers beruht auch auf einem Verhalten der Beklagten.
Diese hat das streitgegenständliche Fahrzeug, insbesondere den Motor mit Abschalteinrichtung produziert, sich durch das Vorspiegeln scheinbar zulässiger Emissionswerte gegenüber dem KBA die EG-Typgenehmigung erschlichen und das Fahrzeug schließlich – im konkreten Fall mit tels selbständigem Verkäufer – so vertreiben lassen, dass es in den Verkehr gelangt.
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Dieses Verhalten war für den Schadenseintritt (Eingehung des wirtschaftlich nachteiligen und ungewollten Vertrages) auch unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Norm adäquat kausal, wobei hier dahinstehen kann, wie dies im Fall eines Gebrauchtwagenkaufs zu bewerten ist (zu letzterem insb. LG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2018 – 19 O 68/17 = zitiert nach juris). Das Verhalten der Beklagten ist als sittenwidrig zu qualifizieren.
Ein Verhalten ist sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (st. Rspr. seit RGZ 48, 114, 124). In diese rechtliche Beurteilung ist einzubeziehen, ob die Handlung nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist (vgl. BGH, Urteil vom 06.05.1999 – VII ZR 132/97, BGHZ 141, 357, 361 Urteil vom 19.07.2004 – || ZR 402/02, BGHZ 160, 149, 157; Urteil vom 03.12.2013 – XI ZR 295/12, WM 2014, 71, Rn. 23 m. w. N.). Für die Annahme einer Sittenwidrigkeit genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.2013 – VI ZR 124/12, NJW 2014, 1380, Rn. 8 m.w.N.). Ein Unterlassen verletzt die guten Sitten nur dann, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Hierfür reicht die Nichterfüllung einer allgemeinen Rechtspflicht, aber auch einer vertraglichen Pflicht nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als “anständig” Geltenden verwerflich machen (vgl. BGH, Urteil vom 19.10.2010 – VI ZR 124/09, WM 2010, 2256, Rn. 12 Urteil vom 20.11.2012 – VI ZR 268/11, WM 2012, 2377, Rn. 25 jeweils m. w. N.). Dabei kann es auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Sie kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15 -, Rn. 16, juris). Bezüglich des Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden kommt es wesentlich auf die berechtigten Verhaltenserwartungen im Verkehr an (Staudinger/Oechsler BGB (2014) S 826, Rn. 31).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze – denen das Gericht folgt – ist das Verhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren:
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Die berechtigten Verkehrserwartungen gehen dahin, dass ein Autohersteller sich gewissenhaft an die Regeln hält, denen er im Rahmen des Zulassungsverfahrens unterliegt, und er sich nicht durch falsche Angaben zu wichtigen zulassungsrelevanten Eigenschaften eine Typgenehmigung erschleicht. Dabei wird eine sehr hohe Sorgfalt erwartet, weil das Handeln von einer großen Tragweite sowohl für die Mobilität als auch das Vermögen der einzelnen (zigtausend bis Millionen) Kunden, als auch für die Umwelt (bei in großer Stückzahl produzierten Fahrzeugen hohen Aus
wirkungen auf die Umweltbelastung und damit wiederum für die Gesundheit der Allgemeinheit) ist
und Verstöße zu hohen Schäden führen können. „Den europäischen Normen entsprechend
erwartet der Verbraucher objektive und genaue, und somit wahrheitsgemäße Informationen.
Verbrauchs- und Emissionswerte haben allgemein eine hohe Bedeutung bei den Anschaffungsentscheidungen. Die allgemeine Verkehrserwartung geht auch dahin, dass sich ein Hersteller nicht durch falsche Angaben oder durch Manipulationen im Rahmen des Prüfverfahrens mit nicht vergleichbaren Werten Wettbewerbsvorteile verschafft. An die Redlichkeit werden besonders hohe Erwartungen gestellt, da der Verbraucher auf die Richtigkeit der Angaben durch den Hersteller angewiesen ist, weil er zu einer eigenen Überprüfung nicht in der Lage ist.
Gegen diese berechtigte Verkehrserwartung hat die Beklagte in einem erheblichen Maße verstoßen. Die Installation einer Abschalteinrichtung widersprach offensichtlich den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Ein Fahr- und Emissionsverhalten, das durch eine spezielle Steuerungssoftware allein auf das Prüfverfahren abgestimmt war und somit – wie die Beklagte selbst vorträgt – keine Rückschlüsse auf die tatsächlichen Eigenschaften im Normalbetrieb erlaubt, widersprach dem erkennbaren Zweck der Vorschrift und erfüllte die Zulassungsvoraussetzungen nicht. Unstreitig wurde die Beklagte durch den Hersteller
der Software, die Firma Bosch, vor dem gesetzeswidrigen Einsatz der Software gewarnt.
