Urteil im Abgasskandal, Landgericht Frankfurt / Main, Urteil vom 10.07.2019, Aktenzeichen: 2-13 O 4/19
In dem Rechtsstreit
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Kläger
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanw. KRAUS GHENDLER RUVINSKIJ, Aachener Str.1, 50674 Köln, Geschäftszeichen: 59206-18
gegen
Volkswagen AG vertr.d.d. Vorstand, Berliner Ring 2, 38440 Wolfsburg, Beklagte
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanw. KSP Kanzlei Dr. Seegers Dr. Frankenheim Rechtsanwalts ges.mbH, Kaiser-Wilhelm-Straße 40, 20355 Hamburg, Geschäftszeichen: VT1926816
hat die 13. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main durch Richter Wielk als Einzelrichter im aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29.05.2019 für Recht erkannt:
ZP 11 – Urschrift und Ausfertigung eines Urteils (–) – (11.09)2
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 14.366,56 EUR Zug-um-Zug gegen
Übergabe und Übereignung des Kraftfahrzeugs Audi A3 Cabrio 2,0 TDI mit der
Fahrzeugidentifikationsnummer — zu zahlen. 2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Zinsen aus einem Betrag von
20.400,00 EUR in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.02.2019 zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des unter Ziffer 1 beschriebenen Pkw in Annahmeverzug befindet.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.613,16 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.02.2019 zu zahlen.
5. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 110% des jeweils zu vollstrecken
den Betrages vorläufig vollstreckbar.
7. Der Streitwert wird auf 20.400,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche folgend aus dem „VW Abgasskandals“ geltend.
Die Beklagte ist eine Automobilherstellerin. In den Jahren 2006 und 2007 entwickelte sie Dieselmotoren mit der Bezeichnung EA 189, welche in die von ihr hergestellten Dieselfahrzeuge sowie solche anderer Unternehmen des VW-Konzerns, etwa der Audi AG, verbaut wurden. Die Beklagte ist Muttergesellschaft des VW-Konzerns. Sie bestimmt in dieser Funktion auch die Geschäftspolitik der weiteren Konzerntöchter. So erteilte sie etwa Weisungen hinsichtlich des Einbaus des Motors Typ EA 189 in Pkw der Tochtergesellschaften. Der Kläger erwarb am 30.01.2014 bei der Firma Schreiner & Wöllenstein GmbH & Co. KG den streitgegenständlichen Pkw Audi A3. Es handelte sich hierbei um einen Gebrauchtwagen, welcher zum Zeitpunkt des Erwerbs eine Laufleistung von 46. 150 km aufwies. Der Kaufpreis betrug 20.400,00 EUR. Der Kaufpreis wurde spätestens am 15.08.2015 gezahlt. Der streitgegenständliche Pkw ist vom „VW-Abgasskandal“ betroffen. Namentlich wurde in dem streitgegenständlichen Pkw ein Dieselmotor des Typs EA 189 verbaut. In diesen Motoren war eine von der Firma Bosch erstellte Software installiert, die den Schadstoffausstoß in verschiedenen Betriebsmodi regelte. So konnte in Prüfsituationen der Schadstoffausstoß reduziert werden, da die Software solche Situationen erkennen konnte. Dies bedingt durch die dort vorgenommenen ungewöhnlichen Fahrsituationen bzw. des schematischen Ablaufs. Die Software konnte dann, wenn eine solche Prüfsituation erkannt wurde, in einen gesonderten Modus umschalten, der den Schadstoffausstoß reduzierte. Die Software regelt insofern zwei Betriebsmodi, die die Abgasrückführung steuern und je nach Fahrsituation aktiviert werden. Der Modus 1, der in Testsituationen aktiv ist, bewirkt eine höhere Abgasrückführung. Der Modus 0, der im normalen Straßenverkehr aktiv ist, führt nicht zu einer solchen Abgasrückführung und führt daher zu einem erhöhten Schadstoffausstoß.
