Welche Voraussetzungen hat die Sittenwidrigkeit?
- Sie sind mit dem Hauptschuldner emotional eng verbunden.
- Sie hatten kein eigenes persönliches und wirtschaftliches Interesse an dem Kredit.
- Sie werden durch die Verpflichtung krass finanziell überfordert.
Emotionale Verbundenheit
Geschützt werden vor allem Ehegatten, Lebenspartnern, Eltern/Kindern, ggf. Arbeitnehmern des Hauptschuldners. Diesen Menschen geht das Schicksal des Hauptschuldners regelmäßig so nahe, dass sie sich aus dem Wunsch, dieses Schicksal zu erleichtern, zu Schritten hinreißen lassen, die ihnen selbst schaden (können).
Doch die Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit ist nicht auf diesen Personenkreis beschränkt. Schließlich ist es nicht ungewöhnlich, dass auch Geschwister oder enge Freunde in Ihrem Wunsch dem Betroffenen aus der Not zu helfen, folgenschwere Verpflichtungen übernehmen.
Hier verlangen die Gerichte allerdings den Nachweis einer gesteigerten emotionalen Verbundenheit, Sittenwidrigkeit ist also stets eine Frage des Einzelfalls.
Kein eigenes Interesse an der Darlehensgewährung
Die Banken haben gelernt. Da Angehörigenbürgschaften nun riskant geworden waren, suchten die Kreditinstitute nach Wegen, die Sittenwidrigkeit zu umgehen. Daher werden die mithaftenden Angehörigen heutzutage in der Regel nicht explizit als Bürgen bezeichnet, sondern in den Darlehensvertrag als Mitdarlehensnehmer aufgenommen.
Doch hier schauen die Richter genau hin. Aufgrund der strukturellen Überlegenheit der Banken und ihrer stärkeren Verhandlungsposition, wird dem Wortlaut viel weniger Bedeutung beigemessen als es normalerweise der Fall ist (BGH (XI ZR 325/03).
Das heißt, nur weil Sie im Vertrag als Darlehensnehmer bezeichnet werden, bedeutet es noch lange nicht, dass Sie tatsächlich auch Darlehensnehmer sind. Die Bank hat nicht über Ihre rechtliche Position zu entscheiden, maßgeblich sind die tatsächlichen Umstände der Kreditvergabe.
Die Kontrollfrage hier ist: wer kann über die Verwendung der Darlehenssumme entscheiden?
Haben Sie da ein Wörtchen mitzureden? Kam das Geld unmittelbar auch Ihnen zugute? Wurden damit auch Ihre Schulden bezahlt oder ist das Darlehen in die Renovierung des gemeinsamen Hauses gesteckt worden? Wenn ja, dann haben auch Sie möglicherweise auf direktem Wege aus dem Darlehen profitiert und können daher auch wegen Rückzahlung in Anspruch genommen werden.
Das ist jedoch bei solchen „verkappten Bürgschaften“ meistens nicht der Fall. Es liegt kein echtes Darlehen vor.
Wenn Ihr Ehemann einen Kredit aufgenommen hat, um seine Lieferanten zu bezahlen, die Pachtschulden seiner Gaststätte zu begleichen oder um einen neuen Wagenheber für seine KFZ-Werkstatt anzuschaffen, haben Sie mit diesen Ausgaben nichts zu tun. Über die Verwendung dieser Gelder konnten Sie nie selbständig bestimmen, da kann in dem Darlehensvertrag stehen was will.
Sicher, die Bank beruft sich darauf, dass die Anschaffungen auch Ihnen zugute gekommen sind, schließlich leben Sie mit dem Hauptschuldner in einer Lebensgemeinschaft. Aber auch dieses Argument interessiert die Richter nicht. Bloß mittelbare Vorteile reichen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht aus, um Ihr eigenes persönliches und wirtschaftliches Interesse zu begründen.
Sie können sich also auch dann von der Kreditverpflichtung lösen, wenn Sie im Darlehensvertrag als gleichwertiger Darlehensnehmer bezeichnet wurden. Denn es kommt alleine darauf an, was zwischen den Parteien tatsächlich gewollt war (BGH – XI ZR 114/03).