Das Handeln entgegen dieser Warnung verstärkt das Unwerturteil.
Bei der Beurteilung der Verwerflichkeit des Handelns ist der hohe Schaden, den die Beklagte verursacht hat, sowie das hohe Risiko für die zahlreichen Fahrzeugkäufer zu berücksichtigen, das die Beklagte in Kauf genommen hat. Der Beklagten war bewusst, dass sie die Anforderungen der Abgasnormen nicht ohne die unzulässige Abschalteinrichtung erfüllen konnte. Dies folgt bereits aus der Installation der Software, die speziell eine Motorsteuerung für den Prüfzyklus vorsah, und somit für die Prüfung nicht geeignete Emissionswerte erzeugte. Als Automobilhersteller war ihr weiter bekannt, dass sie keine rechts beständige EG-Typgenehmigung durch eine Täuschung im Prüfverfahren erhalten kann
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und somit die Gefahr des Widerrufs der EG-Typgenehmigung und der Allgemeinen Betriebserlaubnis für die Fahrzeuge bestand. Der dadurch drohende Schaden war angesichts der hohen Stückzahl der produzierten Motoren enorm. Die Inkaufnahme eines derartigen Schadens zum Zwecke des Gewinnstrebens enthält ein hohes Maß an Skrupellosigkeit. Gleichzeitig hat sich die Beklagte gegenüber ihren Mitbewerbern, die auf ordnungsgemäße Weise die Einhaltung der Anforderungen der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nachgewiesen haben, einen unerlaubten Wettbewerbsvorteil verschafft. Sie hat sich die Kosten der Entwicklung einer Technik gespart, die den Anforderungen der Vorschriften gerecht geworden wäre.“(so zutreffend LG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2018 – 19 O 68/17 = zitiert nach juris).
„Die daraus zu entnehmende Gesinnung, aus Gewinnstreben massenhaft die Käufer der
so produzierten Autos bei ihrer Kaufentscheidung zu täuschen, die Wettbewerber zu benachteiligen und die Umwelt so zu schädigen, dass Gesundheitsgefahren [für die Allgemeinheit] drohen, weil die Schadstoffwerte (NOx) erhöht werden, lässt das Verhalten insgesamt als sittenwidrig erscheinen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich bei der Anschaffung eines Fahrzeugs für einen Verbraucher in der Regel um eine wirtschaftliche Entscheidung von erheblichem Gewicht handelt und ein Verbraucher als technischer Laie die Manipulation nicht erkennen kann. Die Beklagte hat die Ahnungslosigkeit des Verbrauchers bewusst zu ihrem Vorteil ausgenutzt, was eine besonders verwerfliche Vorgehensweise darstellt. Mit der Motorsteuerungssoftware wurde mit erheblichem Aufwand ein System zur planmäßigen Verschleierung gegenüber Behörden und Verbrauchern ge schaffen, um den Umsatz und Gewinn durch die bewusste Täuschung zu steigern.“ (so zutreffend LG Krefeld, Urteil vom 28.02.2018- 70 10/17 = zitiert nach juris m. w. Nachweisen).
Die subjektive Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände war bei den handelnden Personen unzweifelhaft gegeben.
Die Beklagte hat dabei auch vorsätzlich gehandelt, wobei sie sich das Wissen und Verhalten ihrer Repräsentanten zurechnen lassen muss.
Die schädigende Handlung ist der Beklagten nach § 31 BGB (analog) zuzurechnen.
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Die Haftung einer juristischen Person setzt voraus, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht (BGH, Urteil vom 28.06.2016 – VI ZR 536/16 = zitiert nach juris).
Darüber hinaus wird der Anwendungsbereich des § 31 BGB bei Organisationsmängeln erweitert (Palandt – Ellenberger, BGB – Kommentar, 77. Aufl. 2018, § 31 Rn. 7), denn juristische Personen sind verpflichtet, den Gesamtbereich ihrer Tätigkeit so zu organisieren, dass für alle wichtigen Aufgabengebiete ein verfassungsmäßiger Vertreter zuständig ist, der die wesentlichen Entscheidungen selbst trifft. Entspricht die Organisation diesen Anforderungen nicht, muss sich die juristische Person so behandeln lassen, als wäre der tatsächlich eingesetzte Verrichtungsgehilfe ein verfassungsmäßiger Vertreter (vgl. BGH, Urteil vom 08.07.1980 – VI ZR 158/78 = NJW 1980, 2810).
Hier hat die Beklagte jedenfalls entgegen der sie treffenden sekundären Darlegungslast nicht dargelegt, dass sie den Organisationsanforderungen gerecht geworden ist.