Die Entwicklungsabteilung der Beklagten entschied – nach der Behauptung des Klägers mit Wissen des Vorstandes der Beklagten – die beschriebene Software serien mäßig in den Motoren TYP EA 189 zu verbauen, um die einschlägigen Schadstoff grenzwerte einzuhalten. Dies in Kenntnis der Rechtswidrigkeit einer solchen Ab schalteinrichtung,so die weitere Behauptung des Klägers.
Durch die Software bedingt konnte der Schadstoffausstoß in Prüfsituationen unter halb der einschlägigen Grenzwerte der VO EU Nr. 715/2007 gehalten werden. Die Schadstoffwerte, welche im realen Straßenverkehr erzeugt werden, lagen jedoch über den in der Prüfsituation gemessenen. Der Pkw wird, durch die Software gesteuert, in einem anderen Modus betrieben als in einer Prüfsituation.
Der Pkw wurde der Schadstoffklasse „EURO 5“ zugeordnet. Es wurde eine „Typengenehmigung“ erteilt. Die jeweilige Zulassung zu einer bestimmten Schadstoffklasse ist in der EU einheitlich durch die VO EU Nr. 715/2007 und die Richtlinie 2007/46/EG geregelt. Die Zuordnung erfolgt nach den in Prüfsituationen gemessenen Schad stoffwerten.
Erste Hinweise auf die beschriebene Motorensteuerungssoftware wurden in den USA festgestellt. Auch in Europa und Deutschland zeigte dieser Abgasskandal Auswirkungen. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) – so auch die Behauptung des Klägers – führte aus, dass es sich bei der von der Beklagten verwendeten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele, diese auszubauen sei und geeignete Maßnahmen zur Herstellung der Ordnungsmäßigkeit zu treffen seien. Die EURO 5 Typengenehmigung konnte nur durch die Steuerungssoftware erreicht werden, eine Zulassung hätte bei Messung der tatsächlichen, also im normalen Straßenverkehr auftretenden, Abgaswerte nicht erfolgen können. Die Typgenehmigung EURO 5 ist bestandskräftig erteilt worden und wurde seitens des KBA nicht aufgehoben. Vielmehr wurden entsprechende Nebenbestimmungen seitens des KBA erlassen. Das KBA hat einen Rückruf aller betroffenen Pkw ange ordnet und der Beklagten aufgegeben, die betroffenen Pkw in einen Zustand zu versetzen, der den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht. Dies betrifft insbesondere den Schadstoffausstoß im Rahmen der Grenzwerte der VO EU 715/2007. Die Beklagte entwickelte folglich ein Update, um die betroffenen Pkw den gesetzlichen Vorgaben entsprechend umzurüsten. Die Umrüstung begann mit Anfang des Jahres 2016 und erfasste jeweils bestimmte Motorentypen. Je nach Motorentyp wird ein Softwareupdate aufgespielt bzw. zusätzlich ein Strömungsgleichrichter eingesetzt. Dieses Update wurde von dem KBA freigegeben.
Stellvertretend für die Beklagte führen VW-Vertragshändler – nicht aber freie Werkstätten – Nachbesserungen an den betroffenen Pkw durch. Diese sind für die Kunden kostenlos
Der Kilometerstand belief sich zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auf 106.440 km.
Der Kläger behauptet, dass er den streitgegenständlichen Kauf nicht vorgenommen hätte, hätte er um die Abgasmanipulationen gewusst. Ihm sei es gerade auf die Umweltfreundlichkeit des Pkw angekommen, welche die Beklagte damals ausführlich beworben habe.
Weiterhin verbleibe, auch nach Aufspielen des Softwareupdates, ein merkantiler Minderwert. Es sei davon auszugehen, dass durch den „VW-Abgasskandal“ der Verkaufswert der betroffenen Pkw sinke. Dies sei aus einschlägigen Medienberichten erkennbar.
Auch nach der Umrüstung durch das Update würden die gesetzlichen Schadstoffgrenzwerte nicht eingehalten. Es handele sich weiterhin, auch nach dem Software update, um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Der Kläger müsse damit rechnen, dass trotz Durchführung des Softwareupdates dem Pkw die Zulassung entzogen werden könnte. Es sei mit negativen Auswirkungen auf die Haltbarkeit des Motors bzw. dessen Wartungsanfälligkeit zu rechnen.
