Urteil im Abgasskandal, Landgericht Lüneburg, Urteil vom 17.11.2020, Aktenzeichen: 5 O 56/20
Urteil
In dem Rechtsstreit
des Herrn xxxxxxxxxxxxxxxxxxx, Kläger
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanw. Kraus Ghendler Ruvinskij, Aachener Straße 1, 50674 Köln,
gegen
Audi AG, vertreten durch den Vorstand, Auto-Union-Straße 1, 85057 Ingolstadt, Beklagte
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanw. Noerr LLP, Jungfernstieg 51, 20354 Hamburg,
wegen Autokauf
hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg auf die mündliche Verhandlung vom 27.10.2020 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Bendtsen als Einzelrichter
für Recht erkannt:
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 14.434,46 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 18.8.2020 zu zahlen und den Kläger von den aktuell noch bestehenden Verbindlichkeiten gegenüber der Audi Bank aus dem Darlehensvertrag mit der Darlehensnummer … in Höhe von 20.242,78 € freizustellen, Zug-um-Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs A5 Coupé, Fahrzeug-Ident-Nr. … und Übertragung des dem Kläger gegenüber der Audi Bank zustehenden Anwartschaftsrechts auf Übereignung des vorstehend
bezeichneten Fahrzeugs.
- Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des Fahrzeugs aus dem Antrag zu 1. in Annahmeverzug befindet.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagte als Herstellerin eines Dieselmotors auf Rückgängigmachung eines Autokaufvertrags in Anspruch.
Der Kläger erwarb aufgrund Bestellung vom 28.11.2017 (Bl. 25 d.A.) einen gebrauchten Audi A5 Coupé 3.0 TDI für 36.350 € im Audi Zentrum xxx. Die Laufleistung betrug 31.938 km. Zwischen den Parteien besteht keine Einigkeit darüber, ob im Fahrzeug ein Motor EA 897evo EU6 oder ein Motor EA896 Gen2 verbaut wurde. Jedenfalls handelt es sich bei der Beklagten um die Herstellerin des Motors. Das Fahrzeug wurde von der Audi Bank aufgrund Antrages vom selben Tage zu einem Zinssatz von 1,99% finanziert. Bislang zahlte er 35 Raten nebst Zinsen, insgesamt 17.814,65 €.
Am 23.1.2018 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt Rückrufe für Audi 3.0 I Diesel Euro 6 Modelle A4, A5, A6, A7, A8, Q5, SQ5, Q7 mit. Nach dem Rückruf wurden unzulässige Abschalteinrichtungen nachgewiesen. In der entsprechenden Mitteilung des Kraftfahrt Bundesamtes heißt es:
„Die schadstoffmindernde, sogenannte schnelle Motoraufwärmfunktion springt bei diesen Fahrzeugen nahezu nur im Prüfzyklus NEFZ an.. Im realen Verkehr unterbleibt diese NOx-Schadstoffminderung. Die Strategien unterscheiden sich leicht von Fahrzeugtyp zu Fahrzeugtyp“.
In dem bestandskräftig gewordenen Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 4.6.2018 (Bl. 166 d.A.) unter anderem hinsichtlich des Audi A5 wurden nachträgliche Nebenbestimmungen angeordnet. Unter anderem heißt es dort:
“Bei allen auf Basis der oben genannten Fahrzeugtypgenehmigungen (einschließlich ihrer zutreffenden Nachtragsstände) produzierten Fahrzeuge ist die Vorschriftsmäßigkeit herzustellen, indem alle unzulässigen Abschalteinrichtungen … aus dem Emissionskontrollsystem entfernt werden” – Alle betroffenen produzierten Fahrzeuge sind umzurüsten”.
Weiter heißt es im dortigen Hinweis:
,,Im Falle einer Nichtbefolgung dieser Anordnungen ist das KBA gemäß § 25 Abs.
3 EG-FGV dazu berechtigt, die betroffene Typengenehmigung ganz oder teilweise zu widerrufen oder zurückzuziehen”.
Wegen des weiteren Inhalts wird auf diesen Bescheid Bezug genommen.