Krasse finanzielle Überforderung
Nach nunmehr gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Ihre Verpflichtung sittenwidrig, wenn Sie dadurch finanziell krass überfordert sind.
Krass finanziell überfordert sind Sie dann, wenn Sie nicht in der Lage sind, die laufenden Zinsen der gesicherten Forderung aus dem pfändbaren Teil Ihres Einkommens und Vermögens zu begleichen (BGH NJW 2000, 1182).
Wie hoch Ihr pfändbares Einkommen ist, können Sie mithilfe unseres Pfändungsrechners herausfinden (LINK zum Pfändungsrechner).
Prognose erforderlich
Zur Ermittlung Ihrer Leistungsfähigkeit wird zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses eine Prognose angestellt. Einbezogen werden Ihre
- Ausbildung
- Fähigkeiten,
- familiären Belastungen
- u.ä.
Wenn Sie also im Zeitpunkt des Vertragsschlusses z.B. Rentnerin sind und von 1.000,00 EUR im Monat leben müssen, werden Sie kaum wieder in die Arbeitswelt zurückkehren und 50.000,00 EUR im Jahr verdienen. Sind Sie dann z.B. der Darlehensschuld Ihres Lebensgefährten in Höhe von 50.000,00 EUR beigetreten, weil diesem anderenfalls die Existenzgrundlage entzogen wird, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass Sie finanziell krass übefordert sind. In diesem Fall wird vermutet, dass die Bank Ihre emotionale Verbundenheit ausgenutzt hat.
Ganz anders sieht es aus, wenn Sie als vielversprechender 20-jähriger Medizinstudent sich für eine Schuld Ihrer Eltern in ähnlicher Höhe wie oben verbürgen. In diesem Fall darf der Darlehensgeber davon ausgehen, dass Sie das Studium abschließen und als Arzt hinreichend Geld verdienen werden, um im Sicherungsfall für die Schulden Ihrer Eltern aufzukommen.
Wie schaut es aus, wenn eine Ehefrau (die eine Rente wg. Erwerbsunfähigkeit in Höhe von ca. 1.000 EUR/ Monatbezieht) mit Ihrem Ex-Ehegatten eine Finanzierung in Höhe von ca. 250.000 EUR für ein Mehrfamilienhaus zu einem anderen Kreditinstitut umschuldet? Beide sind bei der Umschuldung auf ein anderes Kreditinstitut Darlehensnehmer und beide stehen in Abteilung 1 Grundbuch als Eigentümer (50/50). Bei Darlehensaufnahme zu einem anderen Kreditinstitut für die Umschuldung ist der Ex-Ehegatte der Hauptverdiener. Die Ehefrau muss ZUSÄTZLICH zur Darlehensnehmereigenschaft noch eine selbstschuldnerische Bürgschaft in Höhe von 40.000 EUR zugunsten des neuen Kreditinstitutes bei einem Notar bestellen lassen. Bei Abschluss des Darlehensvertrages (Umschuldung) war die Ehegattin aus ihrem Einkommen in Höhe von ca. 1.000 EUR heraus, nicht in der Lage die Finanzierung zu stemmen (auch nicht mit den, nach Kosten/ Steuern, verbliebenden Mieteinanhmen). Das Mehrfamilienhaus kam in den Folgejahren in die Zwangsverwertung. Bedingt durch glückliche Umstände konnte das Merhfamilienhaus noch rechtzeitig vor dem Zwangsversteigerungstermin veräussert werden. Es verblieb jedoch eine erhebliche Restschuld und die Ehegattin wurde, weil der Ex-Ehegatte nach der Zwangsverwertung niemals mehr bezahlte (ALG1/ALG2 bezog), aus Ihrer Bürgschaft heraus in Anspruch genommen. Sie zahlt seit dem eine monatliche Rate (an der Sie noch locker weitere 30 Jahre abzubezahlen hat), um das Kreditinstitut ruhig zu halten. Ist diese Bürgschaft der Ehefrau sittwidrig?