Der Kläger hat zunächst mit Klageantrag zu 1) beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 16.936,53 EUR nebst Zinsen hieraus zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat er seinen Klageantrag geändert und beantragt nunmehr,
- Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von
16.936,53 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB, mindestens jedoch 4 % p.a. ab dem 09.11.2018 binnen sieben Tagen nach Übergabe und Übereigenung des
Fahrzeugs Audi A3 Cabrio 2,0 TDI, Fahrzeug.Ident.-Nr.
–, zu zahlen,
2. Die Beklagte zu verurteilen, Zinsen in Höhe von 4 % p.a. ab dem 30.01.2014 bis Rechtshängigkeit auf einen Betrag in Höhe von 20.400,00 EUR zu zahlen,
3. festzustellen, dass die Beklagte sich mit der Entgegennahme des Fahrzeugs aus dem Antrag zu 1) in Annahmeverzug befindet,
4. Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerseite einen Betrag in Höhe von 1.613,16 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen ,Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit für die außergerichtliche Rechtsverfolgung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, ihre Vorstandsmitglieder hätten keine Kenntnis von den Umständen der streitgegenständlichen Software gehabt. Eine derzeit andauernde interne Untersuchung sei bislang ergebnislos verlaufen. Entsprechende Entscheidungen seien wohl von Mitarbeitern unterhalb der Vorstandsebene getroffen worden.
Weiter sei im streitgegenständlichen Pkw sei keine verbotene Abschaltvorrichtung im Sinn der VO EU 715/2007 verbaut worden. Die Software sei gerade nicht Bestandteil des Emissionskontrollsystems, sondern diesem als innermotorische Maßnahme vor gelagert. Es gehe hier um Abgasrückführung, bei der Stickoxide durch ein Ventil zurück in den Motorraum geleitet werden und dort wieder im Verbrennungsprozess reagieren. Hierdurch reduziere sich der Stickstoffausstoß. Dies sei aber von der nachgelagerten Abgasreinigung zu unterscheiden. Die Erkennung einer Prüfsituation durch die Software ist gewollt und auch bei anderen Herstellern üblich. Da die Software nicht auf das Emissionskontrollsystem einwirke, sei die Funktion des Dieselpartikelfilters nicht eingeschränkt. Durch das Softwareupdate im Rahmen der Überarbeitung werde nur noch der Modus 1 genutzt. Weiter werde durch das Update der Verbrennungsprozess optimiert. Dies durch Anpassung der Einspritzcharakteristik. Dadurch werde verhindert, dass durch die erhöhte Abgasrückführung Emissionen und Kraftstoffverbrauch verschlechtert würden. Es komme durch die Überarbeitung nicht zu einem erhöhten Ausstoß von CO2. Auch nicht zu einem erhöhten Kraftstoffverbrauch. Eine erhöhte Belastung des Rußpartikelfilters trete nicht ein. Die Überarbeitung führe auch nicht zu einer Begrenzung der Lebensdauer des Motors oder seiner Komponenten. Das KBA habe bestätigt, dass die betroffenen Pkw weiterhin im Straßenverkehr genutzt werden können. Die Aufhebung der Zulassung sei nicht zu befürchten, da ins besondere das KBA die Überarbeitung positiv bewertet hätte. Die Schadstoffwerte würden eingehalten. Eine Täuschung des Klägers liege nicht vor. Hinsichtlich der Typengenehmigung EURO 5 deshalb nicht, da eine solche unstreitig vorliegt. Auch nicht über die Gefahr des Zulassungsentzuges, da in Zukunft kein Zulassungsentzug zu erwarten sei. Die Beklagte habe die Anforderungen des KBA erfüllt. Eine Täuschung über die Nutzbar keit liege nicht vor, da derzeit – wegen einer wirksamen Typengenehmigung und nach Softwareupdate – das Fahrzeug voll genutzt werden könne. Ergänzend wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
- Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung der geleisteten Darlehensraten sowie Freistellung von noch geschuldeten Darlehensraten Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Pkw aus den deliktischen Anspruchsgrundlagen des § 826 BGB und § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB zu. Jedoch hat der Kläger Gebrauchsvorteile im Sinne eines Nutzungsersatzes zu leisten. Die vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten sind als Schadensposten zu ersetzen. Schließlich befindet sich die Beklagte auch mit der Rücknahme des streitgegenständlichen Pkw in Annahmeverzug.