Bei dem Einbau einer manipulierten Motorsteuerungssoftware – die zudem noch von einem Drittunternehmen entwickelt wird – handelt es sich offensichtlich nicht um das Augenblicksversagen eines einzelnen Mitarbeiters, sondern um eine wesentliche strategische Entscheidung mit enormer wirtschaftlicher Bedeutung – wie insbesondere die finanziellen Folgen des Abgasskandals zeigen – und Risiken, bei der millionenfach in den Motor (das „Herzstück“ des Fahrzeuges) einge griffen wird. Selbst wenn – wie die Beklagte vorträgt (zur Frage einer direkten Zurechnung unter einer sekundären Darlegungslast der Beklagten insoweit etwa LG Düsseldorf, Urteil vom 09.02.2018 – 7 0 212/16 = zitiert nach juris; LG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2018 = zitiert nach juris; LG Bonn, Urteil vom 07.03.2018 – 19 O 327/17 = zitiert nach juris) – kein Vorstandsmitglied
Kenntnis von dieser Entscheidung hatte, sondern diese weitreichende Entscheidung tatsächlich von Mitarbeitern unterhalb der Vorstandsebene auf nachgeordneter Arbeitsebene getroffen worden sein sollte, läge insoweit offenbar ein massives Organisationsdefizit vor, so dass sich die Beklagte so behandeln lassen muss, als wären die handelnden Mitarbeiter ihre verfassungsmäßigen Vertreter (so auch LG Essen, Urteil vom 28.08.2017 – 40 114/17 = zitiert nach juris; LG Düsseldorf, Urteil vom 09.02.2018 – 70 212/16 = zitiert nach juris).
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Die der Beklagten zuzurechnende Handlung war auch vorsätzlich, da die handelnden Personen jedenfalls Art und Richtung des Schadens (massenhafter Abschluss von Kaufverträgen über Fahrzeuge, deren EG-Typgenehmigung erschlichen war) und die Schadensfolgen (Begehr auf Rückgängigmachung des Kaufvertrages) vorausgesehen und zumindest billigend in Kauf genommen haben.
Als Rechtsfolge kann der Kläger Schadensersatz nach § 249 Abs. 1 BGB fordern – er hat mithin Anspruch darauf, so gestellt zu werden, als ob das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre.
Nachdem davon auszugehen ist, dass der Kläger bei Kenntnis des Sachverhalts und der damit verbundenen Risiken für den Fortbestand der Betriebserlaubnis einerseits und des Wertes des Fahrzeugs andererseits den Kaufvertrag über den streitgegenständlichen Pkw nicht geschlossen hätte und damit der Schaden bereits bei Eingehung des Vertrages bzw. mit Vertragsschluss entstanden ist, ist er so zu stellen, als hätte er den Vertrag nicht geschlossen. Er hat folglich Anspruch auf Zahlung des unstreitigen Kaufpreises in Höhe von 28.950,00 €, muss jedoch gleichzeitig im Wege des Vorteilsausgleichs das streitgegenständliche Fahrzeug an die Beklagte herausgeben und übereignen (dem ist in Form einer Zug um Zug Verurteilung Rechnung zu tragen) sowie sich die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen.
Dass der Kläger bereits das Software-Update aufgespielt hat (bzw. diese Möglichkeit überhaupt in Abstimmung mit dem KBA existiert und dazu führt, dass dauerhaft nicht mehr mit einem Entzug der Typengenehmigung zu rechnen ist), ist dies für die Schadensbeurteilung ohne Relevanz. Der Geschädigte muss sich vom Schädiger nicht das Festhalten an dem Vertrag aufdrängen las sen, zumal die (etwaig nachteiligen) Folgen des Software-Updates möglicherweise erst nach einem längeren Dauerbetrieb auftreten und nur mittels kostspieligen Sachverständigengutachtens
geklärt werden können (so auch LG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2018, 19 O 68/17 = zitiert nach juris).
Die Höhe des Nutzungsvorteils berechnet sich auf Grundlage der Formel Bruttokaufpreis x
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gefahrene km / Restlaufleistung (300.000 km minus 17.450 km = 282.550 km).
Hierbei geht das Gericht nach § 287 ZPO von einer Gesamtlaufleistung bei neuen PkW dieses Typs von 300.000 km aus, was bei einem neueren Dieselfahrzeug durchaus realistisch erscheint (so etwa auch LG Duisburg, Urteil vom 19.02.2018 – 10 178/17 = zitiert nach juris; LG Frankfurt (Oder), Urteil vom 17.07.2017 – 13 O 174/16 = zitiert nach juris; LG Krefeld, Urteil vom 12.07.2017 – 7 0 159/16 = zitiert nach juris; LG Tier, Urteil vom 07.06.2017 -5 0 298/16 = zitiert nach juris). Hiervon sind die bei Kauf des PkW bereits gefahrenen Kilometer in Abzug zu bringen, was eine Restlaufleistung von 282.550 km ergibt.