Mit Schreiben vom November 2019 (Bl. 170 d.A.) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass aufgrund eines angeordneten Rückrufs ein Software-Update an seinem Fahrzeug vorgenommen werden müsse. Mit Anwaltsschreiben vom 17.1.2020 verlangte der Kläger von der Beklagten Schadensersatz im Wege forderte der Kläger die Beklagte zur Leistung von Schadensersatz auf.
Der Kilometerstand betrug am Tag der Verhandlung vor der Kammer 59.835 km.
Der Kläger hat zunächst Klage auf Zahlung in Höhe von 33.647,54 € Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeuges, Zinsen und außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten sowie Feststellung des Annahmeverzuges begehrt.
Nach Hinweis der Kammer, dass der Kläger infolge Finanzierung durch die Bank keine vollständige Zahlung verlangen kann, sondern lediglich geleistete Raten und Zinszahlungen, und dass er das Fahrzeug mangels Eigentümerstellung nicht übertragen kann, beantragt er nunmehr
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn 14.666,97 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 13.3.2020 (Rechtshängigkeit) zu zahlen und den Kläger von den aktuell noch bestehenden Verbindlichkeiten gegenüber der Audi Bank aus dem Darlehensvertrag mit der Darlehensnummer … in Höhe von 20.242,78 € freizustellen, Zug-um-Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs A5 Coupé, Fahrzeug-Ident-Nr. … und Übertragung des dem Kläger gegenüber der Audi Bank zustehenden Anwartschaftsrechts auf Übereignung des vorstehend bezeichneten Fahrzeugs.
- Die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 2.193,65 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 13.3.2020 (Rechtshängigkeit) für die
außergerichtliche Rechtsverfolgung zu zahlen
- festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des Fahrzeugs aus dem Antrag zu 1. in Annahmeverzug befindet.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist im Wesentlichen der Auffassung, es läge keine sittenwidrige oder täuschende Handlung auf ihrer Seite vor, eine solche wäre jedenfalls nicht ursächlich für den Erwerb, dem Kläger sei zudem kein Schaden entstanden.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang begründet.
1.
Dem Kläger steht ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB zu.
a) Die Beklagte hat die Klägerin in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise zumindest bedingt vorsätzlich geschädigt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Verhalten eines Motorherstellers im Verhältnis zum Erwerber eines Fahrzeugs objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren, wenn auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig und in hoher Stückzahl in Deutschland Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 -, Rn. 16, juris). Die Kammer sieht es als in der Rechtsprechung geklärt an, dass der Einsatz einer entsprechenden Motorsteuerungssoftware die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllt. Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich letztlich kein Bestreiten der vom Kläger behaupteten Voraussetzungen eines Anspruchs. Die Beklagte meint zusammenfassend (S. 2, 3 der Klageerwiderung vom 26.5.2020, Bl. 59 f. d.A.):
(1) Es läge keine Handlung vor, welche eine Täuschung zu qualifizieren wäre, weil sie am Vertrag mit dem Kläger nicht beteiligt war (Bl. 59 d.A.). Der Bundesgerichtshof hat in der zitierten Entscheidung klargestellt (dort Rn 7), dass bereits das Inverkehrbringen eines solchen Fahrzeugs sittenwidrig ist und eine Täuschung des Kunden darstellt, auch wenn dieser nicht Vertragspartner des Herstellers ist.
(2) Eine Täuschung nicht kausal sei, weil es dem Kläger darauf ankam ein leistungsstarkes Fahrzeug zu erwerben (Bl. 59f d.A.). Der Bundesgerichtshof hat in seiner zitierten Entscheidung ausgeführt (dort Rn 49), dass nach der allgemeinen Lebenserfahrung und der Art des zu beurteilenden Geschäfts der Erfahrungssatz zugrunde gelegt werden kann, nach welchem auszuschließen ist, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann. Dem schließt sich die Kammer an.