- Der Kläger kann nach § 826 BGB und § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB von der Beklagten Zahlung des streitgegenständlichen Kaufpreises verlangen. Jedoch ist der Kläger verpflichtet Nutzungsersatz zu leisten.
Nach § 826 BGB ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, diesem zum Ersatz des Schadens verpflichtet. Diese Voraussetzungen sind gegeben.
Die Kammer nimmt vorliegend eine Täuschung des Klägers durch die Beklagte an. Diese erfolgte in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise. Hierdurch ist der Kläger zu dem streitgegenständlichen Vertragsschluss bestimmt worden, welcher eine Schädigung darstellt. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (Palandt/Sprau BGB § 826 Rn. 4). Wer bewusst täuscht, um einen anderen zum Vertragsschluss zu bringen, handelt sittenwidrig (BGH, Urteil vom 21.12. 2004 – VI ZR 306/03 = NJW-RR 2005, 611). Dies etwa bei unwahren Angaben über vertragswesentliche Umstände. Hierbei ist unerheblich, ob der Täuschende unmittelbar Teil der Vertragsbeziehung werden soll.
Die Kammer nimmt zunächst eine Täuschung des Klägers durch die Beklagte an. Eine Täuschung liegt dann vor, wenn durch ein Verhalten des Erklärenden beim Erklärungsgegner vorsätzlich eine Fehlvorstellung über Tatsachen erweckt oder aufrechterhalten wird (MüKOBGB/Armbrüster, 8. Aufl. 2018, BGB § 123 Rn. 14 ff.). Getäuscht werden kann durch positive Erregung des Irrtums oder durch Unterlassen einer Aufklärung (MÜKoBGB/Armbrüster, 8. Aufl. 2018, BGB § 123 Rn. 28). Die zu erstgenannte Alternative ist vorliegend gegeben. Die Beklagte machte zunächst ak tiv falsche Angabe betreffend den Schadstoffausstoß der von ihr produzierten Dieselmotoren. Diese Angaben wurden mit den einschlägigen Werbemaßnahmen verbreitet. Wenn auch nicht detaillierte Messwerte im Rahmen solcher Werbemaßnahmen verbreitet wurden, so wurde dennoch der allgemeine Eindruck bei den am Kauf solcher Pkw Interessierten hervorgerufen, die von der Beklagten hergestellten Dieselfahrzeuge seien besonders umweltfreundlich. Sie würden zumindest die relevanten Abgaswerte einhalten. Entsprechende Fehlvorstellungen wurden durch das beschriebene Verhalten auch beim Kläger hervorgerufen. Zumindest unterlag der Kläger aber der – durch eine konkludente Täuschung – der Beklagten hervorgerufenen
Fehlvorstellung, der von ihm erworbene Pkw entspreche den gesetzlichen Vorgaben und sei insofern mit Pkw anderer Hersteller vergleichbar. Den Käufern der betroffenen Pkw der Beklagten, so auch dem Kläger, wurde der Eindruck vermittelt, diese in Prüfsituationen gemessenen Schadstoffwerte würden im Wesentlichen auch im normalen Fahrbetrieb der betroffenen Pkw eingehalten. Dadurch wurde dem Kläger etwas vorgespiegelt, was für seine Kaufentscheidung wesentlich war, nämlich Schadstoffwerte, die der Euro 5 Norm auch tatsächlich entsprechen. Dies war jedoch nicht der Fall, worüber der Kläger irrte. Das Vorliegen relevanter Genehmigungen allein genügt insofern nicht. Durch die Installation der streitgegenständliche Software weicht der Pkw von der bei vergleichbaren Fahrzeugen üblichen Beschaffenheit ab (so auch OLG Hamm, Beschluss vom 21.06.2016 – 28 W 14/16; OLG Köln, Hinweisbeschluss vom 20.12.2017 – 18 U 112/17; LG Hagen, Urteil vom 18.10.2016 – 30 66/16; LG Aachen, Urteil vom 06.12.2016 – 10 O 146/16; LG Paderborn, Urteil vom 17.05.2016 – 20 381/15). Aus der Tatsache, dass sich die Emissionswerte im Alltagsbetrieb eines Fahrzeugs von denen in einem synthetischen Prüfzyklus in der Regel unterscheiden, ergibt sich keine gegenteilige Beurteilung. Der Käufer wird insoweit in seiner Erwartung enttäuscht, als das Fahrzeug die vorgegebenen Grenzwerte gerade nur aufgrund der speziellen Software erzielt. Ein Neufahrzeug entspricht jedenfalls nicht schon dann der üblichen und berechtigterweise von einem Käufer zu erwartenden Beschaffenheit, wenn es technisch sicher und fahrbereit ist und über alle Genehmigungen verfügt. Vielmehr stellt die Installation einer Abschaltvorrichtung und einer Software, welche die korrekte Messung von Emissionswerten verhindert und im Prüfbetrieb niedrigere Ausstoßmengen vortäuscht, als sie im Fahrbetrieb entstehen, eine negative Abweichung von der üblichen Beschaffenheit vergleichbarer Fahrzeuge dar. Sicherlich ist dem durchschnittlichen Käufer durchaus bewusst, dass die in Prüfsituationen gemessenen Abgaswerte nicht den Werten einer realen Fahrsituation entsprechen. Hierzu sind die jeweiligen Fahrsituationen, etwa durch den Streckenverlauf, die individuelle Fahrweise und ähnliche Umstände in einer standardisierten Prüfungssituation nicht replizierbar. Dennoch muss der durchschnittliche Käufer davon ausgehen dürfen, dass die gemessenen Abgaswerte ein realistisches Abbild der „realen“ Werte darstellen. Insbesondere, dass diese einen Rückschluss auf den tatsächlichen Abgasausstoß des Pkw, auch im Vergleich zu anderen Pkw, die nach den gleichen Prüfsituationen bewertet wurden, zulassen. Nach der Argumentation der Beklagten würde die Messung der Abgaswerte in der einschlägigen Prüfsituation jegliche Bedeutung verlieren. Entgegen dieser Ansicht wertete auch das KBA die streitgegenständliche Software als eine Abschalteinrichtung zur Umgehung der vorgeschriebenen Messungen.
Nach Ansicht der Kammer darf der Käufer erwarten, dass die in der Prüfung ermittelten und beworbenen Messwerte zumindest ein realistisches Abbild der Abgaswerte
im realen Fahrbetrieb darstellen. Diese Erwartung wurde vorliegend enttäuscht. Der Abgasausstoß im realen Fahrbetrieb überstieg den gemessenen um ein Vielfaches.
Der durchschnittliche Käufer musste den Einbau einer solchen Software nicht erwarten. Er durfte davon ausgehen, dass eine solche gerade nicht verwendet wurde. Es gibt insofern keine Veranlassung mit einer solchen Software zu rechnen.
Zumindest liegt jedoch eine Täuschung durch Unterlassen vor. Die Beklagte hat eine Schädigungshandlung begangen, indem sie die streitgegenständlichen Motoren des Typs EA 189 in den Verkehr gebracht hat, ohne die entsprechenden Details der Programmierung den potentiellen Käufern offenzulegen (vgl. (LG Mönchengladbach Urt. v. 11.7.2017 – 10 320/16). Sie hatte durch die Vermarktung der streitgegenständlichen Motoren eine Pflichtenstellung aus Ingerenz, diese Manipulation zu offenbaren. Dies hat sie jedoch unterlassen.