Die tatsächlich gefahrenen Kilometer bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung sind aus der Differenz zwischen Kilometerstand bei mündlicher Verhandlung (113.354 km) und Kilometer stand bei Erwerb des Fahrzeuges (17.450 km) zu ermitteln und betragen 95.904 km.
Dies ergibt eine Nutzungsentschädigung von 9.826,30 €, die mit dem Kaufpreis – ohne dass es einer Gestaltungserklärung oder Einrede des Schädigers bedarf (vgl. BGH, NJW 2015, 3160) – zu verrechnen ist.
Nachdem die Nutzung während der gesamten Besitzzeit des Klägers – trotz der Umschaltlogik – nicht beeinträchtigt war, kann aus dem bloßen Umstand der Mangelhaftigkeit nicht abgeleitet werden, dass Nutzungsentschädigung nicht geschuldet ist (so auch LG Hamburg, Urteil vom 18.05.2018 – 308 O 308/17 = zitiert nach juris).
Demnach ergibt sich ein Zahlungsanspruch von 19.123,70 €, sieben Tage nach Übergabe des streitgegenständlichen PkW an die Beklagte.
Insofern ist der Antrag des Klägers ungewöhnlich formuliert, bedeutet aber im Ergebnis nichts anderes als eine Verurteilung Zug um Zug nur mit weiterem Zahlungsaufschub für die Beklagte um sieben Tage.
Der Zinsanspruch in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz folgt seit 30.01.2019 aus §§ 288, 291 BGB.
Soweit im Ziffer 1. ein Antrag zur Verurteilung von mindestens 4 % enthalten war, kommt dies wegen vorstehender Zinsentscheidung nicht zum Tragen.
Darüberhinaus war festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Gegenleistung ge
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mäß Ziffer 1. des Klageantrags/Tenors in Annahmeverzug befindet (§ 256 S. 1 ZPO, § 293 f. BGB).
Ein den Annahmeverzug begründendes Angebot liegt mit der Klage vor. Der Kläger legt darin seine Berechnung der Nutzungsentschädigung unter Angabe der maßgeblichen Daten dar (Bl. 37 d.A.).
VII.
Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
Soweit der Kläger weitere Zinsen in Höhe von 4 % p.a. ab dem 05.12.2014 bis Rechtshängigkeit (29.01.2019) auf einen Betrag in Höhe von 28.9500,00 Euro fordert stehen ihm diese nicht zu, da der betreffende PkW bei Kauf finanziert war. § 849 BGB scheidet daher als Anspruchsgrundlage aus.
Auch in Bezug auf die weiter geforderten 1.586,77 € für gezahlte Kreditzinsen war die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat bestritten, dass der Kläger diesen Betrag tatsächlich gezahlt hat. Der beweisbelastete Kläger hat hierfür keinen Beweis angeboten.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 a, 92 Abs. 1 ZPO und den Anteilen am Obsiegen und Unterliegen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 709 S. 1 und 2, 711 ZPO.
Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen die Entscheidung, mit der der Streitwert festgesetzt worden ist, kann Beschwerde eingelegt werden, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt oder das Gericht die Beschwerde zugelassen hat.
Die Beschwerde ist binnen sechs Monaten bei dem Landgericht Bamberg Wilhelmsplatz 1
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96047 Bamberg
einzulegen.
Die Frist beginnt mit Eintreten der Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache oder der anderweitigen Erledigung des Verfahrens. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf der sechsmonatigen Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht.
Die Beschwerde ist schriftlich einzulegen oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle des genannten Gerichts. Sie kann auch vor der Geschäftsstelle jedes Amtsgerichts zu Protokoll erklärt werden; die Frist ist jedoch nur gewahrt, wenn das Protokoll rechtzeitig bei dem oben genannten Gericht eingeht. Eine anwaltliche Mitwirkung ist nicht vorgeschrieben.
Rechtsbehelfe können auch als elektronisches Dokument eingereicht werden. Eine einfache E-Mail genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht.
Das elektronische Dokument muss
- mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder – von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden.
Ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen ist, darf wie folgt übermittelt werden:
– auf einem sicheren Übermittlungsweg oder
- an das für den Empfang elektronischer Dokumente eingerichtete Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Gerichts.
Wegen der sicheren Übermittlungswege wird auf § 130a Absatz 4 der Zivilprozessordnung verwiesen. Hin sichtlich der weiteren Voraussetzungen zur elektronischen Kommunikation mit den Gerichten wird auf die Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERW) in der jeweils geltenden Fassung sowie auf die Internetseite www.justiz.de verwiesen.
gez.
Wittig Richter am Landgericht
Verkündet am 22.05.2019
gez.
Lang, JAng Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
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Für die Richtigkeit der Abschrift Bamberg, 17.07.2019
LANY
Ebitsch, JAng Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle Durch maschinelle Bearbeitung beglaubigt – ohne Unterschrift gültig
PERIO
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