(3) Der Kläger habe keinen Schaden erlitten (BI. 60 d.A.). Nach der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (dort Rn 44) liegt der Schaden im Abschluss des Kaufvertrages selbst. Daher greift auch der Einwand fehlender Aktivlegitimation nicht durch. Der Kläger schloss einen Kaufvertrag, den er ohne Täuschung nicht geschlossen hätte und ist daher so zu stellen, als ob er diesen Kaufvertrag nicht geschlossen hätte. Zudem hat der Kläger den Darlehensvertrag vorgelegt (Bl. 180 d.A.). Aus diesem ergibt sich eine Abtretung der Ansprüche aufgrund Beschädigung der Sache (Unter „Sicherheiten“ Nr. 2., Bl. 181 d.A.), nicht jedoch die Abtretung von Ansprüchen gegen den Hersteller auf Rückgängigmachung des Vertrags.
(4) Ergänzend bemerkt die Kammer, dass die Behauptung der Beklagten, es habe weder ein Widerruf der bestehenden EG-Typengenehmigung noch das Erlöschen der Betriebserlaubnis kraft Gesetzes gedroht (S. 64 d.A.) vor dem Hintergrund des unstreitig im Hinblick auf die Baureihe, zu welchem das streitgegenständliche Fahrzeug gehört, ergangenen Bescheides des Kraftfahrt-Bundesamtes (BI. 166 d.A.) unzureichend ist. Wenn das Kraftfahrt-Bundesamt die Beklagte mit einem bestandskräftig gewordenen Bescheid aufgab, Software zu entfernen, welche als unzulässige Abschalteinrichtung bezeichnet wird und dann auch noch mitteilt, dass im Falle der Nichtbefolgung dieser Anordnungen das Kraftfahrt-Bundesamt berechtigt ist, die Typgenehmigung ganz oder teilweise zurückzunehmen oder zu widerrufen, ist nicht nachvollziehbar, aufgrund welcher Tatsachen die Beklagte eine derartige Gefahr verneint.
b) Wegen der Höhe des Anspruchs muss sich der Kläger allerdings den Nutzungsvorteil anrechnen lassen. Die Kammer geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Gesamtlaufleistung eines Fahrzeugs mit 300.000 km geschätzt werden kann. Der Kläger erwarb für 36.350 € ein Fahrzeug mit einer Laufleistung von bis dahin 31.938 km. Zum für die Berechnung maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung betrug die Laufleistung 59.835 km. Der Nutzungsvorteil beträgt mithin 36.350 €/(300.000 km – 31.938 km) * (59.835 km – 31.938 km), mithin 3.380,19 €.
2. Als Schadensposition ersatzfähig sind auch vom Kläger bislang entrichtete Kreditzinsen. Besteht der Schaden in der Eingehung des Kaufvertrages, kann der Kläger verlangen so gestellt zu werden, als ob der den Vertrag nicht abgeschlossen hätte. Dementsprechend muss die Beklagte dem Kläger auch geleistete Zinsen erstatten.
3. Erstattung außergerichtlicher Kosten kann der Kläger nicht verlangen. In dem entsprechenden Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers verlangte er Zahlung des Kaufpreises gegen Übereignung des Fahrzeugs. Dies war jedoch nicht geschuldet, weil infolge Finanzierung des Fahrzeugs nur geleistete Tilgungen gegen Übertragung des Anwartschaftsrechts gefordert werden konnte. Die Tilgungsleistungen wurden der Beklagten jedoch nicht dargelegt, so dass der Anspruch auch nicht in Höhe der Ratenzahlungen, welche für die Beklagte unbekannt waren, bestand. Mit anderen Worten musste die Beklagte auf die Aufforderung des Klägers aufgrund des Schreibens der Bevollmächtigten nicht leisten, weshalb das Schreiben zur Rechtsverfolgung nicht notwendig war.
4. Aus diesem Grund kann der Kläger Zinsen erst ab Antragsumstellung in der mündlichen Verhandlung vom 18.8.2020 verlangen.
5. Infolge Weigerung der Rückgängigmachung befindet sich die Beklagte im Annahmeverzug.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2, 709 S. 1 ZPO.
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