Die Beklagte, vertreten durch ihre Organe, handelte insofern auch vorsätzlich. Für das Täuschungsverhalten der Vorstandsmitglieder hat die Beklagte gem. § 31 BGB einzustehen. Die Kammer erachtet den Vortrag der Klägerseite zu der Kenntnis der Organe der Beklagten für ausreichend substantiiert. Das Bestreiten der Beklagten war dagegen, gemessen an der sie treffenden sekundären Darlegungslast, nicht ausreichend substantiiert.
Nach allgemeinen Grundsätzen trifft die Darlegungslast hinsichtlich aller anspruchsbegründenden Tatsachen den Anspruchsinhaber. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, dass wenn die primär darlegungsbelastete Partei außerhalb des von ihr vorzutragenden Geschehensablaufs steht und ihr eine nähere Substantiierung nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt oder unschwer in Erfahrung bringen kann und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen, von diesem Grundsatz eine Ausnahme zu machen ist (BGH, Beschluss vom 16.8.2016 – VI ZR 634/15 = NJW-RR 2016, 1360). Der Vorstand der Beklagten weiß oder kann sich das Wissen verschaffen, wer Entscheidung getroffen hat, die Software zu entwickeln und zu verbauen, die einen tatsächlich nicht vorhandenen niedrigen Schadstoffausstoß im normalen Betrieb des Fahrzeugs vorspiegelte. Der Kläger hat jedoch naturgemäß keine Einblicke in die Interna der Beklagten. Er kann sich die relevanten Kenntnisse nicht beschaffen. Da her ist insofern die schlichte Behauptung, die Vorstandsmitglieder der Beklagten hätten um die Softwaremanipulation gewusst, ausreichend. Diese Behauptung entspricht auch einer realistischen Beurteilung der Sachlage. Der bloße Verweis der Beklagten, interne Ermittlungen hätten die Behauptungen der Klägerseite bislang nicht bestätigen können, sind dagegen nicht ausreichend substantiiert. Im Übrigen entspricht dies einer lebensnahen Betrachtung. Es scheint fernliegend, dass eine derart weitreichende Entscheidung, wie die Entwicklung und serienmäßige Verarbeitung der streitgegenständlichen Software, ohne Kenntnis des Vorstandes der Beklagten erfolgte
Die Täuschung des Klägers erfolgte auch in sittenwidriger Weise. Hierzu kann auf die obigen Ausführungen verweisen werden. Darüber hinaus ist der Beklagten auch noch ein verwerfliches Gewinnstreben zu unterstellen (LG Köln (24. Zivilkammer), Urteil vom 10.11.2016 – 24 O 216/16). Die Motive der Beklagten betreffend den Einbau der Software bzw. der Vermarktung der betroffenen Pkw waren entweder in der Erzielung höhere Gewinne oder in der Ersparnis weiterer Entwicklungskosten zu sehen. Hierbei handelt es sich um ein verwerfliches Gewinnstreben.
Dem Kläger ist weiterhin ein kausaler Schaden entstanden, der im Abschluss des streitgegenständlichen Kaufvertrages zu sehen ist.
Nach der Differenzhypothese ist die tatsächlich eingetretene Vermögenslage mit der hypothetischen Vermögenslage, die ohne das haftungsbegründende Ereignis eingetreten wäre, zu vergleichen (BGH, Urteil vom 5.2.2015 – IX ZR 167/13 = NJW 2015, 1373). Aus dieser Differenz ergibt sich der Schaden. Hierfür ist der Geschädigte darlegungs- und beweisbelastet (Palandt/Sprau BGB Vorb. V. § 249 Rn. 128). Nach § 249 Abs. 1 BGB hat derjenige, der zum Schadensersatz verpflichtet ist, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.
12
Dies ist im vorliegenden Fall gerade die „Rückabwicklung“ des nachteiligen – zwi schen dem Kläger und einem Dritten geschlossenen – Kaufvertrages. Hätte der Kläger zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses über die Umstände des „VW Abgasskandals“ gewusst, hätte er den streitgegenständlichen Pkw nicht erworben. Für die Darlegung dieses ursächlichen Zusammenhanges genügt es, dass der Geschädigte Umstände darlegt, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten, und dass die arglistige Täuschung nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung hat (BGH v. 12.05.1995, Az. V ZR 34/94 = NJW 1995, 2361). Dies hat der Kläger hier getan. Er hat dargelegt, dass er den streitgegenständlichen Pkw, hätte er um die Umstände des „VW Abgasskandals“ gewusst, nicht erworben hätte. Hierfür spricht schon die allgemeine Lebenserfahrung.
Der mit Vertragsschluss eingetretene Schaden wurde auch nicht durch das nachträglich aufgespielte Softwareupdate wieder beseitigt, da insofern auf den Zeitpunkt des Schadenseintritts, also den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen ist (LG Stuttgart, Urt. v. 14.08.2018 – 23 O 80/18; LG Würzburg (7. Zivilkammer), Urt. v. 23.02.2018 – –6; LG Hildesheim, Urt. v. 17.01.2017, 3 0 139/16 = VUR 2017, 111; LG Paderborn, Urt. v. 07.04.2017 – 2 0 118/16). Abgestellt auf diesen Zeitpunkt hat der Kläger einen für ihn nachteiligen Vertrag geschlossen. Der streitgegenständliche Pkw war keine äquivalente Gegenleistung im Vergleich zu der Kaufpreiszahlung.
Es kann zunächst auf die obigen Ausführungen Bezug genommen werden. Der Kläger hat im Gegenzug zur Zahlung des Kaufpreises keine vergleichbare Gegenleistung erhalten. Hierbei ist zu beachten, dass der nach der Differenzhypothese zu be stimmende Schaden, durch wertende Elemente beeinflusst wird (BGH, Urteil vom 26. 9. 1997 – V ZR 29/96 = NJW 1998, 302). Insbesondere können subjektive Elemente bei der Schadensfeststellung – in Anlehnung an strafrechtliche Bewertungen – herangezogen werden (BGH, Urteil vom 26. 9. 1997 – V ZR 29/96 = NJW 1998, 302). Daher kann die Beeinflussung der Vermögensdispositionsfreiheit des Getäuschten für sich genommen einen Schaden darstellen (Konstellationen des individuellen oder persönlichen Schadenseinschlags vgl. BGH, Beschluss vom 16. 8. 1961 – 4 StR 166/61 = NJW 1962, 309). Insofern ist entscheidend, dass die (gleichwertige) Gegenleistung für die mit dem Vertrag verfolgten Zwecke nicht voll brauchbar ist (BGH Urt. v. 21.12.2004 – VI ZR 306/03 = NJW-RR 2005, 611).
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Dies war vorliegend zumindest zu Zeitpunkt des Vertragsschlusses der Fall. Wie bereits angedeutet, entsprach der Pkw, bedingt durch den Einbau der streitgegenständlichen Software, nicht den üblichen Erwartungen, die ein Käufer an den Pkw stellt. Auch wenn die relevanten Genehmigungen vorlagen, so wurden doch die einschlä gigen Schadstoffgrenzwerte im „normalen“ Straßenverkehr nicht eingehalten. Durch die Installation der streitgegenständliche Software wich der Pkw von der bei vergleichbaren Fahrzeugen üblichen Beschaffenheit ab und war daher mangelhaft.
Wie beantragt, § 308 Abs. 1 ZPO, ist eine Verurteilung zur Zahlung Zug-um-Zug gegen Rückübereignung des Pkw auszusprechen. Entsprechend hat der Kläger einen Nutzungsersatz zu leisten.
Ein Nutzungsersatz wäre nur dann ausgeschlossen, wenn der Pkw erheblich in der Nutzbarkeit eingeschränkt gewesen wäre, was die Kammer vorliegend nicht an nimmt. Vielmehr konnte der Pkw durch den Kläger umfassend und ohne jegliche Einschränkung genutzt werden.
Der Kläger muss für den Gebrauchsvorteil einen Nutzungsersatz in Höhe von 6.033,44 EUR leisten. Die Berechnung ist nach folgender Formel zu erstellen (LG Frankfurt a. M. Urt. v. 29.12.2011 – 2-25 O 159/10): Der Bruttokaufpreis ist mit den gefahrenen Kilometern zu multiplizieren und durch die zu erwartende Restlaufleistung zu dividieren, wobei die Gesamtfahrleistung bei diesem Pkw von der Kammer mit 250.000 km angesetzt wird, § 287 ZPO. Von der zu erwartenden Gesamtlaufleistung sind daher die bereits zum Erwerbszeitpunkt zurückgelegten Kilometer, hier 72.886 km, abzuziehen.
Es ergibt sich so vorliegend ein Betrag in Höhe von 6.033,44 EUR (20.400,00 x 60.290 : 203.850).
Ein Anspruch auf Verzinsung dieser Forderung folgt aus SS 291, 288 Abs. 1 ZPO. Weitergehende deliktische Zinsen können nach § 849 BGB nicht verlangt werden. Hiernach kann im Fall, in dem wegen der Entziehung einer Sache der Wert zu ersetzen ist, der Geschädigte Zinsen des zu ersetzenden Betrags von dem Zeitpunkt der Entziehung an verlangen. Unter dem Begriff der Sache ist auch in extensiver Auslegung des Gesetzeswortlautes Buchgeld erfasst (BGH, Versäumnisurteil vom 26. 11. 2007 – || ZR 167/06 = NJW 2008, 1084). Daher obliegt es dem Kläger, das Datum der Kaufpreiszahlung, also der Entziehung des Geldes, vorzutragen. Dies ist hier nicht geschehen.
- Die Beklagte befindet sich hinsichtlich der Rücknahme des streitgegenständlichen Pkw in Annahmeverzug. Ihr wurde die Rückabwicklung angeboten. Es handelt sich hierbei um ein wörtliches Angebot nach § 295 BGB. Dieses Angebot hat die Beklagte nicht angenommen.
- Der Kläger kann auch Ersatz seiner außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten bzw. Freistellung diesbezüglicher Forderungen von der Beklagten verlangen. Ein solcher materieller Kostenerstattungsanspruch ist als Schadensposten dann ersatzfähig, wenn sie erforderlich waren (BGH, Urteil vom 23.10. 2003 – IX ZR 249/02 = NJW 2004, 444). Dies ist vorliegend, wie dargestellt, der Fall gewesen.
- Die Kostenentscheidung beruht auf SS 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Soweit die Klage teilweise – betreffend den Ersatz von Nutzungsvorteilen – abgewiesen wird, betrifft dies eine geringe und keine weiteren Kosten verursachende Zuvielforderung des Klägers.
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus $ 709 Satz 1 und 2 ZPO.
- Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 48 Abs. 1 S. 1 GKG in Verbindung mit S$ 3 ff. ZPO.
Wegen wirtschaftlicher Identität mit dem Zahlungsantrag zu 1) sind die Anträge zu2) und 3) nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen.
Der Antrag zu 4) ist, da er eine Nebenforderung im Sinne von § 43 GKG betrifft, ebenfalls nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen.
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Rechtsbehelfsbelehrung
Die Entscheidung hinsichtlich der Streitwertfestsetzung kann mit der Beschwerde angefochten werden. Sie ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache rechtskräftig geworden ist oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Landgericht Frankfurt am Main, 60313 Frankfurt am Main, Gerichtsstraße 2 eingeht. Wird der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung der Festsetzung bei dem Gericht eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 € übersteigt oder das Gericht die Beschwerde in diesem Beschluss zugelassen hat. Beschwerdeberechtigt ist, wer durch diese Entscheidung in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des genannten Gerichts eingelegt. Sie kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichts erklärt werden, wobei es für die Einhaltung der Frist auf den Eingang bei dem genannten Gericht ankommt. Sie ist von dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten zu unterzeichnen. Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Soll die Entscheidung nur zum Teil angefochten werden, so ist der Umfang der Anfechtung zu bezeichnen.
Wielk
Beglaubigt, Frankfurt am Main, den 11. Juli 2019
Kunstler Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
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